Drama | Deutschland 2016 | 94 Minuten

Regie: Helene Hegemann

Nach dem Tod ihrer Mutter bewegt sich eine 16-Jährige wie in einem Schwebezustand durchs Leben und provoziert heftige Reaktionen, die sie mitunter selbst überraschen. Sie schwänzt die Schule, nimmt Drogen, legt sich mit Erwachsenen an und stürzt sich in eine Affäre mit einer deutlich älteren Frau. Helene Hegemann setzt ihren Roman „Axolotl Roadkill“ als reduzierte Abfolge zugespitzter Episoden voll trockenen Humors um, wobei sie jeder Psychologisierung des Geschehens entgegenarbeitet. Die exemplarisch gelungene Literaturadaption wird von einem vorzüglichen Schauspieler-Ensemble getragen, aus dem die Hauptdarstellerin herausragt, die der Protagonistin eine faszinierende Undurchschaubarkeit verleiht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Vandertastic/Constantin Film/rbb
Regie
Helene Hegemann
Buch
Helene Hegemann
Kamera
Manuel Dacosse
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Jasna Fritzi Bauer (Mifti) · Arly Jover (Alice) · Mavie Hörbiger (Ophelia) · Laura Tonke (Annika) · Julius Feldmeier (Edmond)
Länge
94 Minuten
Kinostart
29.06.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Constantin (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Constantin (16:9, 2.35:1, dts-HDMA dt.)
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Helene Hegemann verfilmt ihren eigenen Roman über eine 16-Jährige, die haltlos durch die Berliner Szene irrlichtert

Diskussion
Ob bei einer nächtlichen Taxifahrt, ob im Zimmer der Schuldirektorin oder in der Mensa ihrer Schule: Mifti provoziert gerne, fordert Reaktionen heraus – nicht immer oder nur sehr bedingt zu ihrem eigenen Vorteil. Mifti kokettiert mit Vergewaltigungsfantasien, muss auf dem Weg dorthin aber ganz schön einstecken. Mal bekommt sie eine Portion Spaghetti ins Gesicht, mal einen Becher frisch gebrühten Kaffee. Dann ist da auch noch der Taxifahrer, der sich die Gelegenheit auf eine „schnelle Nummer“ nicht entgehen lässt. Mifti scheint über derlei Feedback mitunter erstaunt, aber durchaus nicht unerfreut: Immerhin passiert mal was. Nach dem Tod ihrer Mutter lebt die 16-Jährige mit ihren Halbgeschwistern Anika und Edmond in einer Berliner Wohngemeinschaft und ist vorzugsweise irritiert. Was sie mit kessen Sprüchen und coolen Gesten geschickt überspielt. Mifti driftet durch ihren Alltag, vorzugweise in der Nacht, was die Option eines regelmäßigen Schulbesuchs oft hintertreibt. Gleichaltrige Freunde hat Mifti ohnehin nicht. Wie auch, wenn man vielleicht sogar noch etwas jünger aussieht als man ist, sich aber mit dem Erfahrungshorizont einer Mittdreißigerin durchs Leben bewegt? Von ihrer Familie hat Mifti nicht viel zu erwarten. Der Vater lebt mit seiner Geliebten in einem Designerhaus, schwadroniert über Terrorismus als zeitgemäße Karriereoption und nimmt die Welt nur als ästhetisches Phänomen wahr. Schwester Anika, selbst zuverlässig hysterisch, würde gerne als Miftis Ersatzmutter agieren, wenn sie denn auch nur einen Funken Autorität besitzen würde. Bruder Edmond ist lethargisch und ohne jedes Interesse. Bleiben die Erinnerungen an die elegante Mittvierzigerin Alice, eine coole Drogendealerin für die Hautevolee der Hauptstadt, mit der Mifti offenbar eine längere Affäre hatte. Und ganz aktuell: Ophelia, Fernsehstar, wegen Volltrunkenheit am Steuer zu Sozialstunden in der Küche von Miftis Schule verdonnert. Auch Ophelia ist damit beschäftigt, ihrer Verzweiflung durch ständige Action keinen Raum zu lassen. Eigentlich unfassbar, was hier an umfassendem Überdruss aufgeboten wird. Dass es Helene Hegemann gelungen ist, selbst die Regie bei der Verfilmung ihres vom Feuilleton erst gefeierten, dann geschmähten Bestseller-Debüts „Axolotl Roadkill“ (2010) zu übernehmen, ist unbedingt als Glücksfall zu werten. So bot sich ihr die Chance, mit etwas zeitlichem Abstand eine Wiederholung der in ihren Augen ärgerlichen Fehlrezeption des Stoffs als „Coming of Age“-Geschichte oder gar als Generationen-Porträt zu unterbinden. Konsequent legt Hegemann einer konventionell psychologisierenden Charakterisierung ihrer Protagonistin filmische Hindernisse in den Weg, die das Rätselhafte des Geschehens hervorkehren. Gegenüber der literarischen Vorlage wechselt die Verfilmung konsequent die Erzählperspektive, changiert von der Ich-Erzählung ins personale Erzählen, wodurch der Film „Axolotl Overkill“ gewissermaßen zur objektivierten Variante des Romans „Axolotl Roadkill“ wird, was in Kenntnis des Buchs ein durchaus spannendes Angebot ist. Zugleich aber verweigert der Film jede Chronologie und Linearität der Erzählung und gerät so zu einer Folge zugespitzter Szenen, die auf komische oder provokante, politisch unkorrekte Pointen hin gearbeitet sind. Dabei setzt die Inszenierung auf episch-distanzierende Erzählstrategien, surreale Einsprengsel, verblüffende Auftritte von Pinguinen, Alpakas und Einhörnern sowie einen stupend gut getimeten Deadpan-Humor. Wie schon bei ihrem Filmdebüt „Torpedo“ (fd 39 185) kann sich die Filmemacherin auf die glänzend zusammengestellte (Theater-)Besetzung verlassen, darunter Mavie Hörbiger und Bernhard Schütz. Perfekt wird diese Besetzung aber erst mit der zuverlässig faszinierenden Jasna Fritzi Bauer als verwirrte, gegen Familie, Schule, Umwelt und vor allem ihr Alter revoltierende Protagonistin. Ohne lineare Erzählung kommt der Film zwar nicht so recht vom Fleck, aber dieses „Problem“ teilen Protagonistin und Film nicht grundlos, sondern sehr bewusst mit dem titelgebenden Schwanzlurch.
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