Tragikomödie | Deutschland 2017 | 105 Minuten

Regie: Tom Lass

Eine Schulabbrecherin aus Berlin findet ein Zimmer in einem Blindenheim, weil sie vorgibt, nicht sehen zu können. Dann aber verliebt sie sich in einen von Selbsthass zerfressenen Streuner. Der weitgehend improvisierte Film setzt auf Handkamera, große Nähe zu den Figuren und emotional getaktete Schnitte zur Verdichtung der Handlung und entfaltet dabei das komödiantische Potenzial der exzentrischen Figuren mit großer Leichtigkeit. Der Humor speist sich aus den Eigenheiten der Charaktere und einer liebevollen Satire auf Helferberufe. In der zweiten Hälfte wandelt sich der Film allerdings zum bemühten Drama, über dessen „feministischen“ Showdown auch die große Schar glänzender Darsteller nur mühsam hinweghilft. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
SHPN3 Filmprod./Lass Bros./ZDF/Das kleine Fernsehspiel
Regie
Tom Lass
Buch
Tom Lass · Ilinca Florian
Kamera
Jieun Yi
Musik
Leonard Petersen
Schnitt
Tom Lass · Daniel Hacker · Maja Tennstedt
Darsteller
Naomi Achternbusch (Jona) · Tom Lass (Ferdi) · Clara Schramm (Cécile) · Peter Marty (Hauswart) · Dimitri Stapfer (Björn)
Länge
105 Minuten
Kinostart
21.09.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Ein junger Streuner, der sich als hässlich empfindet, freundet sich mit einem angeblich blinden Mädchen an, das seine Behinderung aber nur vortäuscht. Glänzend gespielter und geschnittener Improvisationsfilm von Tom Lass.

Diskussion
Jonas Verweigerung, ihre Abiturprüfungen zu absolvieren, kommt bei ihrer Mutter nicht gut an. Der Streit ist vorprogrammiert, und beim ersten Anzeichen reißt die Berlinerin aus. Jetzt muss eine Unterkunft her. Doch trotz großer Anpassungsbereitschaft klappt es nicht mit einem WG-Zimmer. Zudem sperrt ihr die Mutter das Konto. Da schlägt ihr ihre blinde Cousine eine Art Ausweg vor. Falls sie es schafft, sich in die Welt der Sehbehinderten einzufühlen, könnte sie sich doch um ein Zimmer in einem Blindenwohnheim bewerben. Jona erweist sich schnell als begabte Schülerin. Gleich der Erste, dem sie den Zustand der Blindheit vorspielt, fällt auf den Betrug herein. Ferdi fühlt sich von Jona, die ihn auf einer Brücke von einem Selbstmordversuch abbringt, magisch angezogen. Schließlich kann sie ihn nicht sehen, und damit auch nicht seine abgrundtiefe Hässlichkeit, von der er zutiefst überzeugt ist. Der neurotische Streuner wird nicht nur von einem massiven Selbsthass geplagt. Trotz langjähriger Therapie und betreutem Wohnen stolpert er voller Selbstmitleid durch einen Alltag, der überwiegend aus selbstverschuldeten Konflikten und absurden Streitgesprächen besteht. Erst die Begegnung mit der scheinbar weitaus verloreneren Jona bringt etwas Ruhe in seine labile Befindlichkeit. Wäre da nicht ihr Wunsch nach körperlicher Nähe, auf den der bindungsscheue Fredi mit panischen Fluchtreflexen reagiert. Regisseur und Hauptdarsteller Tom Lass bleibt auch in seinem dritten Spielfilm dem bewährten Konzept aus Improvisation, Handkamera, Figurennähe und Verdichtung der Handlung durch emotional getaktete Schnitte treu. Dabei kommt der in einer Rückblende erzählte Anfang beinahe ohne Dialoge aus. Eine leichtfüßige Anreihung aussagekräftiger Situationen etabliert dabei atmosphärisch gekonnt die exzentrischen Figuren und setzt ihr Krisenpotenzial komödiantisch ein. Das ist ungemein filmisch und höchst spannend erzählt. Der Humor lebt von den Eigenheiten der Charaktere und einer liebevollen Satire auf Helferberufe: von der strengen Jugendtherapeutin über die Gruppendynamik-begeisterten Sozialarbeiter bis zu den Wohnheimleitern, die das Handicap ihrer blinden Schützlinge für ihre sexuellen Bedürfnisse ausnützen. In der zweiten Hälfte wird die „Wahrhaftigkeit“ der Handlung allerdings durch die überflüssige Figur eines psychopathischen Clubbesitzers strapaziert, der seine Mitarbeiter, zu denen unter anderem auch Jona gehört, mit Wutattacken terrorisiert und das Glück des fragilen Paars intrigant zu zerstören versucht. Den „feministischen“ Showdown, in dem Jona als plötzlich sehende Baseballschläger-Amazone triumphiert, nimmt man zwar etwas ratlos als künstlich befeuerten Drama-Wendepunkt zur Kenntnis. Das Wiedersehen mit den vielen Naturtalenten und lustvoll schauspielernden Freunden des Regisseurs, darunter Eva Löbau, Axel Ranisch, Karin Hanczewski, Martina Schöne-Radunski, Robert Gwisdek und die Brüggemann-Geschwister, sowie die wunderbare Neuentdeckung Naomi Achternbusch als Jona möchte man in ihren markanten Auftritten dennoch nicht missen. Das hat beinahe schon etwas von der über Jahre treuen Familie eines Ingmar Bergman, wenn auch in einem gänzlichen anderen Kino-Universum.
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