Drama | Japan/Hongkong/Taiwan 2017 | 129 Minuten

Regie: Sabu

Ein Berufskiller aus Taiwan scheitert bei einem Auftrag in Japan und wird auf der Flucht angeschossen. In einem Vorort von Tokio versorgt ihn ein kleiner Junge mit Essen und Medizin; im Gegenzug kümmert sich der Mann um seinen Retter und dessen drogenabhängige Mutter. Als er sich dabei als begnadeter Koch entpuppt, winkt die Chance, sein Leben zu ändern. Was als Gangsterfilm beginnt, wandelt sich unverhofft zum Melodram mit Elementen einer warmherzigen Nachbarschaftskomödie. Mitunter kolportagehaft, insgesamt aber eine effektvoll inszenierte Stilmischung, die im inneren Ringen der Hauptfigur auch einen Ausweg aus dem Kreislauf der Gewalt aufzeigt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RYU SAN
Produktionsland
Japan/Hongkong/Taiwan
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Live Max Film/LDH Pic./BLK2 Pic./Kaohsiung Film Fund/Rapid Eye Movies/The Post Republic
Regie
Sabu
Buch
Sabu
Kamera
Kôichi Furuya
Musik
Junichi Matsumoto
Schnitt
Georg Petzold
Darsteller
Chang Chen (Mr. Long) · Bai Runyin (Jun) · Yiti Yao (Lily) · Shô Aoyagi (Kenji) · Masashi Arifuku (Heisuke)
Länge
129 Minuten
Kinostart
14.09.2017
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Krimi | Martial-Arts-Film
Externe Links
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Heimkino

Als BD nur erschienen in einem Box-Set (SABU Vol. 1 & 2) zusammen mit dem Sabu-Film „Dangan Runner“. Die Extras der DVD und BD umfassen u.a. die Berlinale-Pressekonferenz 2017 (53 Min.). Eine „Limitierte Special Edition“ (DVD) umfasst zudem den Soundtrack des Films auf CD.

Verleih DVD
REM (16:9, 2.35:1, DD5.1 jap. & Mandarin/dt.)
Verleih Blu-ray
REM (16:9, 2.35:1, dts-HDMA jap. & Mandarin/dt.)
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Effektvoll inszenierte Stilmischung über einen Killer, der sich zum begnadeten Koch und Familienmenschen wandelt. Regie: Sabu

Diskussion
Sie hören ihn nicht kommen. Wenn der taiwanesische Berufskiller Long einen Auftrag übernommen hat, erledigt er ihn schnell und wortlos. Für ihn stellt es kein Problem dar, es mit einem halben Dutzend oder mehr Gegnern aufzunehmen; er hat das Überraschungsmoment auf seiner Seite und ist flink mit dem Messer. Außerdem ist er unauffälliger als all die lauten Gangster um ihn herum, mit ihren geschmacklosen Hemden und dem schmierigen Auftreten, und schafft es mühelos, in einer Menschenmasse zu verschwinden. Trotzdem unterläuft auch diesem hochkonzentrierten Mordspezialisten einmal ein Fehler. Von seinem Boss nach Japan geschickt, um ein Yakuza-Mitglied zu töten, wird Long in einem Unterwelt-Club überwältigt. Vor den Toren Tokios machen sich die Schläger daran, ihm ein schmerzhaftes Ende zu bereiten, als sie durch einen weiteren Angriffsversuch abgelenkt werden. Long nutzt die Gelegenheit und kann knapp entkommen. Verletzt und der japanischen Sprache nicht mächtig, stehen seine Chancen denkbar schlecht, als er in einem verwahrlosten Wohngebiet am Stadtrand vorerst zur Ruhe kommt. Der Anfang von „Mr. Long“ entspinnt ein für einen ostasiatischen Gangsterfilm archetypisches Szenario mit einem hohen Gewaltpegel und einem stoischen Einzelkämpfer nach Art von Takeshi Kitano. Doch zeigt sich bald, dass der japanische Regisseur Sabu nicht auf einen geradlinigen Genrefilm aus ist. Zu Sabus Stilprinzipen gehörten schon bei seinen ersten Filmen in den 1990er-Jahren wie „Dangan Runner“ (1996) und „Monday“ (1999) der Grenzgang zwischen allen kategorischen Zuschreibungen und überraschende Stimmungswechsel. Auch „Mr. Long“ startet ähnlich rasant wie Sabus Frühwerke, um dann unverhofft die Tonart zu wechseln, als die Titelfigur in jeder Beziehung ganz unten angekommen ist. Dem in der Gosse liegenden Long erscheint ein kleiner Junge als rettender Engel, der ebenso wenig redet wie er, den Angeschossenen aber mit Wasser, Desinfektionsmitteln, Verbandmaterial und Kleidung versorgt. Das entlockt Mr. Long nicht nur seine ersten Worte in diesem Film, sondern gibt ihm auch die Gelegenheit, sich bei seinem kleinen Helfer zu revanchieren. Als er erfährt, dass dessen Mutter drogensüchtig ist, zwingt er sie zu einem gewaltsamen Entzug und kümmert sich in dieser Zeit um den Jungen. Eine Zwangsgemeinschaft mit höherem Potenzial, denn Long füllt eine seit langem bestehende Lücke aus, und Sabu lässt sich mit Leidenschaft auf das Melodram einer Kleinfamilie ein, die über viele Gefühlsbezeugungen allmählich zusammenwächst. Das ist mitunter ziemlich sentimental und in einem Rückblick auf den Leidensweg der Frau auch kolportagehaft, erhält aber durch die ständig von außen drohende Gefahr eine besondere Note. Zudem fügt Sabu noch eine dritte Stilebene hinzu, die den Hitman zum Helden einer Vorstadtkomödie macht, die in ihrer Warmherzigkeit an die Filme von John Ford oder Frank Capra erinnert: Long erweist sich als begnadeter Koch, der neben seinem Retter und Schützling bald auch die komplette Nachbarschaft mit seinen Talenten für sich gewinnt. Die fühlt sich kurzerhand berufen, ihrerseits dem Neuankömmling zu helfen, und so hat dieser im Handumdrehen ein auf Vordermann gebrachtes Haus und einen eigenen Verkaufswagen für taiwanesische Nudelgerichte, die begeisterten Absatz finden. Der herzliche Humor dieser Szenen erweist sich als kongeniale Eingebung, um die anderen Sphären des Films in Balance zu halten. Das uneingeschränkte Wohlwollen der einfachen Japaner gegenüber dem stillen Taiwaner Long ist schon darum erfrischend, weil man im Kino kaum je eine solche Offenheit gegenüber einem Fremden unbekannter Herkunft erlebt haben dürfte. Zudem kontrastiert es effektvoll mit den gefühlsseligen Familienbildern und vor allem der Brutalität und Kälte der Gangsterwelt, die schließlich gewaltsam wieder in das Schicksal der Hauptfigur eingreift und dessen friedlichen Zufluchtsort zu sprengen droht. Den eindringlichsten Kampf erlebt man freilich im Innern des von Chang Chen sehr nuanciert gespielten Auftragskillers: Wie er auf nachvollziehbarem Weg Schritt für Schritt lernt, seinen bisherigen Gewaltkodex zu hinterfragen, stellt an Spannung selbst den Showdown in den Schatten.

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