Drama | Polen 2015 | 92 Minuten

Regie: Małgorzata Szumowska

Ein verschlossener Untersuchungsrichter ist mit seiner magersüchtigen Tochter überfordert, die ihm die Schuld am Tod der Mutter gibt. Als eine an den Spiritismus glaubende Psychologin vorschlägt, Kontakt mit der Verstorbenen aufzunehmen, lehnt der abgeklärte Beamte das zuerst als Humbug ab, bis unerklärliche Vorkommnisse ihm die Gegenwart von Übersinnlichem zu bestätigen scheinen. Außergewöhnlich dicht inszeniertes Drama, das eindrückliche Bilder von Trauer und Einsamkeit mit einem Einschlag ins Fantastische verbindet. Einfühlsam, warmherzig und detailgenau, begeistert der Film mit einer schwebenden Erzählweise, die von tiefem Respekt für die Gefühle der Figuren zeugt. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
CIALO
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Nowhere/D35/Kino Świat/Mazowiecki Fundusz Filmowy
Regie
Małgorzata Szumowska
Buch
Małgorzata Szumowska · Michał Englert
Kamera
Michał Englert
Schnitt
Jacek Drosio
Darsteller
Janusz Gajos (Untersuchungsrichter) · Maja Ostaszewska (Therapeutin Anna) · Justyna Suwała (Olga) · Ewa Dałkowska (Freundin des Untersuchungsrichters) · Adam Woronowicz (Arzt)
Länge
92 Minuten
Kinostart
29.10.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Meisterhaftes Vater-Tochter-Drama von Malgorzata Szumowska

Diskussion
Achselzuckend geht Janusz an den jungen Polizisten vorbei, die sich sträuben, den Tatort zu betreten. Nach Jahrzehnten als Untersuchungsrichter hat er sich ein dickes Fell zugelegt und nähert sich beherzt der Frauenleiche in der Warschauer Bahnhofstoilette. Mit gebührendem Abstand macht er sich ein Bild von den abstoßenden Details des Verbrechens – und löffelt kurz darauf mit Appetit in einem Imbiss eine Suppe in sich hinein. Mit seinem massigen Körper signalisiert der wortkarge alte Mann auch nach außen hin, dass an ihm alles abprallt. Die stoische Haltung legt Janusz auch nach Feierabend nicht ab, obwohl ihn zuhause ein weiterer unangenehmer Anblick erwartet: der ausgemergelte, bleiche Körper seiner Tochter Olga, die nach dem Tod der Mutter aus Trauer und aus Wut auf den Vater eine Essstörung entwickelt hat. Herausschreien kann Olga ihren Zorn nur in kleinen Dosen, und zwar in ihrer Therapiegruppe für Magersüchtige, doch diese Fortschritte sind nicht von Dauer. Zurück in der Wohnung wird sie unweigerlich wieder nach unten gezogen, sodass sie weiterhin das Essen verweigert. Ihre durch die Krankheit riesig erscheinenden Augen sind ein nie verstummender Vorwurf an den scheinbaren Gleichmut von Janusz, der keine Worte des Trostes findet und sich immer mehr in seine Arbeit zurückzieht. In beklemmenden Bildern zeigt die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska zunächst die Folgen eines gescheiterten Trauerprozesses. Statt den gemeinsamen Schmerz zu teilen, verlagern Vater und Tochter ihn nach innen, was bei der jungen Frau einem Selbstmord auf Raten gleichkommt. Wie schon in ihrem früheren Film „33 Szenen aus dem Leben“ ((fd 38 961), 2008) belässt Szumowska es nicht bei einer Studie des Schmerzes, sondern setzt von Beginn an Kontrapunkte gegen die Tristesse. In der Verwendung von Farbe und Licht, indem die dunkle, ungepflegte Wohnung der beiden Protagonisten in Kontrast zum freundlich-hellen Weiß des Therapieraums gesetzt wird, was dessen positive Wirkung auf die Magersüchtigen nachvollziehbar macht. Mit der Psychologin Anna wird eine dritte Hauptfigur eingeführt, die der Film auch außerhalb der Therapiestunden begleitet. Mit subtilen, präzise vermittelten Details wird Anna als eine mit Janusz und Olga vergleichbare einsame Seele vorgestellt: Die alleinstehende Frau mittleren Alters teilt ihr Leben nur mit einem mannsgroßen Hund. Als Ersatz für den ihr fehlenden menschlichen Partner sitzt er beim Fernsehen neben ihr und schläft nachts mit im Bett. Doch hinter der biederen Fassade lauern die Dämonen, und zwar buchstäblich: Seit dem Kindstod ihres Babys vor einigen Jahren hat Anna Erscheinungen und ist davon überzeugt, Botschaften von Geistern zu empfangen – eine Gabe, die sie bei Bedarf auch anderen Trauernden zur Verfügung stellt. Elegant verknüpft der Film diese Ebene des Fantastischen mit dem realistischen Erzählton. Anna bietet ihre Fähigkeiten irgendwann bei Olgas Behandlung an, was der abgeklärte Janusz entschieden ablehnt. Bis er selbst von sonderbaren Phänomenen heimgesucht wird: Licht, Radio und Heizung schalten sich in seiner Wohnung von selbst ein und aus, fest verriegelte Zimmer und Fenster sind auf unerklärliche Weise geöffnet, schließlich entdeckt Janusz Briefe, mit denen seine verstorbene Frau Kontakt zu ihm zu suchen scheint. Szumowska inszeniert auch die folgende Annäherung des Skeptikers an die Geisterbeschwörerin unaufgeregt und mit dezent beobachtender Kamera, obwohl sie skurrile Elemente des Geisterglaubens, etwa die Organisation seiner Anhänger in „nationalen spiritistischen Gesellschaften“, nicht ausspart. In ihrer filmischen Welt haben surrealistische Einschübe ebenso ihren rechtmäßigen Platz wie die harte Realität: Das galt schon für ihren vorherigen Film „Im Namen des …“, ist in „Body“ aber noch verfeinert worden. Übersinnlichkeit und Skeptizismus existieren nebeneinander, ohne dass eines von beiden diskreditiert würde, ihr Zusammenkommen wird psychologisch glaubhaft als Überlebensstrategie im modernen Polen dargestellt. Wie die Regisseurin die Sinnsuche ihrer Hauptfiguren in einer schwebenden, vorurteilsfreien Weise entfaltet, die Respekt für alle drei bewahrt, ist wahrlich meisterlich. Humorvoll, warmherzig und einfallssprühend von der Anfangssequenz bis zum anrührenden Schlussbild, ist „Body“ einer der aufregendsten europäischen Autorenfilme der letzten Jahre.
Kommentar verfassen

Kommentieren