Leaning into the Wind - Andy Goldsworthy

Dokumentarfilm | Großbritannien/Deutschland 2016 | 97 Minuten

Regie: Thomas Riedelsheimer

16 Jahre nach seinem Film „Rivers and Tides“ (2000) begegnet der Dokumentarist Thomas Riedelsheimer erneut dem schottischen Landart-Künstler Andy Goldsworthy und übersetzt dessen außergewöhnliche Naturskulpturen in kongeniale Kinobilder. Dabei reflektiert Goldsworthy über sein Leben und seine Sicht auf die Dinge, insbesondere auf die Natur, von der seine Kunst lebt. In der zweiten Hälfte wechselt der Film eher impressionistisch zwischen den weltweiten Orten, an denen Goldsworthy aktuell tätig ist, was dem sinnlichen Ereignis einer wundersamen Entschleunigung, die sich den Wundern der taktilen Welt öffnet, keinen Abbruch tut. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LEANING INTO THE WIND - ANDY GOLDSWORTHY
Produktionsland
Großbritannien/Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Filmpunkt/Skyline Prod.
Regie
Thomas Riedelsheimer
Buch
Thomas Riedelsheimer
Kamera
Thomas Riedelsheimer
Musik
Fred Frith
Schnitt
Thomas Riedelsheimer
Länge
97 Minuten
Kinostart
14.12.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Künstlerporträt
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Poetisches Porträt des britischen Land-Art-Künstlers

Diskussion
Ein scharf gebündelter Lichtstrahl durchbricht das schüttere Lehmdach des verlassenen Hauses. Ein Moment der Klarheit. Dann wirbelt Staub durch die Luft. Der Künstler stört die Stille, er sorgt für Bewegung, erinnert womöglich an die Menschen, die hier in der brasilianischen Pampa einmal gelebt haben. In „Leaning Into the Wind“ trifft der Filmemacher Thomas Riedelsheimer den Künstler Andy Goldsworthy wieder, den er 16 Jahre zuvor in dem persönlichen Essay „Rivers and Tides – Andy Goldsworthy Working with Time“ (fd 35 295) porträtiert hatte. Noch immer arbeitet der Brite mit dem, was er in der Natur vorfindet. Ansonsten aber hat sich vieles verändert. Die Natur zum Beispiel, so führt er aus, sei überall: unter den Städten, in denen er arbeitet, da draußen, und natürlich auch in ihm. Abgesehen vom Erfolg ist der vielleicht augenfälligste Wandel, dass Goldsworthy nun mehr selbst Teil seiner Skulpturen ist. Einige seiner Kunstwerke werden auf diese Weise performativer – und vielleicht auch vergänglicher. Über die Vergänglichkeit und das Alter denkt der Künstler viel nach. Früher, als er noch jung war, sei alles klarer gewesen: die Lebensentwürfe, aber auch seine Kunst. Ähnlich verschlungen wie sich seine private Biografie entwickelte, sind auch die Wege, die er künstlerisch beschritten hat. Er ringt nach Worten, die dies präziser beschreiben könnten. Doch schon eines der fantastischen Bilder des Films genügt als Metapher. Goldsworthy klettert durch eine hohe Hecke, die blätterlos so wehrhaft in die Landschaft ragt wie Stacheldraht. Immer wieder droht er abzustürzen, es knackt und raschelt, er hängt waagrecht in den schwarzen Zweigen. Später im Film erläutert er, wie spannend und lehrreich es sei, neue Wege zu gehen statt der ausgetretenen Pfade. Inzwischen arbeitet Goldsworthy viel mit seiner Tochter Holly zusammen. Zu jemandem, den man so gut kenne wie das eigene Kind, ist eine telepathische Nähe möglich. Die zierliche junge Frau klettert auf seine Schultern, um trockene Halme zu einer Art Harfe am Baum aufzurichten. Sie sitzt mit ihm am Ufer des Baches, den Goldsworthy so liebt, in schwarzem T-Shirt und blauen Jeans, genau wie ihr Vater, und klebt ihm in Wasser getränkte Klatschmohnblätter um die Finger, bis seine Hände wie offene Wunden aussehen. Dann lässt er die Blütenblätter vom fließenden Wasser davontragen. Riedelsheimer fühlt sich synästhetisch in das Universum von Goldsworthy ein und übersetzt dessen Kunst filmisch kongenial. In Zeitlupen sprühen bunte Blüten über die Leinwand, Bäume rauschen, Wolken ziehen, der Wind braust. Die sparsam eingesetzte, avantgardistische Musik von Fred Frith „bespielt“ die Naturskulpturen. Zu einer anderen Grasharfe an der Ulme am Bach sind beispielsweise Streicher zu hören, als wären die Saiten aus Halmen hier tatsächlich das Instrument. Während die Inszenierung im ersten Teil immer wieder zu der toten Ulme und dem Bach zurückkehrt, springt der Film in der zweiten Hälfte zwischen den Orten rund um die Welt, an denen Goldsworthy teilweise mit großen Teams arbeitet. Das wirkt sehr impressionistisch; man verliert sich geradezu in Orten und Bildern, was im Falle von Goldsworthys Welten und den Bildern von Riedelsheimer nicht unangenehm ist. Goldsworthy geht es dabei immer um etwas Taktiles, Haptisches, um Material und eine Stofflichkeit, um das Be-greifen von Prozessen und Texturen. Er versuche immer noch, die Welt zu verstehen, sagt er an einer Stelle. Und wenn er dafür durch die Hecke gehen muss.
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