Die Liebhaberin (2016)

Drama | Österreich/Südkorea/Argentinien 2016 | 100 Minuten

Regie: Lukas Valenta Rinner

Eine junge Argentinierin aus ärmlichen Verhältnissen nimmt einen Job als Haushälterin bei einer reichen Familie in Buenos Aires an, womit sie Zugang zu einer privilegierten Welt hinter befestigten Mauern erlangt. Bei einem Spaziergang durch die Gated Community entdeckt sie ein dschungelähnliches Nudisten-Camp, und durch ihren Übertritt geraten die oppositionellen Systeme unter Hochspannung. Eine in klaren Tableaus gedrehte Reflexion über menschliche Beziehungen in abgeschlossenen Systemen, die sich besonders dem durchorganisierten Raum und der Vielfalt der Körper widmet. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
LOS DECENTES
Produktionsland
Österreich/Südkorea/Argentinien
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Nabis Film/Jeonju Cinema Project
Regie
Lukas Valenta Rinner
Buch
Lukas Valenta Rinner · Ana Godoy · Martín Shanly · Ariel Gurevich
Kamera
Roman Kasseroller
Musik
Jimin Kim · Jongho You
Schnitt
Ana Godoy
Darsteller
Iride Mockert (Belen) · Martín Shanly (Juan Cruz) · Andrea Strenitz (Diana) · Mariano Sayavedra (Garita) · Ivanna Colona Olsen (Paola)
Länge
100 Minuten
Kinostart
09.11.2017
Genre
Drama
Externe Links
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Zwei extreme Lebens- und Körperwelten in Buenos Aires

Diskussion
Beléns Aufbruch zu ihrer neuen Arbeitsstelle in Buenos Aires hat alle Anzeichen eines Gefängnisbesuchs. Mit dem Bus geht es zunächst kilometerlang an Mauern, elektrischen Zäunen und Stacheldraht entlang, bevor die Haushälterin die „andere“ Welt durch ein schwer bewachtes Eingangstor (Registrierung, Taschenkontrollen) passiert. Dahinter erwarten sie Stein, Glas und akkurat angelegte Grünflächen, die man nie wagen würde zu betreten. Die Knast-Assoziation ist naheliegend, auch wenn es die Gated Community ist, die sich selbst „einknastet“. Ein Wischmopp und diverse Reinigungstücher sind aus Beléns Händen nun nicht mehr wegzudenken. Die eh schon glänzenden Fußböden (feiner Zement!) des reichen Anwesens müssen aufgefrischt und poliert werden, dafür gibt es spezielle Putzmittel, denn Schmierstreifen sind hässlich. Dass sich hinter dem Hygiene-Terror eine politische Reinhaltungs- und Abschottungskultur verbirgt, ist offensichtlich. Deutlich wird sie etwa in der Anweisung der gesichtsoperierten Hausherrin, bei der Sortierung von Tassen und Untertassen unter keinen Umständen Unzugehöriges zu vermischen. Belén bewegt sich mit hochgezogenen Schultern und regungsloser Miene durch diese Welt, der sie nicht angehört. Ein Wachmann versucht, sich ihr anzunähern, aber die Körper finden nicht zueinander, sie verkrampfen, bleiben starr. Als Belén durch ein Loch im Zaun, das sie bei einem Spaziergang entdeckt, Zutritt zu einem Nudistencamp erhält, öffnet sich ihr eine Welt, die alles negiert, was auf der anderen Seite Gesetz ist. Die vormals replikantenhafte Haushälterin erfährt bei den Nudisten eine geistige und sexuelle Befreiung – und sieht plötzlich sehr barock aus. Auch wenn die Nacktheit die Körper kollektiviert, herrscht Vielfalt: Hier gibt es dicke und hagere Körper, verschrumpelte und schwabbelige, gerade und runde. Nackte, die im Wald umherlaufen, Nackte, die einfach nur herumliegen und dabei ihr Gesicht genießerisch in die Sonne strecken. Es gibt einen Nackten, der eine Schubkarre schiebt, und eine Nackte, die einen Schimmel führt. Der Film stellt die diversen Körper wie lebende Skulpturen in die dschungelhafte Natur. Bei einer tantrischen Zeremonie verschmelzen sie zum zuckenden Kollektivkörper. Der Salzburger Regisseur Lukas Valenta Rinner, der in Spanien und Buenos Aires studierte und „Die Liebhaberin“ in Argentinien mit Fördergeldern eines koreanischen Filmfestivals drehte, erzählt diese Geschichte über menschliche Beziehungen in abgedichteten Räumen mit lakonischem Humor (und nicht mit der klaustrophobischen Härte eines Yorgos Lanthimos, an dessen totalitäre Ordnungen man sich mitunter erinnert sieht). Rinner organisiert die Bilder meistens in zentralperpektivischen Tableaus. Es gibt wenig Bewegung, alles hat seinen Platz – das ist bei den Nudisten nicht anders: „Placida erotica“ weist ein Schild einen abgetrennten Bereich aus. Die Kontrastierung der beiden Welten – Normierung vs. Befreiung, Hygiene vs. Körper – erzeugt ein übersichtliches und etwas schlichtes Bild, die Gated Community kann dabei eigentlich nur verlieren. Doch ganz so einfach ist es nicht. „Die Liebhaberin“ lässt keinen Zweifel daran, dass beide Welten auf ihre Weise auf Homogenität hinarbeiten. Wenn Belén entschlossenen Schrittes die sauberen Straßen ihrer Arbeitsstätte entlangläuft, trommelt es auf der Tonspur bedrohlich tribalistisch: Ein Guerrilla-Krieg kündigt sich an. Selten begibt sich die Kamera nach „draußen“ und lässt die Dualität der beiden Nachbarschaften hinter sich. Die staubigen Schnellstraßen, an denen der lautstarke Verkehr entlangbraust und die die Arbeiterinnen von den verarmten Vorstädten in die reichen Bezirke bringen, erinnern daran, in welcher gesellschaftlichen Realität die beiden Systeme – und Gefängnisinseln – platziert sind.
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