Coming-of-Age-Film | Frankreich 2016 | 114 Minuten

Regie: André Téchiné

Eine Landärztin lädt den 17-jährigen Sohn einer schwangeren Bäuerin ein, bei ihr zu wohnen, solange die Mutter im Krankenhaus ist. Das passt ihrem eigenen Sohn anfangs überhaupt nicht, da die Jugendlichen schon in der Schule ständig aneinander geraten. Fortan tragen sie ihren Streit noch heftiger aus, bis sie auf unerwartete Weise entdecken, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. Außergewöhnlich feinfühliges Jugenddrama, nur scheinbar mit leichter Hand, in Wahrheit hochpräzise inszeniert. Mit beeindruckenden Schauspielern entstand ein lebensnahes Abbild jugendlicher Befindlichkeiten und Empfindungen, das in ein ebenso intensives Porträt ihrer Umwelt eingebettet ist. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
QUAND ON A 17 ANS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Fidélité Films/France 2 Cinéma/Scope Pic.
Regie
André Téchiné
Buch
André Téchiné · Céline Sciamma
Kamera
Julien Hirsch
Musik
Alexis Rault
Schnitt
Albertine Lastera
Darsteller
Sandrine Kiberlain (Dr. Marianne Delille) · Kacey Mottet Klein (Damien Delille) · Corentin Fila (Thomas Chardoul) · Alexis Loret (Nathan Delille) · Jean Fornerod (Jacques Chardoul)
Länge
114 Minuten
Kinostart
16.03.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Coming-of-Age-Film | Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kool (16:9, 1.78:1, DD5.1 frz./dt.)
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Lebensnahes Abbild jugendlicher Gefühlsverwirrungen von André Téchiné

Diskussion

Sie können nicht voneinander lassen. Die beiden 17-jährigen Klassenkameraden Damien und Thomas geraten ständig aneinander, und meist bleibt es nicht bei provokanten Blicken oder Worten. In der Klasse oder nach dem Unterricht geht es beim geringsten Anlass handfest zur Sache. Konkrete Gründe dafür gibt es nicht, auch wenn die sozialen Unterschiede zwischen den beiden durchaus eine Rolle spielen mögen. Damien ist der Sohn einer in dem kleinen Pyrenäenort allseits beliebten Ärztin und eines Hubschrauberpiloten, der im Ausland bei der Armee dient. Etwas verwöhnt, aber klug und ehrgeizig, scheint sein Erfolg im Leben vorgezeichnet.

Thomas tut sich dagegen in der Schule schwer, weil ihm die Zeit zum Lernen fehlt. Seit seine Mutter schwanger ist, muss der afrikanischstämmige Adoptivsohn eines Bauernpaars zuhause noch mehr anpacken als ohnehin. Außerdem braucht er vom Hof bis zur Schule jeden Tag anderthalb Stunden, was ihm aber lieber ist, als im Internat zu wohnen. Für den Rektor ist der Fall daher klar, als die Jungen nach einem erneuten Zwischenfall bei ihm im Büro sitzen: Der Provokateur muss Thomas sein, weil sein Verhalten auch sonst dem „Mobber“-Profil entspreche. Ganz anders sieht das jedoch Damiens Mutter Marianne, der Thomas bereits bei den Krankenbesuchen auf dem Hof aufgefallen ist und die den verschlossenen Teenager keineswegs für einen hoffnungsvollen Fall hält. Nachdem Thomas’ Mutter in eine Klinik muss, um eine Fehlgeburt zu verhindern, setzt Marianne durch, dass Thomas während dieser Zeit in ihrem Haus wohnen kann. Ein Arrangement, das die Erwachsenen beider Familien optimal finden, die Feindschaft der Jugendlichen jedoch zunächst noch mehr befeuert.

Allen Figuren in André Téchinés „Mit siebzehn“ ist gemeinsam, dass sie ihre Gefühle nicht in Worte fassen können. Den Blicken, vor allem aber Körperlichkeit und Berührungen jeder Art kommen in dem Film deshalb von Anfang an eine besondere Bedeutung zu: Nicht nur der physisch ausgetragene Streit zwischen Damien und Thomas ist ein Kräftemessen; der Bauernsohn demonstriert seine körperliche Stärke auch gern im Umgang mit den Tieren, während Damien durch Kampfsport die räumliche Trennung von seinem Vater kompensieren will. Zugleich sucht er die Nähe zu seiner Mutter, die er bei spaßhaften Armdrück-Einheiten stets gewinnen lässt; Thomas dagegen setzt sich auch hier ohne besondere Anstrengung durch, womit er Marianne nur noch mehr beeindruckt.

Geschickt baut Téchiné so zuerst die Erwartung auf, dass die Jugendlichen vor allem um die Aufmerksamkeit der Ärztin konkurrieren. Als der Konflikt zwischen ihnen sich verschärft, treffen sie sich an einem abgelegenen Ort zum Kampf, bis der einsetzende Regen ihnen Einhalt gebietet. Statt sich weiter zu prügeln, suchen sie einen Waldsee auf, in dem Thomas regelmäßig schwimmen geht. Der Anblick seines nackten Körpers setzt bei Damien jedoch Empfindungen frei, mit denen er nicht gerechnet hat. Das vermag er vor Thomas nicht lange geheim zu halten; der aber zeigt zunächst keine Anzeichen, dass er Damiens Zuneigung erwidern oder auch nur akzeptieren würde.

Die Macht der Gefühle und die Ohnmacht der Fühlenden sind prägende Motive in der mittlerweile 45 Jahre umfassenden Karriere von André Téchiné. „Mit siebzehn“ sticht innerhalb seines Oeuvres vor allem durch den Optimismus heraus, mit dem er die Figuren in ihren verwirrten Gefühlswelten zeichnet. Zusammen mit seiner Co-Autorin Céline Sciamma, die nach Regiearbeiten wie „Girlhood“ (fd 42 931) und dem Drehbuch zum animierten Jugenddrama „Mein Leben als Zucchini“ (fd 44 490) ihrerseits als Spezialistin für einfühlsame Filme über Heranwachsende gelten darf, beweist der 1943 geborene Regisseur ein erstaunliches Gespür für die lebensnahe Abbildung jugendlicher Empfindsamkeit. Nichts erscheint forciert in diesem Film, der scheinbar mit leichter Hand inszeniert ist, in seiner aufmerksamen Kameraarbeit und den hochpräzisen Leistungen der beiden jungen Darsteller Kacey Mottet Klein und Corentin Fila aber auch von Téchinés sicherer Anleitung kündet.

Dabei vernachlässigt die Inszenierung über der Konzentration auf die Jugendlichen auch deren Umwelt nicht. Die Gefühle der Eltern und ihre Momente der Hilflosigkeit schildert der Film genauso intensiv. Selbst bei einer schicksalshaften Wendung im letzten Drittel verfällt er nicht in falsche melodramatische Töne. Die Schule des Lebens, von der „Mit siebzehn“ so unaufdringlich erzählt, kennt Prüfungen, aber keine unumstößlichen Ergebnisse – in den positiven Erwartungen an die Entwicklung der Figuren steckt darum eine zwingende Logik.

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