Drama | Rumänien/Deutschland/Frankreich 2017 | 127 Minuten

Regie: Calin Peter Netzer

Ein junger Rumäne verliebt sich in seine Mitstudentin, doch ihre Beziehung wird durch eine Angststörung der jungen Frau belastet, die immer drastischere Züge annimmt. Hingebungsvoll kümmert er sich um sie, kann aber schließlich nicht mit ihrer dank einer Therapie neu gewonnenen Stärke und Selbstständigkeit umgehen. Psychologisch grundierte Rückschau auf eine gescheiterte Liebe, die sensibel die Dynamik von Nähe, Abhängigkeit und Abgrenzungsversuchen auslotet und sie dezent in den sozialen Kosmos des Paars im postsozialistischen Rumänien einbettet. Auch dank der beiden mutigen Hauptdarsteller ein schonungsloses Porträt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ANA, MON AMOUR
Produktionsland
Rumänien/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Parada Film/Augenschein Filmprod./Sophie Dulac Prod.
Regie
Calin Peter Netzer
Buch
Calin Peter Netzer · Cezar Paul-Badescu · Iulia Lumânare
Kamera
Andrei Butica
Schnitt
Dana Bunescu
Darsteller
Mircea Postelnicu (Toma) · Diana Cavallioti (Ana) · Carmen Tanase (Tomas Mutter) · Vasile Muraru (Tomas Vater) · Tania Popa (Anas Mutter)
Länge
127 Minuten
Kinostart
24.08.2017
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Schmerzhaft-bewegende Szenen einer Beziehung zwischen einem jungen Rumänen und seiner unter Panikattacken leidenden Freundin

Diskussion
Die Geschichte von Ana und Toma beginnt mit Nietzsche. In irgendeinem Zimmer, vielleicht in einem Studentenwohnheim, sitzen sie und diskutieren über den Übermenschen und Moral, während sich nebenan ein Paar lautstark miteinander vergnügt. Lustvoll ist auch der Disput zwischen den beiden Literaturstudenten, ein Flirt auf hohem Niveau. Die bewegliche Handkamera tastet sie ab, neugierig, begehrlich, zaghaft, so wie die beiden einander ansehen: Toma mit seinen wilden Locken und schmalen Händen, Ana im geblümten Kleid mit nervösem Lächeln und schönen Knien. „Ana, mon amour“ ist die Geschichte einer Liebe, die nicht währt. Obwohl Ana und Toma füreinander wie gemacht scheinen, können sie sich von Anfang an nicht auf einer Ebene begegnen. Schon bei ihrer ersten Begegnung bekommt Ana keine Luft mehr, krampft sich ihr Magen zusammen, wird sie zu einem jämmerlichen Häufchen Angst. Diese Panikattacken werden sie zunehmend zu Boden drücken, während Toma fortan alles tut, um sie aufzufangen und aufzurichten. Ist das Liebe? Oder bloß Abhängigkeit? Während Toma immer mehr zu Anas Beschützer wird, dann auch zum Familienvater und Ehemann, bekommt Ana mit therapeutischer Hilfe langsam ihre „Angst vor nichts Bestimmten“ in den Griff. Plötzlich ist sie eine Andere, nicht mehr schutzbedürftig, und Toma steht mit leeren Händen da, versinkt in Eifersucht und gefühlter Bedeutungslosigkeit. „Gegenstand des Films ist weniger der Zerfall von Tomas Beziehung zu Ana als vielmehr die eigentliche Unmöglichkeit, eine Beziehung richtig aufzubauen“, erläuterte Călin Peter Netzer. Sein Film ist hoch psychologisch, nicht nur, weil er Ursachenforschung betreibt, sondern vor allem in seiner gesamten Erzählweise: Wie spricht man von einer Liebe, die nicht mehr ist? Welche Bilder, Momente, Ereignisse bleiben in einem lebendig, tauchen plötzlich auf? In „Ana, mon amour“ ist die erinnerte Vergangenheit stets gegenwärtig. So wie Toma auf der Couch seines Psychoanalytikers, den er schließlich – nun selbst hilfebedürftig – aufsucht, seinen spontanen Gedanken, Assoziationen und Träumen nachhängt, so nimmt auch der Film die fragmentarische, achronologische Erzählweise auf. „Ich glaube, es ist wichtig, dass Sie verstehen, was Sie bei Ana gehalten hat“, sagt ihm der Analytiker, der fragt und nachforscht, sich aber keine Notizen macht. Was also? Da ist das Konzert, von dem Ana und Toma kaum etwas mitbekommen, weil sie an den Lippen des anderen hängen, das sind die Panikanfälle, die sie gemeinsam „wegatmen“, die desaströsen Antrittsbesuche bei den Eltern oder innige Momente nach dem Sex, wenn Ana für Toma leise ein Lied singt. Vielleicht ist er deshalb geblieben. Wahrscheinlich auch, so nährt sich zunehmend der Verdacht, weil Ana und Toma die Kinder ihrer Eltern sind, die die Diktatur unter Ceaușescu miterlebt, vielleicht sogar im Machtapparat aktiv waren und die ihre alten Moralvorstellungen in die postsozialistische Zeit mitgenommen haben. Die beiden jungen Leute wollen alles anders machen und laufen doch Gefahr, die Geschichte ihrer Eltern zu wiederholen. Ganz im privaten Raum will der rumänisch-deutsche Regisseur seine Liebesgeschichte also nicht lassen, wenngleich die Gesellschaftskritik weniger deutlich ausfällt als in seinem Film „Mutter & Sohn“ ((fd 41 740), 2012). Darin geht es um eine Übermutter aus der rumänischen Oberschicht, die ihren erwachsenen Sohn nach einem von ihm verschuldeten Unfalltod mit allen Mitteln vor einer Strafe bewahren will. Solche politischen Spannungen liest man in „Ana, mon amour“ eher zwischen den Zeilen. Das Private steht ganz klar im Vordergrund, und so sind diese Szenen einer Ehe in all ihrer Einmaligkeit doch universell, erzählen von der Schwierigkeit, in der Liebe den anderen wirklich zu erkennen. Mircea Postelnicu als Toma und Diana Cavallioti als Ana spielen mit einer schonungslosen, unmittelbaren Körperlichkeit, sodass das Zusehen manchmal schmerzt, doch man will sich der Legende von Ana und Toma keine Sekunde lang entziehen.
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