Meine Eltern sind irgendwie anders

Drama | Chile 2015 | 86 Minuten

Regie: Pepa San Martín

Nach der Trennung ihrer Eltern leben ein 13-jähriges Mädchen und ihre kleine Schwester bei ihrer Mutter und deren Lebensgefährtin. Das Zusammenleben funktioniert harmonisch, bis sich die pubertierende Tochter in einen Jungen verliebt. Mit meist langen Einstellungen beobachtet der wache, einfühlsame Film, wie die Heranwachsende mit den Zuschreibungen ihrer Umwelt kämpft, die sie bewusst oder unbewusst auf eine gleichgeschlechtliche Beziehung festlegen wollen. Ihr Kampf, sich nicht vereinnahmen zu lassen, verleiht der Heranwachsenden eine tragische Größe, setzt aber auch Ereignisse in Gang, die sie gerade verhindern wollte. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RARA
Produktionsland
Chile
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Manufactura de Peliculas/Le Tiro Cine
Regie
Pepa San Martín
Buch
Pepa San Martín · Alicia Scherson
Kamera
Enrique Stindt
Musik
Ignacio Pérez Marín
Schnitt
Soledad Salfate
Darsteller
Julia Lübbert (Sara) · Emilia Ossandon (Catalina) · Mariana Loyola (Paula) · Agustina Muñoz (Lia) · Coca Guazzini (Icha)
Länge
86 Minuten
Kinostart
03.05.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
CineGlobal (16:9, 1.78:1 DD2.0 span.)
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Einfühlsames Drama über die Tochter gleichgeschlechtlicher Eltern, die durch ihre erste Liebe dazu gebracht wird, sich zu ihrer Familie mit zwei Müttern zu positionieren.

Diskussion
Lía findet es lächerlich, als ihre Lebensgefährtin Paula von der Schule einbestellt wird. Was soll so anstößig sein an der Malerei der kleinen Catálina, dass man darüber sprechen müsste? Es bilde doch schlicht die Realität ab: zwei Mütter und zwei Töchter als traut vereinte Familie. Lías Sicht bleibt nicht unkommentiert. Die Großmutter empfindet das Verhalten der beiden Frauen ziemlich naiv. Zwar befände man sich hier in Viña del Mar, einer der größten Städte Chiles, aber das sei doch nicht New York. Wieso müssten die beiden immer wieder lautstark austesten, wie andere auf sie als Paar und ihre Regenbogenfamilie reagieren? Der Wunsch gleichgeschlechtlicher Eltern, gemeinsam Kinder aufzuziehen, artikuliert sich immer deutlicher. Die Filmemacherin Pepa San Martín behandelt ihn mit Respekt. Dass gleichgeschlechtliche Eltern sich nicht ebenso fürsorglich um ihre Kinder kümmern würden wie ein heterosexuelles Paar, steht für sie nicht zur Diskussion. Aber sie setzt in ihrem Familiendrama, das zugleich eine Entwicklungsgeschichte ist, sehr anschaulich ins Bild, wie sich eine solche Konstellation auf das Leben der Kinder auswirkt und wie vielschichtig der Prozess der Selbstfindung ist; insbesondere in der Pubertät, wenn man die eigene Familie als peinlich erlebt und deren Lebensentwürfe hinterfragt. So ergeht es der 13-jährigen Sara, deren Sicht der Film teilt. Während ihre kleine Schwester Catálina das familiäre Setting voraussetzungslos akzeptiert, stellt sich für die von Julia Lübbert souverän dargestellte Sara die Situation weitaus komplizierter dar. Im Unterschied zu ihrer Schwester ist sie dabei, sich aus der Abhängigkeit ihrer Eltern zu lösen. Auf der Suche, wie sie selbst leben will, werden die Normen und Wertvorstellungen ihrer Umwelt der Prüfung unterzogen. Doch auch die Gesellschaft definiert den Raum, der jungen Leuten zum Experimentieren zugestanden wird. Gerade die Gleichaltrigen setzen Sara zu, als sie ein Auge auf Julián wirft. Obwohl Sara ihr Recht auf ein Geheimnis behauptet und ihre Identitätsfindung zur Sache ihrer Privatsphäre machen will, muss sie sich unliebsamen Fragen stellen. Hier kehrt der kluge Film die Sichtweise des klassischen „Coming-outs“ um. Denn ihre Freundin Pancha unterstellt, dass Sara lesbisch sei, da sie Homosexualität für erblich hält. Da Sara ihrerseits fürchtet, dass auch Julián so denken könnte, wenn er von ihrer Familie erfährt, gerät die Jugendliche immer mehr unter Druck. Einerseits will sie zu ihrer Familie stehen, andererseits geht sie aber auf Distanz, um ihre Liebe nicht zu gefährden. Die Erwachsenen sind in diesem Dilemma keine Hilfe, denn die haben ihre eigenen Ziele im Blick. Ästhetisch hat sich Pepa San Martín einiges einfallen lassen. Um die Einsamkeit der Pubertät, die Isolation und das Gefühl, ganz auf sich selbst gestellt zu sein, bildlich auszudrücken, sind die Figuren im Hintergrund, Eltern wie Mitschüler, meist in eine Unschärfe getaucht. Analog dazu sieht sich Sara immer wieder gezwungen, sich zu erklären und ihre Familienverhältnisse vor Julián zu verheimlichen. Die Inszenierung schildert sehr einfühlsam den sozialen Druck, der auf Sara lastet. Sie macht plastisch deutlich, wie das Mädchen mit ihren Schamgefühlen zu kämpfen hat, wie ratlos und hilfesuchend sie ist. Die Identitätsproblematik junger Menschen wird hier ebenso eindringlich abgebildet, wie es Max Frisch in seinen Romanen für Erwachsenen gelungen ist. Auch Sara wehrt sich „gegenüber allen freundlichen Versuchen, sie in eine fremde Haut zu stecken“ und beharrt darauf, dass sie nicht die ist, für die andere sie halten. Ihr Kampf, sich nicht vereinnahmen zu lassen, verleiht ihr eine tragische Größe. Doch gerade dadurch setzt sie Ereignisse in Gang, die sie verhindern wollte. Und erlebt schmerzhaft, dass man das eigene Schicksal nicht immer in den eigenen Händen hält.
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