Drama | Serbien/Deutschland 2015 | 92 Minuten

Regie: Goran Radovanovic

Ein zehnjähriger Junge lebt 2004 als einziges Kind in einer serbischen Enklave im Kosovo. Seine von Einsamkeit geprägte Welt gerät gänzlich aus den Fugen, als sein Großvater im Sterben liegt. Auf der Suche nach einem Pfarrer verlässt er erstmals zu Fuß die Enklave und knüpft zaghaft Kontakt zu einem gleichaltrigen Albaner. Doch es braucht nicht viel, um die Konflikte eskalieren zu lassen. Mit prägnanten Bildern über die schwierige Koexistenz von Muslimen und Christen veranschaulicht der durchgängig aus der Perspektive des Kindes erzählte Film die Brutalität und Absurdität, die der Bürgerkrieg nach sich zieht. Das eindringliche, fast wortlose Drama entdeckt in der kindlichen Mischung aus Neugier, Angst und Lebenslust einen Funken Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ENKLAVA
Produktionsland
Serbien/Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Sein+Hain Film/Nama Film/ZDF
Regie
Goran Radovanovic
Buch
Goran Radovanovic
Kamera
Axel Schneppat
Musik
Eleni Karaindrou · Irena Popovic
Schnitt
Andrija Zafranovic
Darsteller
Filip Subaric (Nenad) · Denis Muric (Baskim) · Nebojša Glogovac (Vojislav) · Anica Dobra (Milica) · Miodrag Krivokapic (Otac Draza)
Länge
92 Minuten
Kinostart
16.02.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Barnsteiner/Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Eindringliches Drama über die Folgen der Balkankriege

Diskussion
Eine Enklave ist ein „vom eigenen Staatsgebiet eingeschlossener Teil eines fremden Staatsgebiets“. So erklärt es der Duden. In diesem Gebiet lebt es sich gewissermaßen wie auf einer Insel, jedoch ohne Meer drum herum. Für den serbischen Jungen Nenad bedeutet dies im Jahr 2004: Egal, in welcher Richtung er geht, er kommt immer an eine Grenze, an der er es nicht weitergeht. Die steinig-karge Berglandschaft seines serbischen Heimatfleckchens geht über in die mit feindseligen Blicken gespickte steinig-karge Berglandschaft des Kosovo. Auch ein paar Jahre nach dem Ende des Krieges zwischen Serbien und Kosovo sind die Konflikte und die Gewalt noch deutlich spürbar; hier, wo die beiden Lager dicht an dicht nebeneinander leben. Nenads Schulbus ist deshalb ein KFOR-Panzer. Er lotst ihn als einziges in der Enklave verbliebenes Kind morgens zum Unterricht in ein UN-Gebäude und danach wieder nach Hause. Für Nenad ist der Einschluss durch kosovarisches Hoheitsgebiet längst zum Ausschluss geworden. Gleichaltrige gibt es nicht, Erwachsene kaum. Als der Gebirgsbach einmal seine Hose wegspült, ist an einen Ersatz in einer passenden Größe nicht zu denken. Auf dem Weg zur Schule erspäht Nenad durch die Sehschlitze des Panzers immerhin drei albanische Jungen, die ihn, den Serben, ihrerseits beäugen. Miteinander spielen können sie nicht, zu sehr klaffen die Wunden des Krieges, zu tief sitzt der Hass. Die Jungen bewerfen den Panzer mit Steinen. Als Nenads Lehrerin eine Stelle in Belgrad annimmt und sein Großvater Milutin im Sterben liegt, schrumpft die Gemeinschaft um Nenad auf den verhärteten, stets alkoholisierten Vater, den serbisch-orthodoxen Pfarrer Draza und ihn selbst zusammen. Ihr Beziehungsdreieck bildet den Mittelpunkt für das Drama, das der serbische Filmemacher Goran Radovanović mit wenigen spartanischen Handlungssträngen exemplarisch für die Konflikte in der Region in die Eskalation treibt. Für den Pfarrer ist es wichtiger, die Glocke neben der zertrümmerten Kirche aufhängen zu lassen als Milutin das letzte Abendmahl zu bringen. Die Glocke strahlt inmitten der muslimisch geprägten Region eine starke Symbolik aus und erhält im weiteren Verlauf auch ihren großen Auftritt. Nenad macht sich deshalb auf die Suche nach dem Pfarrer, damit er noch rechtzeitig vor dem Tod des Großvaters zur Stelle ist. Doch ohne Schule gibt es keinen Panzerfahrdienst, weshalb er die Enklave zu Fuß verlassen muss. Während Nenad sich unterwegs zaghaft mit den albanischen Jungs einlässt, kommt seine Tante Milica aus Belgrad angereist. Auch ihre Fahrt wird von Steinwürfen begleitet. Bilder und Szenen der Abneigung gibt es in diesem Film viele: die simple Geste des Steinwurfs, stumme, abschätzige Blicke, die Luftschüsse von Nenads Vater, der Hirtenjunge Bashkim, der mit einer Pistole auf alles zielt und jederzeit abdrücken könnte. Es braucht kaum Worte oder Taten, es reichen einprägsame Schlaglichter, um die Brutalität und Absurdität von Krieg und seinen Folgen in einem beißenden Realismus zu konzentrieren. Die melancholische Musik ist in der zweiten Hälfte des Films dem Drama „Eleni – Die Erde weint“ (fd 38 102) von ist Theo Angelopoulos entnommen. Sie wirkt wie ein Klagelied und verweist auf das Vorbild der kontemplativ-allegorischen Werke des griechischen Regisseurs. Zwischen allen Fronten bahnt Nenad sich seinen Weg durch das kleine Territorium seiner Existenz und begegnet den Menschen mit einer kindlichen Mischung aus Neugier, Angst und Lebenslust. Er und die anderen Jungen schaffen es im Gegensatz zu den Erwachsenen, miteinander schließlich doch in Kontakt zu treten. Zwar geht das nicht ohne Risiko, aber ihre Begegnung birgt trotz der Entfesselung von Gewalt das einzige Fünkchen Hoffnung in dieser prägnanten filmischen Darstellung einer verwüsteten Koexistenz.
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