Tanna - Eine verbotene Liebe

Drama | Australien 2015 | 100 Minuten

Regie: Martin Butler

Exotisches Melodram, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Stamm der Yakel auf der südpazifischen Insel Tanna: Ein Liebespaar widersetzt sich der Tradition, als die junge Frau in einen verfeindeten Stamm verheiratet werden soll, um einen Konflikt beizulegen. Sie verweigert sich dem "Bräutetausch" und flieht mit ihrem Geliebten. Der Film setzt die Figuren eindrucksvoll in Beziehung zur Natur und nimmt sich viel Zeit, um den Alltag der Yakel zu erkunden; dabei erzählt er vom Stolz über ihr Brauchtum, das sich gegen kolonialistische Einflüsse behauptete, aber auch von der Fähigkeit, Lernprozesse und neue Erfahrungen in die eigene Identität zu integrieren. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TANNA
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Contact Films
Regie
Martin Butler · Bentley Dean
Buch
Martin Butler · John Collee · Bentley Dean
Kamera
Bentley Dean
Musik
Antony Partos
Schnitt
Tania Nehme
Darsteller
Kapan Cook (Kapan Cook) · Mungau Dain (Dain) · Charlie Kahla (Häuptling Charlie) · Lingai Kowia (Vater) · Dadwa Mungau (Großmutter)
Länge
100 Minuten
Kinostart
30.03.2017
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Exotisches Melodrama um ein Liebespaar auf der südpazifischen Insel Tanna

Diskussion
In einer Szene dieses exotischen Melodrams zeigt ein Großvater, der gleichzeitig der Schamane des Stamms der Yakel ist, seiner Enkelin Selin von fern die Häuser im Tal, in denen die Christen wohnen. Der alte Mann versteht das als Warnung: Selin ist ihm und den anderen Erwachsenen zu wild; sie schert sich wenig um die Befehle ihrer Eltern und die Tabus des Stammes. Der Großvater will ihr nun zeigen, wie wichtig es ist, die Älteren und die Traditionen zu respektieren, indem er sie auf die latente Bedrohung ihrer Lebensweise durch fremde Einflüsse hinweist. Der Alte will die Verbundenheit seiner Enkelin mit dem „Kastom“ stärken, dem überlieferten Glaubens- und Lebenssystem der Yakel. Das verhindert aber nicht, dass der indigene Stamm, der auf der südpazifischen Insel Tanna lebt, bald darauf in eine schwere Krise stürzt. Denn bei dem Ausflug mit Selin wird der Großvater von Kriegern eines verfeindeten Stammes verletzt; eine kriegerische Auseinandersetzung liegt in der Luft. Um den Konflikt friedlich zu lösen, kommen die Stämme überein, nach alter Gepflogenheit untereinander Bräute auszutauschen. Die dafür ausersehene Yakel-Frau ist Selins ältere Schwester Wawa. Die allerdings liebt den Häuptlingssohn Dain; das Paar weigert sich, die Tradition der arrangierten Ehen fortzuführen. Der Kampf um diese Liebe wird zur gefährlichen politischen Affäre, die in eine bewaffnete Auseinandersetzung zu münden droht. Die wunderbare Kameraarbeit der sonst eher aufs Dokumentarische spezialisierten Filmemacher Martin Butler und Bentley Dean muss sich hinter Murnaus „Tabu“ (fd 1141), an den man hier immer wieder erinnert wird, durchaus nicht verstecken: ähnlich liebevoll werden die Figuren in enge Relation zur sie umgebenden Natur gesetzt, bis hin zum herzzerreißenden Finale am Krater des Vulkans, der als „Geistmutter“ eine wichtige Rolle spielt. Die Regisseure nehmen sich viel Zeit, am Rande auch den Alltag der Yakel zu beobachten. Mit großer Empathie taucht der Film in ihre Lebenswelt ein, setzt sie aber auch dezent zu ihrem Umfeld in Relation: Die sogenannte „Zivilisation“ hat auch auf Tanna längst Fuß gefasst. Schon im späten 18. Jahrhundert entriss der Entdecker James Cook die Insel ihrer Abgeschiedenheit, im 19. Jahrhundert suchten australische Sklavenhändler die indigene Bevölkerung heim; 1907 wurde Tanna Teil des britisch-französischen Kondominiums der Neuen Hebriden, aus dem erst 1980 ein souveräner Inselstaat wurde. Diese Kolonialgeschichte wird in „Tanna“ nur angerissen, ist aber durchaus bedeutsam: Die Sorge der Yakel, ihr Brauchtum zu erhalten, wird vor dem Hintergrund der langen Bedrohung ihrer Lebensweise erst richtig verständlich. Deshalb bringt man den älteren Charakteren des Films, etwa Dains Vater oder Wawas Großmutter, die rigide für den Erhalt der Traditionen eintreten, durchaus Verständnis entgegen, auch wenn die Solidarität des Films primär den Freiheitsbestrebungen von Wawa, Dain und der aufmüpfigen Selin gilt . Der Film entstand als enge Kollaboration mit den Yakel, die die Handlung entwickelt haben und sämtliche Rollen verkörpern. „Tanna“ ist deshalb keine westliche „Ethnografie“, sondern eine Mischung aus Selbst- und Fremdrepräsentation. Man merkt dem Film die Neugier und Schaulust an, mit der die britischen Dokumentaristen die exotische Lebenswelt und Landschaft erkunden, aber auch den Stolz der Yakel, die hier etwas über sich selbst und ihre Erfahrungen mitteilen. Das schlägt sich unter anderem darin nieder, dass der Film trotz aller motivischen Ähnlichkeiten vor allem gegen Ende einen ganz anderen Ton anschlägt als Murnaus „Tabu“: Die Tragödie einer verbotenen Liebe wird hier nicht zum Fanal unversöhnlicher Gegensätze (Natur und moderne Zivilisation, Bewahrung und Veränderung), sondern entpuppt sich als Teil des kollektiven Erfahrungsschatzes und Motor eines Lernprozesses, den die Yakel erfolgreich hinter sich gebracht haben. Womit „Tanna“ eine auch über die Inselränder hinaus ermutigende Botschaft anklingen lässt: Identität verträgt Veränderung.
Kommentar verfassen

Kommentieren