Melodram | Frankreich/Deutschland/Belgien 2014 | 104 Minuten

Regie: Benoît Jacquot

Während eines Aufenthalts in der Provinz verliebt sich ein penibler Steuerprüfer in eine unbekannte Frau, doch ihr romantisches Wiedersehen in Paris wird durch unvorhersehbare Umstände vereitelt. Wenig später begegnet der Mann einer anderen Frau, für die er beruflich wie auch privat der ideale Begleiter zu sein scheint. Als die Hochzeit beschlossen ist, entdeckt er, dass sie die Schwester der Unbekannten ist. Ein stilistisch ausgefeiltes Melodram, zugleich eine Hommage an klassische Vorbilder sowie eine Reflexion des Genres. Inszenatorisches Feingefühl und hervorragende Darsteller sorgen für Gefühlskino mit Tiefgang, das erst gegen Ende ein wenig an Fahrt verliert. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TROIS COEURS
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Belgien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Rectangle Prod./Pandora Film Prod./Scope Pic./Wild Bunch/Arte France Cinéma/WDR-ARTE/Rhône-Alpes Cinéma
Regie
Benoît Jacquot
Buch
Julien Boivent · Benoît Jacquot
Kamera
Julien Hirsch
Musik
Bruno Coulais
Schnitt
Julia Gregory
Darsteller
Benoît Poelvoorde (Marc) · Charlotte Gainsbourg (Sylvie) · Chiara Mastroianni (Sophie) · Catherine Deneuve (Madame Berger) · André Marcon (Bürgermeister)
Länge
104 Minuten
Kinostart
19.03.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Melodram
Externe Links
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Diskussion
Zu den unumstößlichen Lehren von Liebesgeschichten gehört, dass Glück und Schmerz sich allein im menschlichen Herz verorten lassen, auch wenn diese Zuschreibung medizinisch noch so fragwürdig erscheinen mag. Benoît Jacquots „3 Herzen“ ist deshalb von Vornherein auch als ironische Reflexion über die Paradigmen des Liebesfilms zu verstehen: Der französische Regisseur bezieht sich nicht nur im übertragenen Sinn auf eine Dreierkonstellation, sondern beschreibt auch ganz wörtlich deren Auswirkungen auf die Liebesorgane der Beteiligten. Ganz besonders betrifft das den männlichen Protagonisten Marc, dessen Herz durch die Liebeswirren extreme Belastungen aushalten muss, was ihn wiederholt in die Nähe eines Infarkts bringt. Während Jacquot zuletzt in Kostümfilmen wie „Leb wohl, meine Königin!“ (fd 41 082) zeitlose Aspekte an historischen Klassenkonflikten beleuchtete, ist „3 Herzen“ in einem vordergründig realistisch gezeichneten bürgerlichen Kosmos der Gegenwart angesiedelt. Marc ist alles andere als der selbstbewusste Verführer in der Tradition klassischer französischer Ménage-à-trois-Filme wie „Die Dinge des Lebens“ (fd 17 124). Mit dem belgischen Charakterkopf Benoît Poelvoorde besetzt, erscheint er zuerst als nüchternes, beinahe farbloses Musterexemplar eines peniblen, nicht mehr ganz jungen und gesunden Steuerprüfers. Eines Abends wird sein Leben jedoch aus den prosaischen Bahnen gerissen, als er den letzten Zug nach Paris verpasst und bis zum nächsten Morgen in einer Kleinstadt strandet. In einer Bar fällt ihm eine junge Frau auf, der er aus einer Laune heraus folgt und die sich als ähnlich verloren wie er erweist. Gemeinsam schlendern sie den Rest der Nacht durch die menschenleeren Straßen. Bei Sonnenaufgang verabschieden sie sich, ohne einander ihre Namen genannt zu haben, und verabreden, sich einige Tage später im Pariser Jardin des Tuileries wiederzutreffen. Ein Plan, mit dem Jacquot dezidiert auf vielfach verfilmte und kopierte US-Melodramen wie „Back Street“ und „Ruhelose Liebe“ (fd 1264) verweist, und der wie in den Vorbildern an der schnöden Wirklichkeit scheitert. Marc wird durch Ärger bei der Arbeit, einen Unfall und akute gesundheitliche Probleme am pünktlichen Erscheinen gehindert; als er endlich auftaucht, ist die unbekannte Geliebte bereits enttäuscht wieder verschwunden. Zuhause eröffnet sie ihrem Freund, mit dem sie eigentlich Schluss machen wollte, dass sie ihn nun doch in die USA begleitet, wenn er dort seinen neuen Job antritt. Jacquot stimmt auf dieses Desaster schon ein, wenn er die Bilder der ersten Begegnung mit einem düsteren Streicher-Motiv unterlegt, das den ganzen Film über bewusst hält, dass am Ende kein ungetrübtes Glück stehen wird. Der Regisseur beweist aber auch seine subtile Ironie, indem er im Anschluss an das missglückte Rendezvous auch die Geschichte einer gleichsam optimal verlaufenden Liebesbeziehung erzählt. Nachdem Marc sich einigermaßen erholt hat, begegnet er an seinem Arbeitsplatz einer weinenden Frau, die wegen angeblich falscher Abrechnungen herbeizitiert wurde. Er kann ihr nicht nur bei ihrem Steuerproblem helfen, sondern knüpft auch privat ein enges Verhältnis zu der verschüchterten Sophie an. Bislang hat sie im Antiquitätengeschäft ihrer Familie immer nur die zweite Geige hinter ihrer Schwester Sylvie gespielt; doch nun hat sie in Marc nicht nur eine berufliche Stütze, sondern auch den idealen Mann für eine glückliche Ehe gefunden. Dass Sylvie Marcs geliebte Unbekannte ist, weiß der Zuschauer von Anfang an; die Spannung bezieht der Film zuerst aus der Ungewissheit, wann die beiden auf die Wahrheit stoßen werden, und später aus den unabsehbaren Folgen der Erkenntnis für alle drei. Die Glaubwürdigkeit der Dreiecksbeziehung und der zurückgehaltenen Gefühle – selbst über Jahre hinweg – tritt dabei naturgemäß hinter Jacquots tieferliegenden Absichten zurück: „3 Herzen“ ist eine höchst ernsthafte Beschäftigung mit der Frage, welche Chancen (filmische) Romantik in einer durchkalkulierten und durchmedialisierten Zeit noch haben kann. Dass das Ergebnis keine verkopfte Melodramen-Abhandlung, sondern packendes Gefühlskino geworden ist, das erst im letzten Drittel etwas an Fahrt verliert, verdankt sich neben dem Feingefühl des Regisseurs vor allem auch den drei Hauptdarstellern: Charlotte Gainsbourg und Chiara Mastroianni in den differenziert gezeichneten Rollen der Herzdamen, und Poelvoorde, der mit fiebrigem Spiel eine profunde Studie existenzieller Angst angesichts all der verpassten Chancen im Leben bietet.
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