Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 84 Minuten

Regie: Bastian Günther

Ein namenloser Mann soll in einem aufgelassenen Siedlungsprojekt in der kalifornischen Mojave-Wüste Moskitos bekämpfen. Auf seinen Weg durch das gleißende Niemandsland, das von der Immobilienkrise schwer geschüttelt wurde, begegnet er vereinzelt Menschen, wobei die Wüste auch zum Spiegel seiner eigenen Einsamkeit wird. Durch die fließende, auch filmästhetisch akzentuierte Mischung aus Fiktion, Dokumentarfilm und Essay entwirft der Film gespenstische Bilder einer sich auflösenden Welt. Dabei drohen die Konturen der Erzählung bisweilen zu verschwimmen, wie die postapokalyptische Rahmung auch die Eigenheiten der einzelnen Krisenherde mitunter etwas verwischt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Indi Film/ZDF
Regie
Bastian Günther
Buch
Bastian Günther
Kamera
Michael Kotschi
Musik
Howe Gelb
Schnitt
Anne Fabini
Darsteller
Jay Lewis · Daniel C. Pearl · Chelsea Williams
Länge
84 Minuten
Kinostart
20.08.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Drama | Filmessay
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Doku-Fiction aus der Mojave-Wüste

Diskussion
Nur an wenigen Orten der Welt hat die Finanz- und Immobilienkrise eine so surreale Landschaft hervorgebracht wie in den verlassenen Suburbs von California City. Über eine unüberschaubare Fläche erstreckt sich hier, nordöstlich von Los Angeles, inmitten der Mojave-Wüste, das Skelett einer Geisterstadt, die nie richtig zum Leben erwachte, obschon sie in den 1960er-Jahren als größte Stadt Kaliforniens geplant wurde. Halbfertige Rohbauten finden sich neben ausgeweideten Gebäuden und properen Fertighäusern, viele davon wurden erst gar nicht bezogen. In anderen Gebäuden finden sich Spuren ehemaliger Bewohner: Hemden im Schrank, Gewürze in der Küche, im Vorgarten von der Sonne ausgebleichtes Kinderspielzeug. Vergleichbare Szenerien kennt man eigentlich nur aus dem postapokalyptischen Kino. In dieser „twilight zone“ zwischen Wirklichkeitsraum, Mythenlandschaft und Science-Fiction-Kulisse siedelt Bastian Günther seine Erzählung an. Wie der Ort bewegt sich auch der Film in einem Dazwischen: Dokumentation, Fiktion und Essay greifen ineinander, verschiedene Bildqualitäten und Texturen mischen sich – HD, Super-8, Standbilder, hinzu kommt das Spiel mit Licht und Farbgebung, von rotstichig über bläulich bis hin zum Schwarzweiß. Die Übergänge sind dabei so organisch wie die Schwelle zwischen Natur und Beton. Unaufhaltsam holt sich die Wüste ihren Raum zurück, die Häuser, Garagen und Swimmingpools wirken wie eingebacken. Protagonist und Off-Erzähler ist ein Mann ohne Namen, Schädlingsbekämpfer von Beruf. Er hat den Auftrag, in den Pools der leerstehenden Häuser Moskito-Brutstellen zu beseitigen. Ähnlich wie die Figuren in Günthers Vorgängerfilmen „Autopiloten“ (fd 39 340) und „Houston“ (fd 42 075) ist dieser Namenlose ein vereinsamter Mann, der sich durch die zerstörenden bzw. zerstörten Gebieten des Kapitalismus bewegt und sich in dieser Umgebung zunehmend einkapselt. Während der Kontakt zur Außenwelt abreißt – die Zentrale ist nicht zu erreichen, er wird sinnlos an Orte geschickt, an denen sich keine Moskitos finden lassen –, verliert er sich zunehmend im Niemandsland. Leere und Monotonie sind dabei eine ideale Projektionsfläche für die eigene Apokalypse: wehmütig erinnert er sich an seine Ex-Freundin, die in körnigen Super-8-Bildern momenthaft den stillgestellten filmischen Raum belebt. Das Elend des verlassenen, melancholisch zurückblickenden Mannes hätte der Film in der Explizitheit – die Wüste, eine Seelenlandschaft – gar nicht nötig gehabt. Die „Stadt“ California City, ein ausgebranntes Fluchtgebiet, evoziert für sich bereits genügend Isolations- und Einsamkeitsgefühle. Indem Günther die Krise privatisiert, entzieht er ihr ein Stück weit den gesellschaftlichen Boden. Dagegen formieren sich in den Begegnungen mit den Gestrandeten, Hängengebliebenen, den spirituellen Quacksalbern und Verschwörungstheoretikern fragmentarische Porträts von Schattenexistenzen sowie das Bild einer mentalen Kultur, die sich aus der Abwesenheit von Struktur und Ordnung ihr eigenes Weltmodell kreiert. So lebt ein hagerer Drop-out mit Knasterfahrung, der vom Sammeln von Wertstoffen lebt, am Rande eines Bombentestgebietes. Hier, abseits der Zivilisation, scheint er endlich seine Ruhe gefunden zu haben. Eine andere „Stadt“-Bewohnerin berichtet von seltsamen Geräuschen aus der Wüste. Die verborgenen Operationen des Militärs, die hier unter anderem für den Irakkrieg probten, sind ein geeigneter Nährboden für Paranoia und Weltuntergangsvisionen. Im Whirlpool eines Hotels hält ein „Prophet“ einen Vortrag über das bevorstehende Ende. Das Wirrwarr der Fantasien, das gleißende Licht der Wüste und der Selbstverlust des Protagonisten lassen die Konturen der Erzählung immer mehr verschwinden. Vor der postapokalyptischen Rahmung geht die Spezifik der Gegebenheiten dabei mitunter ein wenig verloren. Alles ist sich ähnlich: Wirtschaftsdepression und Depression des Mannes, Eigenheim-Verlust, der Verlust der Träume, Häuserwüste und innere Leere. California City, so scheint es, ist die dystopische Variante des amerikanischen Schmelztiegels.
Kommentar verfassen

Kommentieren