Schule, Schule - Die Zeit nach Berg Fidel

Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 98 Minuten

Regie: Hella Wenders

Sechs Jahre nach der Langzeitstudie „Berg Fidel – Eine Schule für alle“ (2011) über eine inklusive Grundschule in Münster heftet sich die Dokumentaristin Hella Wenders erneut an die Fersen der damaligen Protagonisten. Sie befragt die inzwischen Pubertierenden ausführlich, lässt aber auch Eltern und Lehrer zu Wort kommen. Daraus resultiert kein abwägendes Essay über das Für und Wider gemeinsamen Lernens, vielmehr ein einfühlsamer Dokumentarfilm über vier junge Menschen auf der Suche nach ihrem Platz in dem auf Messbarkeit fixierten Schulgefüge. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Augenschein Filmprod./Hella Wenders/ZDF/Das kleine Fernsehspiel
Regie
Hella Wenders
Buch
Hella Wenders
Kamera
Luca Lucchesi
Musik
Tina Pepper
Schnitt
Verena Neumann
Länge
98 Minuten
Kinostart
21.09.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Einfühlsame Doku über vier junge Menschen. Fortsetzung von "Berg Fidel - Eine Schule für alle"

Diskussion
Wo wir selbst schon einmal waren, da kennen wir uns aus. Entsprechend kompetent fühlen wir uns, wenn das Gespräch auf das große Thema Schule kommt: Jeder musste da hin. Manche haben sich gestresst, andere gelangweilt, fast alle haben Freundschaften geschlossen oder erste Liebschaften gefunden. Einige gingen gern zur Schule oder hatten sogar Angst davor – mancher hat sie heute immer noch. Für Foucault ist die Schule eine Institution, die das junge Subjekt zurichtet und unterwirft. Die in modernes „Projektsprech“ verpackten bildungspolitischen Zankäpfel sind derzeit zwar andere: Pisa, G8, Integration. Doch dahinter steckt immer die Globalfrage: „Was macht eine gute Schule aus?“ Diese Frage stellte sich die Dokumentarfilmregisseurin Hella Wenders schon 2011 in ihrer Langzeitstudie „Berg Fidel – Eine Schule für alle“ (fd 41 265) Berg Fidel ist eine inklusive Grundschule in Münster, in der Schüler unterschiedlicher Altersgruppen miteinander lernen. Noten gibt es nicht. Der Film heftete sich an die Fersen von vier sehr unterschiedlichen Protagonisten: David, der Astronom werden wollte, um die Frage nach dem Ende des Weltalls zu ergründen. Sein Bruder Jakob, ein agiler und bei allen beliebter Junge mit Down-Syndrom. Samira, ein burschikoses und eigenbrötlerisches Mädchen. Und schließlich Anita, die als Kleinkind mit ihren Eltern aus dem Kosovo kam und um ihre Aufenthaltserlaubnis bangte. Sechs Jahre später, also mehr als eine Grundschulzeit nach „Berg Fidel“, hat Wenders ihre jungen Protagonisten erneut aufgesucht: Samira ist nun auf einer leistungsorientierten Gesamtschule und beklagt das frühe Einsortieren. Jakob geht auf eine Montessori-Schule, Anita bemüht sich um einen Hauptschulabschluss (sonst droht die Abschiebung), David möchte ans Gymnasium. Hella Wenders, nebenbei die Nichte von Wim Wenders, nähert sich ihren originellen Helden auf behutsame Weise. Sie hört ihnen zu, wenn es um ersten Liebeskummer und Cliquenfindung geht. Denn vor der Vorbereitung auf das Berufsleben ist die Schule zunächst ein Ort des Austauschs. Langzeitbegleitungen haben als Zeugnisse der Veränderung ihren eigenen filmischen Reiz. Das beweisen neben dokumentarischen Formen wie „Die Kinder von Golzow“ (1961-2007) oder „Berlin Ecke Bundesplatz“ (1986-2012) auch manche Spielfilme von Richard Linklater, der sich für sein magisches „Boyhood“ (fd 42 403) auch der Kinder in seiner Umgebung bediente. „Schule, Schule“ ist viel weniger elliptisch, stärker in seiner Form verwurzelt. Der Film hat nichts Anklagendes, auch wenn er Notendruck und Anpassungszwang anspricht. Wem die Sympathien gelten, wird dennoch rasch klar: den Unkonventionellen, den Individuellen, auch den Eremiten: „Schön, wenn man sich von der Außenwelt abschließen kann“, sagt der kleine, ungewöhnlich reflektierte David einmal. Dem Off-Kommentar hätte mehr Bestimmtheit nicht geschadet: Betonung und Duktus wirken bisweilen betulich und anfangs auch belehrend: „David wurde am Gymnasium abgelehnt, was nur schwer nachvollziehbar war.“ Für wen? Die Zuschauer kennen ihn ja noch gar nicht. Dieses vage Wertende passt nicht zu den sehr persönlichen, aussagekräftigen Selbstreflexionen der jungen Menschen. Deren Eltern kommen erst recht spät vor, allesamt kritische Geister, welche die vorherrschende, auf Messbares fixierte Verwaltung von Bildung in Frage stellen. Der Film nimmt eine ähnliche Haltung ein, ohne die Heranwachsenden als Opfer eines Systems zu zeichnen. Auch das harte Brot der engagierten Lehrerinnen findet Erwähnung. „Schule, Schule“ ist kein abwägender Essay über die Vorzüge des gemeinsamen Lernens. Diese Folgestudie präsentiert keine griffige Definition einer guten Schule, weil sie das gar nicht will. Die Regisseurin begleitet ihre Schützlinge vielmehr mit Sympathie, scheut aber auch vor Nachfragen nicht zurück. Ein leiser, unaufgeregter Film.
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