Die Frau des Nobelpreisträgers

Drama | Großbritannien/Schweden/USA 2017 | 100 Minuten

Regie: Björn Runge

Ein US-amerikanischer Schriftsteller und seine Ehefrau reisen Anfang der 1990er-Jahre nach Stockholm, wo der Mann mit dem Literaturnobelpreis geehrt werden soll. Begleitet werden sie von ihrem Sohn, der ebenfalls ein Schriftsteller ist und unter seinem Vater leidet; doch auch unter den Eheleuten kriselt es seit längerem. Das bittersüße Drama über die Abgründe eines Künstlerpaars skizziert so packend wie präzise die Dynamik einer kreativen Verbindung, wobei der Film nicht nur die gesellschaftlichen Bedingungen Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern auch die individuellen Charaktere als zentrale Faktoren ausmacht. Die Inszenierung setzt auch in den Rückblenden in die 1960er-Jahre auf kleinste Gesten und Zwischentöne, die eine äußerst differenzierte Deutung erlauben. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WIFE
Produktionsland
Großbritannien/Schweden/USA
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Meta Film/Anonymous Content/Tempo Prod./Spark Film & TV
Regie
Björn Runge
Buch
Jane Anderson
Kamera
Ulf Brantås
Musik
Jocelyn Pook
Schnitt
Lena Dahlberg
Darsteller
Glenn Close (Joan Castleman) · Jonathan Pryce (Joe Castleman) · Christian Slater (Nathaniel Bone) · Max Irons (David Castleman) · Annie Starke (Junge Joan Castleman)
Länge
100 Minuten
Kinostart
03.01.2019
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Capelight (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Capelight (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Bittersüßes Drama über die Abgründe eines US-Künstlerpaares, das nicht nur die gesellschaftlichen Bedingungen Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern auch die individuellen Charaktere als zentrale Faktoren der ehelichen Dynamik ausmacht.

Diskussion

Aufgeregt wie kleine Kinder hopsen Joan und Joe Castleman im Schlafanzug auf ihrem Ehebett herum. Man schreibt den Herbst 1992. Ein Anruf aus Stockholm hat das in Connecticut lebende Paar aus dem Tiefschlaf gerissen. Nach über 40-jähriger Schriftstellerei soll Joe in die Gilde der Nobelpreisträger aufgenommen werden. Die Freude ist gross. Joan und Joe, Glenn Close in einer Paraderolle, Jonathan Pryce nicht schlecht im Versuch, an ihrer Seite mitzuhalten, sind nicht mehr die Jüngsten. Beide gehen wacker den 70ern entgegen. Sie haben zwei erwachsene Kinder, die Tochter ist schwanger und wird sie demnächst zu Großeltern machen.

Vorerst aber gilt es den Nobelpreis zu stemmen. Man höre mit dem Rumhopsen nun wohl besser auf, sagt Joan nach ein paar Sekunden; es gäbe ja wohl noch einiges zu tun, wofür man besser anständig gekleidet sei. In wenigen Einstellungen wird hier geklärt, wer bei den Castlemans die Hosen anhat; Joe ist es nicht.

Mit der Concorde nach Stockholm

Dann folgt in dem von dem schwedischen Regisseur Björn Runge nach einem Roman von Meg Wolitzer inszenierten Film, was so oder ähnlich jedem Preisträger blüht. Den ersten Gratulationen aus engstem Kreise folgen kleine Erwähnungen in den lokalen Medien und stolz-bescheidene Ehrbezeugungen der lokalen Obrigkeit. Wenige Tage später geht es in einer Concorde von Connecticut nach Stockholm. Mit zur Preisverleihung fliegt auch Sohn David, der eigene literarische Ambitionen hegt.

Dies ist eine herzhaft undankbare Rolle für Max Irons, da unmittelbar nach der Landung nur noch Joe hofiert wird. Wichtige Leute reißen sich um ihn, er muss endlos Hände schütteln und bekommt, damit das Ereignis auch gebührend dokumentiert wird, eine junge Fotografin zur Seite gestellt. Joan, die sich dezent im Hintergrund hält, bietet man ein Ladies-Programm an und drückt ihr für alle Fälle die Telefonnummer einer Assistentin in die Hand. David aber wird mehr oder weniger vergessen.

In der Öffentlichkeit ertragen die Castlemans all das gelassen. Im Fond der Limousine oder hinter geschlossenen Hoteltüren aber fallen die Masken; alsbald beginnt es zu knirschen. Nicht nur, weil Joe sich keine Zeit nimmt, Davids neueste Shortstorys zu lesen und David sich deswegen diskreditiert fühlt. Sondern auch, weil Joan das ganze Affentheater schon bald mehr als satt hat. Auch trägt es nicht gerade zur Lockerung der Atmosphäre bei, dass Joe mehr Zeit als nötig mit der Fotografin verbringt und ihr eine Walnuss mit Widmung schenkt – genau wie Joan, als er sie vor über 30 Jahren kennenlernte. „The Nut“ hieß auch der Roman, der Joe einst den Durchbruch brachte.

Ein Drink an der Bar fördert Geheimnisse zu Tage

Und dann geistert auch noch ein gewisser Nathaniel Bone durch dieses Drama, das zunehmend Züge eines Krimis entwickelt. Der Journalist ist brennend daran interessiert, Joes Biografie zu schreiben; selbst nachts im Flieger lässt er die Castlemans nicht in Ruhe. In der Folge passt er sowohl David als auch Joan in der Hotellobby ab, überzeugt mal ihn, mal sie zu einem Drink an der Bar, bis plötzlich ein streng gehütetes Geheimnis an den Tag kommt, das die Beziehung von Joan und Joe in völlig neues Licht rückt.

Runge erzählt packend und präzise, wobei der Fokus oft auf kleinsten Gesten und winzigen Gesichtsregungen liegt. Nicht die Ereignisse, sondern die – nicht immer leisen – Zwischentöne prägen die Stimmung des Films und seinen Duktus, aus dem sich auch das Erinnern speist. Die Rückblenden kehren in die 1960er-Jahre zurück, als die blutjunge, literarisch talentierte Studentin Feuer für ihren damaligen Dozenten fing; die junge Joan wird von Glenn Closes eigener Tochter Annie Starke gespielt.

Sorgfältige Schilderung einer Paar- und Künstlerbeziehung

Je länger, desto mehr wandelt sich „Die Frau das Nobelpreisträgers“ in eine sorgfältige Schilderung einer Paar- und Künstlerbeziehung, die von den gesellschaftlichen Strukturen in der Mitte des 20. Jahrhunderts ebenso bestimmt wird wie durch die Charaktere der Personen; diesen kleinen, aber gewichtigen Aspekt sollte man nicht aus den Augen verlieren. Denn anders, als man meinen möchte, leidet nicht nur Joan, sondern auch Joe in dieser Beziehung, und das Geheimnis, das sie verbindet, wird in gleichen Maßen von beiden getragen. Das Urteil, dass man es mit einer typisch weiblichen, sich in der Unterdrückung der Frau begründenden Biografie einer verkannten Künstlerin zu tun habe, ist nicht falsch, aber auch nicht ganz korrekt; Gender-bedingte Unterdrückung ist nur in einer Gesellschaft möglich, wenn der größere Teil ihrer Mitglieder sie mitträgt. Und sei dies nur, weil Frauen schweigen, wenn sie zum Reden aufgefordert wären. Was für ein starker Film!

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