Drama | Rumänien/Frankreich/Deutschland 2015 | 93 Minuten

Regie: Florin Serban

Ein 19-Jähriger, der gerne als Boxer Karriere machen würde, stellt fasziniert einer 34-jährigen Tänzerin und Schauspielerin nach. Während beide mit ihren Lebenssituationen, in denen sie sich nicht recht entfalten können, unzufrieden sind, scheint das Interesse aneinander eine Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag zu eröffnen. Der Film überzeugt als Milieustudie und Porträt zweier Menschen, die via Handkamera eine große Nähe zu den Figuren und ihrer Gefühlslage herstellt. Weniger als auf Dialoge setzt der Film dabei auf die körperliche Präsenz der Darsteller, deren energetische Körper von einem latenten Widerstand gegen die einengenden Umstände erzählen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BOX
Produktionsland
Rumänien/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Augenschein Filmprod./Fantascope/MPM Film
Regie
Florin Serban
Buch
Florin Serban
Kamera
Marius Panduru
Schnitt
Eugen Kelemen
Darsteller
Rafael Florea (Rafael) · Hilda Péter (Cristina) · Sorin Leoveanu (George) · Nicolae Motrogan (Großvater) · Narcis Romulus Dobrin (Buzatu)
Länge
93 Minuten
Kinostart
10.11.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama

„Boy meets Girl“ jenseits klassischer RomCom-Muster: Rumänisches Liebesdrama

Diskussion
Der Gang der Frau ist elastisch und anmutig; ihr knielanger Rock schwingt locker mit ihren Hüften mit. Cristina, 34 Jahre alt, arbeitet u.a. als Tänzerin und Tanzlehrerin, was man ihren Bewegungen und der Art, wie sie sich hält, auch ansieht. Ein junger Mann folgt ihr, wie hypnotisiert von dem Anblick; aber offensichtlich ist er zu schüchtern, um sich der Schönen zu nähern und sie anzusprechen. Cristina bemerkt den „Stalker“. Anfangs reagiert sie darauf mit Irritation, lässt ihren Bewunderer aber gewähren; vielleicht, weil er nicht wirklich bedrohlich wirkt, vielleicht, weil ihr die Aufmerksamkeit des durchaus attraktiven Jungen schmeichelt, der um einiges jünger ist als sie selbst. So entsteht langsam eine Art Verbindung zwischen den beiden Fremden, die sich nur durch die Begegnungen und Blicke auf der Straße kennen und aus völlig unterschiedlichen sozialen Welten stammen. Irgendwann werden dann doch die ersten Worte ausgetauscht, und Rafael – so der Name des Jungen – fasst sich ein Herz und lädt Cristina auf einen Kaffee ein. Boy meets Girl, ein klassischer Kinostoff. Trotzdem ist der rumänische Film von Florin Serban, der 2015 beim Filmfestival in Karlovy Vary mit dem FIPRESCI-Preis geehrt wurde, nicht wirklich eine Romanze. Vor allem ist er ein Film über den Alltag zweier sehr unterschiedlicher Menschen, deren Leben kaum Berührungspunkte bieten, zwischen denen aber trotzdem ein irrationaler erotischer Funke aufflackert und für eine willkommene Aufhellung ihrer problembeladenen Lebenswelten sorgt. Cristina, die aus Ungarn nach Rumänien gekommen ist, verheiratet ist und ein Kind hat, arbeitet neben ihrem Job als Tanzlehrerin als Schauspielerin an derselben Bühne, an der ihr Mann der Star ist. Dort läuft es nicht so gut für sie; sie reibt sich an ihrer Rolle in einer ungarischsprachigen Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“ und bekommt Druck vom wenig einfühlsamen Regisseur. Und auch in ihrer Ehe hat sich eine gewisse Kühle und Wortlosigkeit breitgemacht. Der 19-jährige Rafael wiederum, der mit seinem Großvater in ärmlichen Verhältnissen zusammenlebt und dabei kaum glücklicher ist als Cristina in ihrer Ehe, scheint zwar im Lauf des Films zuerst karrieretechnisch einen Schritt nach vorn zu kommen: Er wird bei seinen Versuchen, als Boxer zu reüssieren, von einem neuen „Boss“ unter die Fittiche genommen, was ihm ermöglicht, seinen Job in einer Autowäscherei hinzuschmeißen. Allerdings bekommt er bald zu spüren, welche Schattenseiten die Abhängigkeit von seinem windigen Arbeitgeber mit sich bringt: Er wird dazu genötigt, bei einem Kampf ein verfrühtes K.O. zu faken, und bekommt klar ins Gesicht gesagt, dass über Sieg und Niederlage hier nicht sportliches Können, sondern der Wille des Chefs entscheiden. Eine Chance, sich mit Fleiß und Können auf ehrliche Weise hochzuarbeiten, gibt es nicht. Serbans Kamera verharrt mit der Hartnäckigkeit, mit der Rafael anfangs Cristina folgt, bei diesen beiden Figuren und gibt elliptische Einblicke in die vielen kleinen, alltäglichen Situationen, aus denen sich ihr Leben zusammensetzt, vom Gang an die Bushaltestelle über die Arbeit bis hin zu abendlichen Familien-Mahlzeiten. Beide Handlungsfäden treffen sich in den wenigen, flüchtigen Begegnungen zwischen ihnen, aus denen andeutungsweise etwas entsteht, was eine Art Notausgang aus den Verhältnissen sein könnte, mit denen beide nicht glücklich sind, oder zumindest eine kleine Rebellion dagegen. Die Handkamera erweist sich dabei, indem sie den Bildern etwas Instabil-Unsicheres gibt, als probates Mittel, um das Lebensgefühl der Figuren zu vermitteln, die beide nicht in sich und ihrem Leben ruhen. Dialoge spielen eine nebengeordnete Rolle; sowohl Rafael als auch Cristina sind eher schweigsame, introvertierte Menschen, die Gefühle eigentlich nur in ihren Engagements ausdrücken – in Cristinas Fall auf der Bühne, wenn sie entgegen der Regieanweisungen ihre eigene Rolleninterpretation abliefert, in Rafaels Fall beim Boxen, wenn die Frustrationen des Jungen ein handgreifliches Ventil finden. Daraus kristallisieren sich im Lauf des Films nicht nur die Porträts zweier Menschen heraus, sondern auch zweier Milieus. Wobei Lebensstil, Werte und Umgangsformen denkbar unterschiedlich sind, in beiden Fällen jedoch eine Kritik an einem mal lauteren, mal verhalteneren Machismo und an patriarchalen Strukturen durchschlägt, die Cristina und Rafael niederdrücken: Weil auf der einen Seite die älteren und mächtigeren Männer von jüngeren wie Rafael fraglosen Gehorsam einfordern bzw. weil unausgesprochen, im Verhalten aber doch deutlich von einem intellektuellen Gefälle zwischen Frauen wie Cristina und Männern wie ihrem Ehemann und ihrem Regisseur ausgegangen wird. Serban macht daraus einen bei aller Offenheit und Unbestimmtheit im Plot in der Inszenierung bemerkenswert präzisen Film, der einem nicht zuletzt durch die physische Präsenz der Darsteller in Erinnerung bleibt: So beengt die Entfaltungsspielräume sein mögen, die Cristina und Rafael haben, so energetisch vermitteln die agilen Körper des Boxers und der Tänzerin den Lebenshunger, der sich nicht mit dieser Enge zufriedengeben will.
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