Begabt - Die Gleichung eines Lebens

Drama | USA 2017 | 101 Minuten

Regie: Marc Webb

Während sich Onkel und Großmutter über die Erziehung eines siebenjährigen Waisenkindes streiten, erweist sich das Mädchen bei seiner Einschulung als Mathematik-Genie. Mit aller Macht will die Großmutter nun ihre Vorstellung einer Hochbegabtenförderung durchsetzen, während der Onkel auf einer unbeschwerten Kindheit beharrt. Das unaufgeregte Familien- und Gerichtsdrama stellt angenehm unspektakulär das Ringen um die schwierige Entscheidung in den Mittelpunkt. Mit leisen Tönen lotet es den Zwiespalt zwischen Unter- und Überforderung eines Kindes aus, bleibt dramaturgisch allerdings etwas unbestimmt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GIFTED
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
FilmNation Ent./Grade A Ent./Fox Searchlight Pic.
Regie
Marc Webb
Buch
Tom Flynn
Kamera
Stuart Dryburgh
Musik
Rob Simonsen
Schnitt
Bill Pankow
Darsteller
Chris Evans (Frank Adler) · Mckenna Grace (Mary Adler) · Lindsay Duncan (Evelyn Adler) · Jenny Slate (Bonnie Stevenson) · Octavia Spencer (Roberta Taylor)
Länge
101 Minuten
Kinostart
13.07.2017
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit fünf im Film nicht verwendeten Szenen (8 Min.).

Verleih DVD
Fox (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Fox (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl., dts dt.)
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Onkel und Großmutter streiten vor Gericht über die richtige Erziehung eines hochbegabten Waisenkindes

Diskussion
Das rot-blaue Blümchenkleid mit dem weißen Kragen und den blauen Blüten, in dem sich Mary morgens beim Frühstück über ihr schweres Los beklagt, ist nur umgekehrte Mimikry: Harmlos oder gar friedlich ist Mary an ihrem ersten Schultag keineswegs. Vielmehr überfährt das Mädchen, das nicht weiß, was „ad nauseam“ heißt, aber schwindelerregend mit Zahlen jonglieren kann, schon am ersten Tag seine Klassenlehrerin. Die im Kopf errechnete Lösung von 57 mal 135 steht einer Siebenjährigen eigentlich nicht zu. „Ach, Trachtenberg-Methode, habe ich ihr beigebracht, das ist ganz einfach“, versucht Marys Onkel Frank die alarmierte Lehrerin zu beruhigen, während er in deren Augen ein gefährliches Wort funkelt sieht: hochbegabt! Frank kennt sich aus mit diesem Wort, das Eltern weltweit in Alarmbereitschaft versetzt und sie zwischen Stolz, Ehrgeiz und Besorgnis zurücklässt, wobei auch eine gewisse Überheblichkeit angesichts der prächtigen Entfaltung des eigenen Erbguts mitschwingt. Er möchte seiner Nichte jedoch ein anderes Leben bieten und sie nicht ins Hamsterrad der Hochbegabtenförderung stecken, das Marys Mutter Diane das Leben kostete. Wie ihre kleine Tochter war sie ein Rechengenie, das an der Lösung der Navier-Stokes-Gleichungen arbeitete, bis sie sich das Leben nahm. Doch schon steht Dianes Großmutter Evelyn, die das Talent ihrer Tochter unbarmherzig beförderte, vor dem gemütlichen Holzhaus, in dem Frank, Mary und der einäugige Kater Fred wohnen. Sie hat ein MacBook und hochtrabende Pläne für ihre Enkelin mitgebracht, die sie auch gerichtlich durchsetzen würde. Tatsächlich zieht sie gegen den eigenen Sohn und dessen Einschätzung, was Diane gewollt hätte, vor Gericht. Sie wirft ihm vor, Marys Recht auf intellektuelle Förderung und materiellen Wohlstand nicht Genüge zu leisten. Wie wichtig ist es, das Potenzial eines jungen, nach geistiger Nahrung dürstenden Gehirns auszureizen? Sollte einem Kind nicht lieber eine unbeschwerte Kindheit abseits obskurer Karriere-Spekulationen garantiert werden? Lieber mit Gleichaltrigen spielen als Gleichungen lösen? Lieber soziale Kompetenzen erlernen als sich in der Isolation des Sonderlings vergraben? Wenn man alle Hochbegabten wegsperrte, hätte man Irgendwann nur noch Kongressabgeordnete, sagt Franks Anwalt einmal. Auch Regisseur Marc Webb macht keinen Hehl daraus, auf wessen Seite er steht. Das lässt sein (Familien-)Gerichtsdrama etwas vorhersehbar werden, nimmt ihm aber nicht seine Ambivalenz. Auf angenehm zurückhaltende Weise beschäftigt sich der Film mit den widerstreitenden Fragen, die sich angesichts einer Hochbegabung für Menschen auftun, die sowohl das Wohl des Kindes als auch sein Dasein als Erwachsener im Auge behalten. Die erzählerische Konstellation ist dabei so durchsichtig wie effektiv: hier der Mann aus dem vorrangig afro-amerikanisch geprägten Ort, der einsam an der Bar sitzt und das Herz der Damen, auch das von Marys Lehrerin, höher schlagen lässt; dort die wohlhabende Großmutter im schicken Eliten-Style aus Boston, die nicht nur das Werk ihrer Tochter, sondern auch ihre eigenen, durch Ehe und Familie gescheiterten Ambitionen fortsetzen will. Die Stimmung ist eisig; allerdings kostet der Film das nicht aus. Ohne allzu große Dramatik konzentriert er sich auf die leisen Töne, findet indes aber nicht allzu viele Gesten, die ergreifen oder einen tieferen Einblick in das geben, was die von Mckenna Grace großartig gespielte Mary von ihrem jungen Leben erwartet. Unterm Strich kann er dramaturgisch nicht ganz überzeugen; es bleibt ein unbefriedigender Nachgeschmack. Wobei Webbs Zurückhaltung, die Zuspitzungen emotional und moralisch nicht stärker auszureizen, hoch anzurechnen ist. Mit dem Film verhält es sich wie jenes Blümchenkleid mit Spitzenkragen, das seinen hoch komplexen Inhalt etwas brav in die Welt hinausträgt, aber eben auch diese tiefblauen Blüten besitzt, die einen immer wieder aufmerken lassen.
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