Regeln spielen keine Rolle

Drama | USA 2016 | 127 Minuten

Regie: Warren Beatty

Eine unbedarfte junge Provinz-Schönheitskönigin wird 1958 vom legendären Milliardär Howard Hughes nach Hollywood geholt. Die ersten Erfahrungen mit der Traumfabrik gestalten sich jedoch schwierig, zumal das Starlet entgegen der Studioregeln mit dem Fahrer des reichen Exzentrikers anbandelt. Das Comeback des Schauspielers Warren Beatty als Regisseur beeindruckt als intelligente Satire mit bissigen Seitenhieben auf die US-amerikanische Wirklichkeit und die Vermischung von Show-Betrieb und Politik. Zugleich ist der mit Stars bestückte Film eine kritische Hommage auf das Hollywood der 1950er-Jahre, die sich dem Mythos "Hughes" kreativ annähert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RULES DON'T APPLY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Regency Enterprises/RatPac Ent.
Regie
Warren Beatty
Buch
Warren Beatty
Kamera
Caleb Deschanel
Schnitt
Billy Weber · F. Brian Scofield · Leslie Jones · Robin Gonsalves
Darsteller
Warren Beatty (Howard Hughes) · Lily Collins (Marla Mabrey) · Alden Ehrenreich (Frank Forbes) · Annette Bening (Lucy Mabrey) · Matthew Broderick (Levar Mathis)
Länge
127 Minuten
Kinostart
04.05.2017
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Komödie | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Fox (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Fox (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl., dts dt.)
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Warren Beattys Screwball-Komödie und bissiges Drama über den legendären Howard Hughes

Diskussion
Der Multimilliardär Howard Hughes ist eine der großen mythischen Figuren in der jüngeren US-Geschichte. Ein „großer Gatsby“ der Wirklichkeit, ein Mann, für den alles möglich und alles käuflich schien, in den 1930er- und 1940er-Jahren als schillernder Glamourkönig, Filmstudio-Boss und wagemutiger Fliegerstar, später dann als ein von seinen Dämonen getriebener, psychisch kranker Paranoiker. Als Person war er ein menschenscheuer Frauenheld, charismatisch und verschroben, neugierig und paranoid, romantisch und modern – und in alledem vielleicht eine adäquate Verkörperung des „amerikanischen Jahrhunderts“. Sie hat das Kino seit jeher auch als Figur fasziniert; insbesondere in den letzten Jahren, als Haupt- oder Nebenfigur in Martin Scorseses „The Aviator“ (fd 36 877), „The Hoax“ (2006) von Lasse Hallström sowie Jonathan Demmes „Melvin und Howard“ (fd 23 416). Hughes’ seltsame Biografie war seit Jahrzehnten auch ein Herzensprojekt von Warren Beatty, der selbst zu den seltsamsten Künstlern Hollywoods gehört. Es ist wohl nicht überinterpretiert, wenn man behauptet, dass Beatty sich mit Hughes gleichermaßen identifiziert, wie er sich von ihm abgestoßen fühlt, da er Hughes’ rechtsextreme Ansichten verabscheut, aber zugleich mit der Nonchalance sympathisiert, mit der Hughes die ganze Welt und sein eigenes Leben zu seinem Kunstwerk gemacht hat. Fast zwanzig Jahre nach seiner letzten Regiearbeit „Bulworth“ (fd 33 758) hat es Beatty geschafft: Vielleicht war es eine der berühmten Listen der Geschichte, dass diese Story über einen reichen Mann, der keine Grenzen kannte und damit ganz Amerika faszinierte, genau zu dem Zeitpunkt ins Kino kommt, in dem ein anderer reicher Mann in ähnlicher Weise sein Land gefangen hält. Diese schillernd-exzentrische Hauptfigur am Rande des Nervenzusammenbruchs steht für Amerikas tagtäglichen Irrsinn. Beatty zeigt, dass dieser schon lange vor Donald Trump begann. Der einstige Sonnyboy der Traumfabrik agiert in der Doppelrolle als Regisseur und als Darsteller des Multimilliardärs, den er als durchaus würdevollen Egozentriker verkörpert. Bereits der Titel formuliert das Programm in einer von staatlichen Vorschriften, einer verselbständigten Bürokratie und selbstgewählten Tabus verwalteten Welt. In ihr wird der Millionär plötzlich zum Anarchisten. Beatty gelingt ein kreativer, überraschender Umgang mit der Figur. In der ersten halben Stunde begegnet man Hughes wie jedem echten Star nur aus der Perspektive und den Erzählungen der andern: Distanz, Achtung, Gerüchte, die Aura des Geheimnisvollen und schwer Zugänglichem umgeben ihn. Als Identifikationsfigur für den Zuschauer dient derweil eine unbedarfte Schönheitskönigin aus Virginia, die 1958 in Los Angeles bei Hughes für eine Rolle vorsprechen will. Weil das dauert, flirtet sie bis dahin mit dem Fahrer des Reichen, später wird sie dann in jeder Hinsicht ihre Unschuld verlieren. „Regeln spielen keine Rolle“ ist ein sehr lustiger Film, eine Melange aus einer Screwball-Comedy, wie sie Hughes als Studioboss produzierte, zugleich aber eine sarkastische Satire mit bissigen Seitenhieben auf die US-amerikanische Wirklichkeit, fast wie ein Werk von Robert Altman. Doch die komödiantische Seite ist nur das eine. Die andere besteht im Ernst, mit dem Beatty sich der Figur und dem Milieu nähert. Das Drama ist albtraumhaft und surreal – und gerade darin realistisch, weil es um ein Leben geht, das einem surrealen Albtraum gleicht. So fühlt man sich stellenweise an Orson Welles’ „Citizen Kane“ (fd 10 261) erinnert. Auch dies eine absurde Version Amerikas, das hier als morbide von sich selbst besessene Pop-Fantasie aus Fernseh-Illusionen, Werbe-Surrogaten und Polit-Propaganda erscheint. Der 80-jährige Beatty kehrt also in glänzender Form als Filmemacher wie Darsteller auf die Leinwand zurück. Mit Hilfe von angeblich 15 hilfreichen Produzenten und zahllosen Stars – Candice Bergen als Hughes’ duldsame Sekretärin, Matthew Broderick, Annette Bening, Alec Baldwin, Martin Sheen, Ed Harris, Paul Sorvino –, die für einen Bruchteil ihrer üblichen Gage mitwirkten, hat Beatty einen sehr unabhängigen, intelligenten und nostalgischen Film gemacht, der daran erinnert, was Hollywood und was Amerika einmal waren. „Regeln spielen keine Rolle“ ist ein eigenwilliger Außenseiterfilm, persönliches Kino, das Spaß macht, und in all seiner Lächerlichkeit eine präzise Darstellung der bis in die Gegenwart zunehmenden Vermischung aus Showbetrieb und Politik bietet.
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