Dokumentarfilm | Österreich 2015 | 104 Minuten

Regie: Friedrich Moser

Dokumentarfilm über Aufstieg und Fall des mathematischen Genies Bill Binney (geb. 1943), der davon überzeugt war, er könne mit seinem algorithmenbasierten Obervierungsprogramm „ThinThread“ die Suche nach terroristischen Bedrohungen revolutionieren, dann aber an Vorteilsnahmen und Vetternwirtschaft innerhalb der NSA scheiterte. Die spannende, formal brillant gestaltete investigative Analyse fördert erstaunliche Fakten zutage, die den US-amerikanischen Sicherheitsdienst NSA als ein von Korruption geleitetes Unternehmen zeigen. Seine Argumentationsführung schwächt der Film dadurch, dass er allzu unkritisch Binneys Behauptung übernimmt, dass nur sein Programm die Terroranschläge von 9/11 hätte verhindern können. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
A GOOD AMERICAN
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
blue+green communication
Regie
Friedrich Moser
Buch
Friedrich Moser
Kamera
Friedrich Moser
Musik
Christopher Slaski · Guy Farley
Schnitt
Jesper Osmund · Kirk von Heflin
Länge
104 Minuten
Kinostart
03.11.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Porträt eines geschassten Geheimdienst-Analysten

Diskussion
„Ich wollte, dass klar war, dass ich nie Selbstmord begehen würde! Es wäre nie Selbstmord, wenn mir etwas zustoßen würde!“ Verbindet man solche Aussagen mit dem Statement, dass sein von der NSA gestopptes Observierungsprogramm „ThinThread“ mit Sicherheit die Anschläge von 9/11 verhindert hätte, wird deutlich, mit welchen Dämonen hier jemand kämpft: Ist Bill Binney einer dieser vielen verrückten Verschwörungstheoretiker, die glauben, dass mehr Gefahr vom Staat und seinen korrupten Organisationen ausgeht als von den Terroristen des IS? Nein, in gewisser Weise aber auch: Ja. Der Mathematiker aus Pennsylvania bezeichnete sich immer schon als „guten Amerikaner“. Und er tut dies auch noch, als er als ehemaliger Nachrichtendienst-Mitarbeiter und Technischer Direktor der National Security Agency (NSA) nicht mehr haltbar ist und aus ethischen Gründen seinen Arbeitgeber verlässt. Bis heute will er Gefahr vom US-amerikanischen Volk abwenden und generiert dafür aus Zahlen und Daten Informationen. Bereits während des Vietnam-Kriegs wurde seine Begabung zum abstrakten mathematischen Denken sowie zum Kombinieren entdeckt und gefördert. Seine Karriere ging in die Schalt- und Observierungszentralen der Macht schnell und steil nach oben – bis ihm sein Gewissen politisch das Genick brach. Der österreichische Dokumentarfilmer Friedrich Moser hat lange mit Bill Binney und seinen Kollegen vom „ThinThread“-Projekt gesprochen. Unerhörtes hat er dabei erfahren, gewiss auch Delikates, das besser nicht an die Öffentlichkeit hätte gelangen sollen. Sein Film erzählt eine immens spannende Geschichte, auch ohne dass Binney sie mit seinen bizarren Selbstmord-Statements hätte begleiten müssen. Der inzwischen 73-Jährige bekam zuletzt 2007 sehr unsanft Kontakt mit den Stoßtrupps des FBI; doch trotz all seiner Kritik an Vorteilsnahmen und Vetternwirtschaft innerhalb der NSA konnte man ihm nie eine Straftat nachweisen. Auch als Whistleblower war er nur bedingt eine Gefahr, gleichwohl ist das, was der Regisseur mit seinen Recherchen öffentlich macht, allemal spannender als ein veritabler Spionage-Krimi. Binney war auf bestem Wege, mit seinem genialischen Algorithmen-Programm „ThinThread“ aus dem Wust selbst anonymisierter Daten Bewegungs- und Gefährdungsprofile von Terroristen zu extrahieren. Doch wie so häufig gewann auch hier nicht die beste Idee, sondern die mit der besten Lobby. Die Kräfte, die innerhalb der NSA am Werk waren, wandten sich gegen das Genie, ein mittelmäßiges Forscherteam bekam den Zuschlag für ein Konzept, das in seiner Datensammelwut keine Grenzen kennt. Moser geht in der Dramaturgie seines Dokumentarfilms höchst geschickt, zudem visuell atemberaubend vor. Ein wenig erinnert das durchgestylte Endergebnis an die Filme von Doku-Künstler und Doku-Agitator Errol Morris („Fog of War“). Raffiniert macht er den Zuschauer mit dem Sonderling Binney bekannt und erzählt die Geschichte des Genies als Heldenreise, bis sie, von dunklen Machenschaften befeuert, ein abruptes Ende findet. Gebannt schaut man den ungeheuerlich scheinenden, aber offenbar wohl belegbaren Machenschaften der Behörden zu, die laut Binney 9/11 erst möglich machten, schlimmer noch, die sich auch als finanzielle Nutznießer der Katastrophe gerieren. Mosers Dramaturgie birgt freilich Gefahren. Sicher ist es kein Wunder, das Binney und seine Kollegen von ihrem Produkt überzeugt sind, doch ist es wirklich statthaft, das Scheitern von „ThinThread“ mit den wenig später einstürzenden Türmen des World Trade Centers in Zusammenhang zu bringen? Wäre 9/11 mit „ThinThread“ tatsächlich zu verhindern gewesen? Es ist ein müßiges Gedankenspiel, doch mit ihm kokettiert auch „A Good American“, wobei er vernachlässigt, dass bei aller scheinbar perfekten Observierungstechnik der einzelne Mensch und sein Handeln letztendlich irrational und unberechenbar sein können. Abseits eines solch eher unstatthaften Postulats bietet „A Good American“ immerhin eine Menge Fakten, die die (US-amerikanischen) Überwachungsprogramme und ihre Schöpfer in einem mehr als fahlen Licht erscheinen lassen.
Kommentar verfassen

Kommentieren