B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989

Dokumentarfilm | Deutschland 2015 | 92 Minuten

Regie: Jörg A. Hoppe

Materialreiche Dokumentation über die legendäre West-Berliner Subkultur, die auf fiktionales wie dokumentarisches Material aus vielen Quellen zurückgreift und eine ergänzende bis alternative Sicht zur aktuellen Remythisierung des Jahrzehnts bis zum Mauerfall beisteuert. Moderiert vom eigenwilligen britischen Erzähler Mark Reeder, den es damals ebenfalls nach Berlin verschlagen hatte, steuern einschlägige Szene-Größen von Blixa Bargeld bis Dr. Motte ihre persönlichen Erinnerungen an eine Epoche bei, die ihrer Zeit weit voraus war, dann aber von der Geschichte eingeholt wurde. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
DEF Media/Interzone Pic./Scenes From
Regie
Jörg A. Hoppe · Heiko Lange · Klaus Maeck
Buch
Jörg A. Hoppe · Heiko Lange · Klaus Maeck
Kamera
Till Vielrose
Musik
Mark Reeder · Michael Adam
Schnitt
Alexander von Sturmfeder
Länge
92 Minuten
Kinostart
21.05.2015
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Neben den Standardausgaben (DVD & BD), die kaume erwähnenswerte Extras beinhalten, ist zudem eine sogenannte "B-Movie - Gesamtbox" erschienen, die den Film auf DVD und BD enthält, den Soundtrack auf CD und Vinyl, das 224-seitige Buch zum Film sowie einige Merchandising-Produkte.

Verleih DVD
Edel (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt./engl.)
Verleih Blu-ray
Edel (16:9, 1.78:1, dts-HDMA dt./engl.)
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Materialreiche Dokumentation über die legendäre West-Berliner Subkultur in den 1980er-Jahren

Diskussion
Als im Sommer 1981 Kid P. im Auftrag des Hamburger Musikmagazins „Sounds“ nach West-Berlin reiste, um dort „die Wahrheit über Berlin“ zu recherchieren, bot sich dem Reporter ein Bild des Schreckens: „Berlin besteht heute aus Rentnern, Türken und Versagern.“ Weil aber „Sounds“ ein Musikmagazin war, widmete sich der Reporter ausschließlich der Gruppe der Versager, die aus unterschiedlichsten Gründen in die Mauerstadt gezogen waren, um mit Musik-, Kunst- und Lifestyle-Projekten in der „Frontstadt“ die Nacht zum Tage zu machen. Aus der Hamburger Sicht eines Kid P. hatte die West-Berliner Musikszene damals allerdings schon komplett den Anschluss verloren und spielte in einer Liga mit Hannover oder Bottrop. Jahrzehnte später stellt sich das inzwischen etwas anders dar. Seit Jahren wird vielerorts eifrig und multimedial am Mythos „Subkultur: West-Berlin“ gewerkelt, wird an Events wie das „Berliner Krankheiten“-Festival und an künstlerische Haltungen wie die der „Genialen Dilettanten“ erinnert, von Bands wie „Die tödliche Doris“ oder die „Einstürzenden Neubauten“ geschwärmt. West-Berlin in den 1980er-Jahren war, angeblich bis zum Mauerfall, Absturz pur im Schatten der Mauer, Kreativität bei Billigmieten, nihilistische Komplettverweigerung, Hausbesetzer- und Instandbesetzer-Szene, Mai-Krawalle und eine Prise Glamour, wenn David Bowie, Iggy Pop oder Nick Cave für ein paar Jahre Schöneberg oder Kreuzberg mit ihrer Anwesenheit beglückten. Es ist nun nicht so, dass zu diesen Erzählungen bislang die Bilder fehlten; die Szene hat sich stets mit der Kamera dokumentiert, das Fernsehen ist den „Einstürzenden Neubauten“ gerne bis in deren Probenräume in Autobahnbrücken-Katakomben gefolgt. Gleichwohl ist man angesichts des Materialreichtums, den die Filmemacher Klaus Maeck, Jörg A. Hoppe und Heiko Lange aus den Archiven gezaubert und zu einer subjektiv gefärbten „Erzählung“ montiert haben, angenehm überrascht. „B-Movie“ greift dabei auf fiktionales wie auch dokumentarisches Material aus vielen Quellen zurück, auf Bilder und Töne von unter anderem Jörg Buttgereit, Carl Schenkel, Uli M. Schueppel, Christoph Dreher, Wieland Speck, Christel Buschmann, Wolfgang Büld, Cynthia Beatt, Heiner Mühlenbrock, Die tödliche Doris, Hannes Rossacher und Eckart Lottmann. Trotz seiner fiktionalen Anteile liefert „B-Movie“ gewissermaßen eine ergänzende bis alternative Sicht auf die Dinge, von denen beispielsweise Oskar Roehlers „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ erzählt – ein äußerst reizvoller Resonanzraum zweier Filme. Clever ist auch die Idee, die Geschichte der West-Berliner Szene gewissermaßen von außen erzählen zu lassen. Der Brite Mark Reeder fungiert als eigenwilliger Erzähler, bei dem nie ganz klar ist, wo Pathos in Ironie umschlägt. Er war damals aus Manchester nach West-Berlin gekommen und auf eine Szene gestoßen, in der Punk die ersten Wirkungen zeitigte. Reeder, ein umtriebiger Uniform-Fetischist, der im „Sounds“-Artikel als „eines der wenigen Berliner Originale“ – den Hitlergruß zeigend – vorkommt, formuliert unmissverständlich: „Es gab keine Leidenschaft, die West-Berlin nicht befriedigte. Die Stadt erfüllte dir jeden Wunsch: Party, Drogen, Sex, Musik – einfach alles und immer exzessiv.“ Und obwohl Reeder das beliebte „Sixties“-Bonmot, dass, wer sich erinnern könne, nicht dabei gewesen sei, auf die 1980er-Jahre ummünzt, tauchen im Verlauf des Films dann doch die üblichen Verdächtigen aus dem Nebel der Berliner Nächte auf: Malaria, Martin Kippenberger, Blixa Bargeld, Der wahre Heino, FM Einheit, Christiane F., Die Ärzte, Dr. Motte. Gewisse Unschärfen in der subjektiven Erinnerung sind wohl unvermeidlich. Während in West-Berlin die Band Ideal als Avantgarde gefeiert wurde, galt sie in Westdeutschland bereits als Indiz für kommerziellen Ausverkauf. Nach ein paar exzessiven Jahren setzte dann die Katerstimmung ein: Bands professionalisierten sich oder lösten sich auf, legendäre Trefforte wie das „SO36“ oder das „Risiko“ schlossen, der Underground verlor sich im Drogensumpf; zudem entdeckte die große Politik neuerlich die symbolische Strahlkraft der Frontstadt. Die Zeit der Geschichtsstille näherte sich ab Mitte der 1980er-Jahre ihrem Ende. Reeder findet dafür die prägnante Formel: „West-Berlin, das seiner Zeit so weit voraus war, wurde von seiner Geschichte eingeholt.“ Doch die Erschöpfung der Szene währt nur kurz; ein Generationswechsel steht an. Reeder, der einst die legendäre Band Joy Division für ein Konzert ins Kant-Kino brachte, erlebte Techno als die Fortsetzung des Punk mit elektronischen Mitteln und betrieb zeitweise selbst ein Trance-Label namens „MFS“. Der Techno-Underground um das Jahr 1990 mündete rasch in der kommerziellen „Love Parade“, die Berlin zu einer Attraktion des „Easy Jet“-Tourismus machte. Kein Happy End? Doch, Reeder liefert ein ganz persönliches Happy End nach, mit freundlicher Unterstützung von Jörg Buttgereit.
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