Drama | Deutschland 2016 | 75 Minuten

Regie: Alexandra Balteanu

Unter einer Autobahnbrücke in der Nähe von Bukarest bieten sich drei Sexarbeiterinnen vorbeifahrenden Auto- und Lastwagenfahrern an. Der dokumentarisch anmutende Spielfilm schildert 24 Stunden in dem von Repressionen und Ängsten geprägten Leben der Frauen. Abseits von stereotypen Bildern über Sexarbeit und dramaturgischen Zuspitzungen erkundet er in langen Kameraeinstellungen und mittels einer präzisen Klanggestaltung den von Warten und Ausharren geprägten Alltag der Frauen ebenso wie die Topografie eines unwirtlichen Ortes. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
dffb
Regie
Alexandra Balteanu
Buch
Xandra Popescu · Alexandra Balteanu
Kamera
Matan Radin
Musik
Nimrod Gilboa
Schnitt
Antonella Sarubbi
Darsteller
Corina Moise (Lidia) · Iulia Lumânare (Denisa) · Iulia Ciochina (Vanessa) · Sergiu Costache · Dragos Olaru
Länge
75 Minuten
Kinostart
07.12.2017
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Dokumentarisch anmutender Spielfilm über Prostitution bei Bukarest

Diskussion
„Vânătoare“ ist das rumänische Wort für Jagd. Bleibt man bei dem sprachlichen Bild, so wäre in Alexandra Balteanus Debütfilm der Raum unter der Autobahnbrücke, die Bukarest mit der nächsten Stadt verbindet, das Jagdrevier. An einem windigen grauen Tag bieten sich hier die Sexarbeiterinnen Lidia, Denisa und Vanessa den vorbeifahrenden Auto- und Lastwagenfahrern an, für einen Dumpingpreis von 30 bis 40 Leu (umgerechnet nicht einmal 10 Euro). Von der Heftigkeit, Eile und Hast, die der Titel impliziert, ist indes wenig zu spüren. Immer wieder gerät die Erzählung ins Stocken, wendet sich der Druck der Figuren nach innen. „Vânătoare“ ist ein Film, der sich in langen Kameraeinstellungen ausgiebig mit dem Warten und Ausharren beschäftigt, und mit dem Verstreichen von Zeit (womit das Wesen der Jagd dann doch wieder getroffen ist). Den Dienstleistungsanteil der Sexarbeit zeigt der Film hingegen nicht. Alexandra Balteanu, eine in Rumänien geborene dffb-Studentin, erkundet den Arbeitsalltag der Frauen primär über die Topografie des Ortes (oder eher: Unortes). Dabei bespielt der Film das gesamte Terrain unter und neben der Autobahnbrücke, den öffentlichen Raum wie auch die darin verborgenen Nischen des Privaten: von den wenig einsehbaren Ecken, wo Häkelstrickjacken und Sneakers gegen hohe Schuhe und enge Oberteile eingetauscht werden, dem als Toilette genutzten Gebüsch über das abschüssige Betongelände (ein unwirtlicher Pausenplatz) bis hin zu den neben den Gleisen gelegenen Fahrbahnrändern, dem Strich. Nicht nur akustisch belastet der Ort die Nerven von Protagonistinnen und Zuschauern: der tosende Verkehrslärm ist als Hintergrundsound allgegenwärtig, vorbeifahrende LKWs verstellen das Bild, Straßenhunde streunen herum, nur selten hält eines der Fahrzeuge an. In diesen desolaten Stressraum platziert Balteanu ausgiebige, keinem Handlungszweck dienende Gespräche. Sie kreisen meist um Geld: wer wie viel hat, für was es ausgegeben wird, was etwas kostet etc. Es geht aber auch um die eigenen Kinder, neue Turnschuhe oder einen noch zu findenden Traummann. „Vânătoare“ spart die Repressionen, Ängste und Härten der Sexarbeit nicht aus; in einer langen, beunruhigend zerdehnten Sequenz werden die drei Frauen von korrupten Polizisten aufgegriffen, ausgeraubt und eingeschüchtert. Dennoch geht es Balteanu um die restautonomen Räume innerhalb der systemischen Zwänge: das Streiten um das hart verdiente Geld, das Verhandeln, das Sich-Wehren und, mehr als alles andere, um das bloße Sein jenseits narrativer Zwänge; die Inszenierung interessiert sich nicht dafür, mit möglichst unmenschlich gezeichneten Männerfiguren die Prostitution spekulativ auszuschlachten. Balteanu hat in der Vorbereitung wochenlang eine Organisation begleitet, die Präventionsarbeit für Sexarbeiterinnen in und um Bukarest leistet. Diese Recherche bildet sich ab. So ist der dokumentarische Stil keine bloße Form, hinter der sich kalkuliert gesetzte Plotpoints verstecken, sondern die filmisch übersetzte Beobachtung gelebter Erfahrung. Lidia, Denisa und Vanessa sind zwar durchaus „cinematische“ Figuren, aber ein Leben außerhalb des Films ist immer vorstellbar.
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