Drama | Südafrika/Deutschland/Niederlande/Frankreich 2016 | 88 Minuten

Regie: John Trengove

Ein in den Augen seines Vaters verweichlichter Xhosa-Junge soll sich einem Beschneidungsritual unterziehen und acht Tage lang mit einer Gruppe im Busch verbringen. Die archaische Initiation entpuppt sich als hochambivalent, da im Camp nicht nur ein forcierter Machismo dominiert, sondern sich auch ein Raum für tabuisierte Homosexualität eröffnet. Das Drama um konkurrierende Männlichkeitsbilder und sexuelle Identität mündet in einer aggressiven Eruption, die auf die grundlegenden Widersprüche der südafrikanischen Gesellschaft verweist. Erzählerisch entwirft die Inszenierung nach Manier des ethnografischen Films mit viel Mut zu interkulturellen Leerstellen eine fragile Choreografie von Gesten, Berührungen und Andeutungen. (O.m.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
INXEBA | INXEBA - THE WOUND
Produktionsland
Südafrika/Deutschland/Niederlande/Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Urucu Media/Riva Film/arte/ZDF/Das kleine Fernsehspiel/Oak Motion Pic./Cool Take Pic./Deuxième Ligne Films/Sampex Prod./Salzgeber & Co./Figjam Ent.
Regie
John Trengove
Buch
John Trengove · Thando Mgqolozana · Malusi Bengu
Kamera
Paul Özgür
Musik
João Orecchia
Schnitt
Matthew Swanepoel
Darsteller
Nakhane Touré (Xolani) · Bongile Mantsai (Vija) · Niza Jay Ncoyini (Kwanda) · Thobani Mseleni (Babolo) · Gamelihle Bovana (Initiierter)
Länge
88 Minuten
Kinostart
14.09.2017
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Ein Xhosa-Junge soll sich einer rituellen Beschneidung unterziehen. Drama um konkurrierende Männlichkeitsbilder und sexuelle Identität

Diskussion
Der Vater macht sich Sorgen. Sein Sohn Kwanda hat sich komische Freunde in Johannesburg gesucht, mit denen er sich immer in sein Zimmer einschließt. Um ihm die Flausen und seiner Widerspruchsgeist auszutreiben, hat sich der Vater gegen den Widerspruch seiner Ehefrau entschieden, den Sohn zu einem archaischen Beschneidungsritual der Xhosa in den Busch zu schicken. Der introvertierte Lagerarbeiter Xolani soll Kwanda als erfahrener Betreuer in das improvisierte Camp begleiten. Die rituelle Beschneidung hält der (weiße) Filmemacher John Trengove in der Manier eines ethnografischen Films fest, trotz aller Drastik aber nicht wertend, sondern beobachtend und mit viel Mut zur interkulturellen Leerstelle. Der Zuschauer ist gefordert, die Beobachtungen und Andeutungen, vorzüglich halbdunkel und im Vertrauen auf Kontraste in Szene gesetzt, miteinander in Beziehung zu bringen und sich einen Reim darauf zu machen. Ein paar Tage lang müssen die jungen Männer, weiß getüncht und als „Ziegen“ tituliert, im Camp ausharren, ehe sie als Männer in die Gemeinschaft der Väter und Großväter zurückkehren. Das Stadtkind Kwanda mit seinen extravaganten Sneakers wird im Camp, das einen forcierten Machismo pflegt, schnell zum Außenseiter. Doch Xolani ist als Betreuer nicht nur deshalb vor Ort, weil er dafür gut bezahlt wird. Sein Interesse gilt der erneuten Begegnung mit seinem Jugendfreund Vija, der mittlerweile zwar Frau und Kind hat, in der Abgeschiedenheit des Camps aber seine Homosexualität auslebt. In der südafrikanischen Gesellschaft wird Homosexualität streng tabuisiert; auch ein kommunikativer Austausch über die Beschneidungsrituale ist nicht erlaubt. In diesem Kontext entwickelt das erstaunliche Setting kombinierter Tabus schnell seine Dynamik. Drei schwule Protagonisten, die ihre Homosexualität mit unterschiedlichem Selbstverständnis zu leben versuchen, treffen sich am Rande eines archaischen Männlichkeitskultes, dessen Ethos explizit darin besteht, eine Familie zu gründen und dafür Sorge zu tragen, dass das Dorf gut bevölkert ist. „Die Wunde“ entwirft eine fragile Choreografie von Gesten, Berührungen und Andeutungen unter den Bedingungen öffentlicher Beobachtung durch die Gruppe. Diese Spannung wird noch potenziert, weil Kwanda das Verhältnis zwischen Xolani und Vija schnell einzuschätzen weiß und die Autorität seines Betreuers zunehmend in Frage stellt. Wie kann jemand, der selbst nicht offen lebt, glauben, einen jungen Mann initiieren zu können? Die aus dieser Gemengelage resultierenden Ungleichzeitigkeiten wirken etwas konstruiert, wenngleich die Co-Drehbuchautoren Thando Mgqolozana und Malusi Bengu auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen haben sollen. So profiliert der Film den Gegensatz von Stadt und Land, wobei das liberalere Stadtleben, zumal in Johannesburg, sich nur am Verhalten von Kwanda und bedingt an dem von Xolani ablesen lässt. Je länger der Film dauert, dessen heftiger entladen sich eine Vielzahl der Konflikte in Aggressionen, die immer weitergetragen werden, bis sie sich schließlich gegen das vermeintlich schwächste Mitglied der Gruppe richten. Dass dieser finale Befreiungsakt keine Lösung, sondern nur ein Verdrängen und Vertagen der Widersprüche von Tradition und Moderne ist, hält der Film trotz seines offenen Schlusses unmissverständlich fest. Zumal es am Ende Kwanda überlassen bleibt, erstaunlich klare und reflektierte Worte für die herrschende Situation zu finden, die den Horizont der Figur und der hier vorgeführten Verhältnisse weit übersteigen. Sie scheinen ihren Weg in den filmischen Diskurs aus einer fernen Zukunft und einem verschlossenen Jugendzimmer in Johannesburg gefunden zu haben.
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