Drama | Ägypten/Deutschland/Frankreich 2016 | 98 Minuten

Regie: Mohamed Diab

Während der politischen Unruhen in Ägypten im Sommer 2013 werden zwei Journalisten als angebliche Spione der entmachteten Muslimbrüder festgenommen. Zusammen mit weiteren Verdächtigen landen sie in einem Kastenwagen der Polizei, wo die angespannte Stimmung unter den Eingesperrten zu eskalieren droht. Das auf engstem Raum spielende Drama konfrontiert die typisierenden, jedoch nie eindimensional gezeichneten Charaktere mit der Situation im nachrevolutionären Ägypten. Dabei gelingt ein dichtes Plädoyer für Versöhnung und Gedankenfreiheit in einer von hysterischen Meinungsmachern geprägten Atmosphäre. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ESHTEBAK
Produktionsland
Ägypten/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Sampek Prod./Acamedia Pic./NiKo Film/Pyramide Int./Arte France Cinéma/Film-Clinic
Regie
Mohamed Diab
Buch
Mohamed Diab · Khaled Diab
Kamera
Ahmed Gabr
Musik
Khaled Dagher
Schnitt
Ahmed Hafez
Darsteller
Nelly Karim (Nagwa) · Hani Adel (Adam) · Tarek Abdel Aziz (Hossam) · Ahmed Malek (Mans) · Ahmed Dash (Faris)
Länge
98 Minuten
Kinostart
19.10.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Kammerspiel | Thriller
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Klaustrophobische Parabel über die Folgen der ägyptischen Revolution

Diskussion
Von Hitchcocks „Das Rettungsboot“ (1943) über Petersens „Das Boot“ (fd 23 144) oder Samuel Maoz’ „Libanon“ (fd 40 123): eine Handlung auf engem, fluchtsicherem Raum bietet immer die Möglichkeit, ein Ensemble unter Stress zu setzen und dabei unterschiedlichste Generationen, Meinungen und Weltbilder aufeinanderprallen zu lassen. „Clash“ von Mohamed Diab fügt dem klaustrophobischen Format nun einen ägyptischen Beitrag hinzu. Im Sommer 2013, als sich die Zusammenstöße zwischen Anhängern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi und dessen Gegnern zu Straßenschlachten ausweiten, verhaftet das Militär die Journalisten Adam und Zein. Sie werden verdächtigt, für die Muslimbrüder zu spionieren, und landen in einen Kastenwagen der Polizei. Doch der Tag ist lang, und es folgen viele weitere Verhaftungen. Auf dem Weg zu unterschiedlichen Einsatzorten füllt sich der Wagen allmählich mit „Verdächtigen“: einem jungen Rapper, einem alten Salafisten und seiner verhüllten Tochter, einer Krankenschwester samt Mann und halbwüchsigem Sohn, aber auch einigen Aktivisten der Muslimbrüder. Die versuchen den knappen Raum kadermäßig zu strukturieren und die Insassen in Freunde und Gegner aufzuteilen. Was allerdings nur kurzfristig gelingt, da äußere und innere Tumulte alle Ordnungsversuche schnell über den Haufen werfen; als die Atemluft knapp wird und auch noch ein junger Polizist im Wagen landet, droht die Stimmung überzukochen. Diesen Mikrokosmos gestaltet Diab als Abbild der instabilen, explosiven Lage in Ägypten. Die Unruhen kosteten damals Hunderte von Menschenleben. Prompt wurde dem Filmemacher in der Fernsehsendung „Masr al-Yawm“ vorgeworfen, als ein im Ausland ausgebildeter Regisseur mit dem Film ein schlechtes Bild des Landes zu zeichnen, was in eine von Xenophobie, Neid und Kritikunfähigkeit geprägte Hetzkampagne der gleichgeschalteten ägyptischen Medien mündete. Diab setzte sich dagegen zur Weh und sprach über soziale Netzwerke eine jüngere, kritischere Generation an. Über diesen Skandal geriet der Film aus dem Blick, der 2016 beim Filmfestival in Cannes die Nebenreihe „Un Certain Regard“ eröffnet hatte. So meistern der Regisseur und sein Kameramann Ahmed Gabr die logistische Herausforderung, im Chaos von acht Quadratmetern bis zu 15 Schauspieler zu choreografieren und dabei die Filmcrew unsichtbar zu machen. Das offene Fenster des Karrens, das einen begrenzten Weltausschnitt freigibt, die mal offene, mal geschlossene und bewachte Tür bieten gestalterische Möglichkeiten. Und als es Nacht und somit dunkel wird im Laster, erzeugen die grünen Laserpointer der aufgepeitschten Massen draußen ein dämonisches, nur Ausschnitte freigebendes Hell-Dunkel im Wageninneren; zu diesem Zeitpunkt haben die Eingeschlossenen zwar die Herrschaft über das Polizeifahrzeug an sich gebracht, aber die verrammelte Tür nicht öffnen können; auf der Suche nach Hilfe sind sie mitten im Mob gelandet, der einigen von ihnen den Tod wünscht. Die Charaktere sind bewusst typisierend angelegt: reich und arm, jung und alt, religiös und säkular, sie alle „sind“ Ägypten; im Wagen wird die Zukunft des Landes ausgehandelt. Diab vermeidet dabei die simplifizierende Verdammung der rechtmäßig gewählten, politisch aber unfähigen und durch einen Militärputsch entmachteten Muslimbrüder als Terroristen. Die gemeinsame Situation des Eingeschlossenseins schafft überdies Möglichkeiten des Dialogs und des gegenseitigen Verständnisses. Dieses Anliegen findet allerdings an den nicht weiter hinterfragten Machtverhältnissen seine Grenze: das disparate Häuflein säße gar nicht zusammen, wenn es nicht das repressive System gäbe; auch wenn der einzelne Offizier zum Sympathieträger taugt, agiert der Militärapparat dahinter unerbittlich und willkürlich. „Clash“ ist damit eine formale Weiterentwicklung von Diabs Debütfilm „Kairo 678“ (fd 40 929), der teilweise im Gedränge eines Nahverkehrsbusses spielte. Noch vor der Revolution gedreht, thematisierte der Erstling ein Tabu: die weitverbreitete sexuelle Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum sowie deren Verdrängung und Verharmlosung im öffentlichen Diskurs. Auch damals warf man Diab vor, das negative Image des Landes zu bestärken und die Frauen aufzuwiegeln. „Clash“, der trotz aller Denunziationen wie „Kairo 678“ in Ägypten ein Kassenmagnet war, präsentiert ein Abbild des nachrevolutionären Ägyptens, ähnlich wie seine skandalträchtige Rezeption. Der Film ist ein filmisch dichtes, fiebrig und packend inszeniertes Plädoyer für Versöhnung und Gedankenfreiheit in einer von hysterischen Meinungsmachern geprägten Atmosphäre, was längst kein rein ägyptisches Thema mehr ist.
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