Dokumentarfilm | USA 2016 | 92 Minuten

Regie: Sonia Kennebeck

Engagierter Dokumentarfilm über die Opfer des US-amerikanischen Drohnenkriegs, der den Mythos vom „sauberen“ Krieg als Trugschluss entlarvt. Das Primat der Machbarkeit entzieht sich jedem ethischen Maßstab; überdies führt das Töten mittels Joystick zu enormen psychischen Belastungen der Soldaten. Drei ehemalige US-Militärs sprechen über ihre Erfahrungen und darüber, mit welchen persönlichen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gehen. Eine Reise nach Afghanistan komplettiert das Bild um die Realität physischer Verstümmelungen. Zudem werfen die Gängelungen während der Dreharbeiten sowie die Drohung des Geheimnisverrats ein bedenkliches Licht auf den Zustand der US-amerikanischen Öffentlichkeit. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NATIONAL BIRD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Ten Forward Films
Regie
Sonia Kennebeck
Buch
Sonia Kennebeck
Kamera
Torsten Lapp
Musik
Insa Rudolph
Schnitt
Maxine Goedicke
Länge
92 Minuten
Kinostart
18.05.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über die Opfer des US-amerikanischen Drohenkriegs in Afghanistan

Diskussion
Es ist der US-General Stanley McChrystal, zuletzt Kommandant der ISAF in Afghanistan, der bei einem öffentlichen Auftritt die Schattenseiten des technologisch Machbaren anspricht. Technisch sei es kein Problem, von Bagdad aus in Echtzeit via Drohnenkamera den Einsatz einer Kampfeinheit in Afghanistan zu verfolgen. Das sei wie im Live-Fernsehen. Man könne während des Einsatzes sogar mit dem Offizier vor Ort kommunizieren. Allerdings sei das Ganze ebenso „trügerisch“ wie „verführerisch“, weil es aus 10.000 Meter Höhe suggeriere, dass man wisse, was auf der Erde vor sich gehe. Diese beiden Begriffe bringen die ganze Ambivalenz des Drohnenkrieges auf den Punkt. Verführerisch ist der Drohneneinsatz, weil er erlaubt, Kämpfe ohne Bodentruppen zu führen, zumal man durch das Sammeln und Auswerten von Daten auch potenzielle Gefährder antizipierend ausschalten kann. Als Präsident Obama auf diese „saubere“ Strategie setzte, sprach er davon, dass durch diese Technologie das Risiko ziviler Kollateralschäden minimiert werde. Die junge Heather kann über soviel Naivität auf Seiten der Politiker nur lachen: Wissen die denn gar nichts über die Kriege, die sie führen? Dass die Akteure im Drohnenkrieg einer verbindlichen Ethik folgen, ist eine trügerische Annahme. Das macht „National Bird“ eindeutig klar, was den Film von Sonia Kennebeck zu einer aufschlussreichen Ergänzung und materialistischen „Erdung“ des Essayfilms „Krieg & Spiele“ (fd 44 096) von Karin Jurschik macht. Heather hat als Soldatin der US-Air Force am Drohnenkrieg mitgewirkt, bis sie das, was sie täglich zu sehen bekam und interpretieren musste, erst nachdenklich und dann depressiv werden ließ. Die Frau aus Pennsylvania hatte sich freiwillig zur Armee gemeldet, weil sie die Welt sehen wollte und glaubte, dass die USA für das Gute stehe. Kurz vor Ende ihrer Dienstzeit galt sie als suizidgefährdet; inzwischen kämpft sie um die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung, obwohl ihr Einsatz sie nie aus den USA hinausführte. Die Filmemacherin hat sich für ihr Filmdebüt aufgemacht, die Opfer des Drohnenkrieges nicht im Nahen oder Mittleren Osten, sondern in den USA selbst zu suchen, was zunächst eine überraschende Perspektive eröffnet, die im Verlauf des Films aber revidiert wird. Mit Wim Wenders und Errol Morris konnte sie zwei prominente Mentoren für ihr gewagtes Projekt gewinnen, das sie schnell in den Grenzbereich von Geheimnis- und Landesverrat führte, in dem die US-Administration höchst empfindlich agiert. Die drei Protagonisten Heather, Lisa und Daniel müssen ihre Worte mit Bedacht wählen, um nicht unter Whistleblower-Verdacht zu geraten. Während der Dreharbeiten wird das Haus von Daniel, der bei der NSA in Fort Meade beschäftigt war, vom FBI gestürmt und durchsucht. Der Umstand, dass gegen Daniel ein Verfahren wegen Spionage eingeleitet wurde, das ihn unter Umständen für Jahrzehnte ins Gefängnis bringen könnte, ruft die Anwältin Jesselyn Radack auf den Plan, die sich ehrenamtlich für Whistleblower engagiert. Von ihr hört man, dass eine bürgerliche Existenz rasch zerstört sei, wenn man erst einmal ins Visier des FBI oder der Geheimdienste geraten sei. Auf diese Weise zeichnet Kennebeck ein beklemmendes Bild der US-amerikanischen Wirklichkeit, wo junge Soldaten ohne psychologische Betreuung im Drohnenkrieg eingesetzt werden und jemand wie Lisa nach zwei Dienstjahren dafür ausgezeichnet wird, an 121.000 Identifizierungen von Terrorverdächtigen beteiligt gewesen zu sein. Gleichzeitig aber reagiert das Militär nicht auf psychologische Gutachten und trägt durch die rigiden Geheimhaltungsvorschriften mit dazu bei, dass über die ethischen Probleme des vermeintlich „sauberen“ Tötens aus der Distanz nicht öffentlich diskutiert werden kann. Den nötigen Perspektivwechsel verdankt der Film dann der Einladung einer Nachbarin Lisas, diese nach Afghanistan zu begleiten. Hier kommt es zur Begegnung mit den anderen Opfern des Drohnenkrieges, dessen Ratio jetzt exemplarisch anhand der ausführlichen Rekonstruktion eines Kriegsverbrechens im Februar 2010 nachgezeichnet wird, bei dem 23 Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft durch einen Drohnenangriff getötet wurden. Zu den einschlägigen Bildern des Angriffs gesellt sich nicht nur die Tonspur, auf der die Gespräche der Täter zu hören sind, die unwirsch auf Forderungen nach einer differenzierten Einschätzung des Gesehenen reagieren, sondern es kommen auch die Überlebenden mit ihrer Version des Geschehens zu Wort. Die Afghanen haben im Laufe der Zeit gelernt, sich auf das Gefühl einer permanenten Beobachtung aus der Luft einzustellen. Wird die Bedrohung akut, versuchen sie zu kommunizieren, um die Gefahr abzuwenden, und halten beispielsweise Babys und Kleinkinder deutlich sichtbar gen Himmel. Welche Kosten dieser Lernprozess gefordert hat, zeigt ein Besuch in einem Krankenhaus, das auf die Fertigung von Prothesen spezialisiert ist. Dieser Versuch einer nachträglichen Aufklärung von falschen Attacken ist allerdings die seltene Ausnahme, denn der Drohnenkrieg lebt (auch) davon, dass man zwar sehen kann, wer anschließend die Leichenteile einsammelt, aber niemand vor Ort die potenziellen Ziele zuvor nach Ausweispapieren gefragt hat. Man weiß nicht, wie viele Opfer der Drohnenkrieg bislang gefordert hat, und auch nicht, wie viele unschuldige Zivilisten unter den Opfern waren. Sehr US-amerikanisch fällt dann der Schluss von „National Bird“ aus: Heathers Trauma-Diagnose wurde schließlich anerkannt; Lisa hält weiterhin durch humanitäres Engagement ihre persönlichen Schuldgefühle in Schach. Nur Daniels aktueller Aufenthaltsort ist derzeit nicht bekannt.
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