Der Esel hieß Geronimo

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2018 | 83 Minuten

Regie: Arjun Talwar

Für ein paar Männer, die auf ihren Booten im Hafen von Flensburg ausharren, ist die Große Ochseninsel zwischen Dänemark und Deutschland, auf der sie einst lebten, zur verlorenen Hoffnung und zum Sehnsuchtsideal geworden. Der bedächtige, gleichsam windstille Dokumentarfilm, der vor allem in dunkle Bilder getaucht ist, untersucht den Widerspruch zwischen Träumen und einer Realität, die den sentimentalen Reminiszenzen kaum standhält. Ein metaphorisch grundiertes Traktat über das zwischen Sehnsucht nach dem Paradies, Vertreibung und erneuter Sehnsucht changierende Dasein. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DER ESEL HIESS GERONIMO
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Lo-Fi Films
Regie
Arjun Talwar · Bigna Tomschin
Buch
Arjun Talwar · Bigna Tomschin
Kamera
Arjun Talwar
Musik
Daniel Sinaisky
Schnitt
Bigna Tomschin
Länge
83 Minuten
Kinostart
19.09.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Leiser, fast windstiller Dokumentarfilm über Männer, die auf ihren Booten im Hafen von Flensburg dem Leben auf der Großen Ochseninsel zwischen Dänemark und Deutschland nachtrauern.

Diskussion

Das Paradies, sagt Regisseur Arjun Talwar, beschäftige die Menschen seit jeher, von der Bibel bis zu „Robinson“ oder der „Odyssee“. Es sei wie ein uralter Traum, der in unserer Kultur und Vorstellungswelt weitergegeben werde. Das Gemeine am Paradies freilich sei, dass es einem immer wieder entgleite... – Ein Zitat, das direkt ins gedankliche Zentrum des Films führt: Wir haben es hier, mit einer scheinbar paradiesischen Ostseeinsel im Mittelpunkt von Erinnerungen und Hoffnungen, nicht unbedingt mit einer dokumentarischen Spurensuche zu tun, sondern mit einem metaphorisch grundierten Traktat über das zwischen Sehnsucht, Vertreibung und wieder Sehnsucht changierende Dasein.

Die sagenumwobene Große Ochseninsel zwischen Deutschland und Dänemark, die der Film erst nach geraumer Zeit betritt, steht sinnbildlich für ein geschenktes und dann wieder entglittenes Glück. Auch wenn sich die Reminiszenzen ans einstige Inselleben von einem zunächst verklärenden Grundton weg zu einer eher kritischen Bestandsaufnahme bewegen, bleibt doch das Gefühl, nach dem Weggang etwas existentiell Wichtiges eingebüßt zu haben.

Verharren in Flensburg

„Der Esel heißt Geronimo“ beobachtet und befragt einige Männer, die einst auf der Großen Ochseninsel ihre Anker ausgeworfen hatten und die nun, zum Festland zurückgekehrt, auf ihren in Flensburg liegenden Booten verharren: trinkend, rauchend, Suppe schlürfend, schwadronierend und oft auch am Bildschirm hängend. Unter Deck ist es meist dunkel, und so hat auch der Film, zumindest äußerlich, einen eher dunklen Grundton, der durch die Schnurren der Männer freilich immer wieder ins Skurrile und Groteske erhellt wird.

Was genau auf der Insel war, erfährt der Zuschauer nur in Andeutungen: Unzählige Rosensorten soll es dort gegeben haben, dazu Kaffee und Bier für alle, die zufällig vorbeikamen, natürlich Musik, Schafe auf den Weiden und einen Esel namens Geronimo. Dass der Besitzer des dortigen Restaurants ein windiger Geselle gewesen sein soll, wie die Männer behaupten, belässt der Film ebenso im Ungefähren wie andere Überlieferungen: Wer Sagen und Legenden auf ihren realen Kern untersucht, verletzt ihre Poesie.

Ein Netz aus Träumen

Der Film tritt dramaturgisch lange auf der Stelle, aber das macht er wohl ganz bewusst: Wer für nichts anderes lebt als einem verlorenen Paradies nachzutrauern, das noch dazu aus der Ferne heller leuchtet als es in Wirklichkeit je schimmerte, der hat sich in einem Netz aus Träumen verfangen und ist für die Zukunft verloren. Doch war die Insel wirklich eine so positiv besetzte Utopie – oder bisweilen nicht doch ein Albtraum, den abzuschütteln dringend notwendig wurde? Wer aber gesteht sich das ein? Um solche Gedanken kreist der Film, und dass er nicht nur die Große Ochseninsel meint, liegt auf der Hand: Er bezieht sich auf gesellschaftliche Utopien überhaupt, auf Modelle, die an der harten Realität scheitern.

Insofern ist das absonderliche Gruppenbild, das der Film skizziert, eine mit Satire, Ironie und tieferer Bedeutung gefüllte Parabel, die man aufgrund ihrer Bedächtigkeit und ausgiebig zelebrierten Windstille mögen kann – oder aus genau demselben Grunde auch nicht.

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