Anni Felici - Barfuß durchs Leben

Drama | Italien/Frankreich 2013 | 100 Minuten

Regie: Daniele Luchetti

Im Sommer 1974 lassen sich ein exzentrischer italienischer Künstler und seine Ehefrau vom Freiheitstaumel der westlichen Jugend mitreißen, während ihre beiden Söhne das Nachsehen haben. Obwohl der Maler sich öfters mit seinen Models vergnügt, will er eine lesbische Beziehung seiner Frau mit einer Galeristin nicht tolerieren. Der autobiografisch gefärbte Film von Regisseur Daniele Luchetti verknüpft Elemente seiner eigenen Familien- mit der Zeitgeschichte und erzählt mit Empathie und leiser Ironie von den Lebenslügen der Linken, der Heuchelei des Kunstbetriebs, aber auch vom gesellschaftlichen Befreiungsschlag jener Jahre. Der stimmig ausgestattete und hervorragend gespielte Film wirft einen nostalgischen Blick auf die Ästhetik der 1970er-Jahre und versteht sich zugleich als Reminiszenz an das Medium Film. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ANNI FELICI
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Cattleya/Babe Film/Rai Cinema
Regie
Daniele Luchetti
Buch
Sandro Petraglia · Stefano Rulli · Caterina Venturini
Kamera
Claudio Collepiccolo
Musik
Franco Piersanti
Schnitt
Mirco Garrone · Francesco Garrone
Darsteller
Kim Rossi Stuart (Guido) · Micaela Ramazzotti (Serena) · Martina Gedeck (Helke) · Samuel Garofalo (Dario) · Niccolò Calvagna (Paolo)
Länge
100 Minuten
Kinostart
27.08.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Camino (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Familien- und Zeitporträt aus den 1970er-Jahren in Italien

Diskussion
„Alles, was schön ist, muss neu sein!“, trichtert Guido seinen beiden Söhnen ein. Und ist enttäuscht, wenn diese eine figürliche Madonnendarstellung der blauen Monochromie seines großen Vorbilds Yves Klein vorziehen. Guido möchte ein avantgardistischer Künstler sein, bleibt aber doch nur ein müder Abklatsch seines französischen Idols. Guidos Frau Serena hingegen ist nach sehr klassischen Kriterien „schön“. Doch zwischen seine Kunst und seine Familie, seine öffentlich zelebrierte Haltung und sein Privatleben zieht Guido ohnehin tiefe Gräben: Nicht nur, dass er wütend ist, wenn seine eher bürgerliche Frau mit den Kindern bei seinen Performances auftaucht oder in der Akademie, wo er unterrichtet. Als Serena dann auch noch die von ihm propagierten Freiheiten selbst auslebt, reagiert Guido nicht anders als ein herkömmlicher Chauvinist. „Anni Felici“ spielt im Jahr 1974, inmitten des Freiheitstaumels der westlichen Jugend, der Verheißung und Bürde zugleich war. Das Paar Serena-Guido lässt sich von diesem Taumel mitreißen; die Söhne Paolo und Dario bleiben bei der von Leidenschaft wie Abweisung geprägten Liebe die Zaungäste: Sie werden von ihrer Mutter um ihr Taschengeld wie ihre Liebe erpresst, aber das Zentrum, um das die in Liebesdingen fast kindliche Serena kreist, ist doch der zunehmend abwesende Vater. Bis Serena Helke kennenlernt, die selbstbewusste Galeristin ihres Mannes, die sie mit auf ein Feministinnen-Camp nach Frankreich nimmt, wo sich die beiden Frauen ineinander verlieben. Wie schon in „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ (fd 38 720) verknüpft Regisseur Daniele Luchetti Familien- und Zeitgeschichte, wenngleich diesmal weniger auf einer explizit politischen denn einer gesellschaftlichen Ebene. Luchettis autobiographisch geprägtes Alter Ego ist der etwa 10-jährige Dario, der mit einer Super-8-Kamera jenen Sommer dokumentiert und das Geschehen als erwachsener Ich-Erzähler (im Original vom Regisseur selbst gesprochen) in der Rückschau kommentiert. Allerdings ist der das Zeitkolorit stimmig einfangende Film keine Abrechnung mit der eigenen Elterngeneration geworden, um die es sich hier bei aller künstlerischen Freiheit handelt. Luchettis Blick auf seine so egozentrischen wie warmherzigen Eltern ist vor allem von Empathie und einer leisen Ironie geprägt, die sich auch im Filmtitel „Anni Felici“, glückliche Jahre, niederschlägt. Der nostalgische Blick zielt dabei nicht so sehr auf die neuen gesellschaftlichen Freiheitsversprechen, die Luchetti als das zeigt, was sie bei aller Emanzipation partiell auch waren: nämlich reiner Egoismus im Mantel angeblicher Selbstverwirklichung; er meint vielmehr die Ästhetik jener Jahre, die sich in der Mode, dem Autodesign oder der körnigen Optik von Darios Super-8-Filmen niederschlägt. Für Luchetti ist der mit einer fast ständig in Bewegung befindlichen Kamera fotografierte Film auch eine Reminiszenz an das in digitalen Zeiten „entbehrlich“ gewordene Medium Film: „Anni Felici“ wird wohl Luchettis letzte Produktion auf 35mm sein. Der im Deutschen eher willkürliche Untertitel „Barfuß durchs Leben“ ist allerdings nicht nur ein Film über die Lebenslügen der Linken und die Heuchelei eines auf pure Provokation schielenden Kunstbetriebs. „Anni Felici“ besitzt darüber hinaus Gültigkeit: Als Film über das Gleichgewicht, das man verliert, wenn sich nur eine Achse ein wenig verschiebt. Und als Film über die Unschuld, wie sie abhanden kommt – und wie man sie wieder findet, nämlich durch Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Guido, indem er seine Posen aufgibt und sich statt am Gehabe der Kunstwelt an seinen eigenen Maximen orientiert; Serena, indem sie erkennt, dass sie nicht als liebendes Anhängsel eines anderen Menschen existieren kann. Kim Rossi Stuart und Micaela Ramazotti spielen diese beiden verlorenen, am Ende jedoch vielleicht auch „glücklichen“ Seelen mit eben jener Empathie und Leidenschaft, wie sie dieser Film verdient hat.
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