Brand Upon The Brain!

Drama | USA/Kanada 2006 | 95 Minuten

Regie: Guy Maddin

Ein Mann kehrt nach mehr als 30 Jahren auf die Insel zurück, auf der er als Kind aufwuchs, und taucht in eine von unheimlich-rätselhaften Ereignissen überschattete Vergangenheit ein. In grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bildern, mit bewegter Kamera und rasanter Montage entwirft der faszinierende Film eine grotesk-gruselige Reise in ein Reich pubertärer Fantasien, ohne dabei je die Bodenhaftung auf dem Grund realer kindlicher Lebenserfahrungen zu verlieren. Zugleich geht es immer auch um die Reflexion des Kinos als eine Traum- und Albtraum-Maschinerie. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
BRAND UPON THE BRAIN!
Produktionsland
USA/Kanada
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
The Film Company
Regie
Guy Maddin
Buch
Guy Maddin · George Toles
Kamera
Benjanim Kasulke
Musik
Jason Staczek
Schnitt
John Gurdebeke
Darsteller
Gretchen Krich (Mutter) · Sullivan Brown (junger Guy Maddin) · Maya Lawson (Sis) · Katherine E. Scharhon (Chance Hale / Wendy Hale) · Todd Jefferson Moore (Vater)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama | Stummfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Als Guy Maddins experimenteller Stummfilm „Brand Upon the Brain!“ während der „Berlinale“ 2007 live aufgeführt wurde – in Begleitung eines großen Orchesters, mit drei Geräuschemachern, einem Sänger und Isabella Rossellini als Sprecherin –, muss dies ein unverwechselbar bizarres, überwältigendes Ereignis gewesen sein. Bei der nun im Kino zu sehenden Filmfassung hat man es keineswegs mit einer reduzierten, irgendwie heruntergefahrenen Version zu tun. Auch wenn Musik, Geräusche, Erzählerstimme und Texttafeln hier allein im Medium Film zusammenlaufen, scheint dieses überbordende Werk immer kurz vor dem „Überkochen“ zu sein. Maddins Aneignung von ästhetischen Vorgaben des Stummfilms (schwarz-weiß, grobkörniges Bild, Zwischentitel) ist hier von allen nostalgischen Resten befreit. „Brand Upon the Brain!“ ist eine wüste Mischung aus expressionistischem Horrorfilm, Grand-Guignol-Theater, Midnight Movie, Jugendkrimi und surrealer Film-noir-Fantasie, ein fiebriger Rausch in zwölf Kapiteln, der von Kindheitserinnerungen erzählt und dem skurrilen Überschuss an pubertierender Fantasie. Und ein Film, der die Statik des Stummfilms weit hinter sich lässt und das Prinzip des „bewegten Bildes“ wörtlich nimmt: Die rasante Montage und eine aufgewühlte Handkamera lassen alles auf eine fast überstrapazierte Art immerzu in Bewegung erscheinen, nicht zuletzt durch das grobkörnige, flimmernde Bild, das schlichtweg keinen Stillstand erlaubt. „The past, the past“, beschwört die Erzählerstimme Isabella Rosselinis, als der Protagonist Guy nach über 30 Jahren zum Ort seiner Kindheit zurückkehrt, einer kleinen Insel, deren Zentrum ein Leuchtturm ist und früher als Waisenhaus diente. Jetzt melden sich die Geister der Vergangenheit zurück. Guys Erinnerungen sind anfänglich zwar lückenhaft verschwommen, formieren sich aber immer mehr zu einer kohärenten Geschichte. Einer ziemlich gruseligen, die von einer tyrannischen, hexenähnlichen Mutter handelt, die jede Bewegung der Kinder mit Hilfe eines gigantischen Teleskops kontrolliert, während der Vater Tag und Nacht im Keller an obskuren wissenschaftlichen Experimenten arbeitet. Rätselhafte Kopfverletzungen bei den Waisenkindern setzen schließlich eine Detektivgeschichte in Gang („Secrets! Secrets! Secrets!“), die menschliche Abgründe ans Tageslicht bringt, aber auch das erotische Begehren von Guy und seiner älteren Schwester entfacht. Dem Rausch des sexuellen Erwachens steht der Horror der Zerstörung entgegen, denn wie sich herausstellt, stammen die Narben am Kopf von der gewaltsamen Entnahme von Hirnflüssigkeit. Aus diesem „Nektar“ braut der Vater ein temporäres Verjüngungsmittel, von dem vor allem die Mutter psychisch abhängig ist. Guy, dessen herausragender Wesenszug wiederholt mit „always to please“ beschrieben wird, scheint dabei der wunderbar surrealen Geschichte ebenso ausgeliefert zu sein wie der Zuschauer. Doch trotz aller Exzentrik, Verrücktheit und Komik gibt Maddin die Bodenhaftung nie vollständig auf. „Brand Upon the Brain!“ ist eben auch ein Film über die ganz alltäglichen Erfahrungen der Kindheit, über die Abgrenzung zwischen kindlicher Sphäre und Erwachsenenwelt, über elterlichen Kontrollwahn, die Trostlosigkeit gemeinsamer Abendessen und über erste Liebe. Allerdings sollte man den Film auch nicht mit inhaltlicher Bedeutung überladen. Denn der eigentliche Plot ist bei Maddin immer noch das Kino selbst, als buchstäbliche Traum- bzw. Albtraummaschine.
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