Dokumentarfilm | Israel/Deutschland 2015 | 87 Minuten

Regie: Mor Loushy

Einige Tage nach dem Sechstagekrieg 1967, in dem Israel seine feindlich gesonnenen arabischen Nachbarn handstreichartig besiegte, fragte der an Kampfhandlungen beteiligte Schriftsteller Amos Oz andere Soldaten nach ihren Erfahrungen im Kampfeinsatz. Die Aufnahmen, vom Militär zensiert und 50 Jahre lang im Tresor verschwunden, rekapitulieren im Verbund mit historischem Bildmaterial eine umfassende Skepsis, die den damals verbreiteten Patriotismus entschieden korrigiert. So spiegelt sich die ernüchterte Erkenntnis über den Verlust der Unschuld und die Ahnung, was auf Israel als Besatzungsmacht zukommen wird. Die politischen Verdichtungen des Materials geben eher den Wissensstand der Gegenwart wider; fraglich bleibt, ob die „ganze Wahrheit“ des Kriegseinsatzes der historischen Entwicklung etwas entgegengesetzt hätte. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CENSORED VOICES
Produktionsland
Israel/Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
One Man Show & kNow Prod./Made in Germany Filmprod.
Regie
Mor Loushy
Buch
Mor Loushy · Daniel Sivan
Kamera
Itai Raziel · Avner Sharaf
Musik
Markus Aust
Schnitt
Daniel Sivan
Länge
87 Minuten
Kinostart
21.07.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1, DD5.1 hebr./dt.)
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Dokumentarfilm, der historische Interviews von Amos Oz aus dem Jahr 1967, in denen der Schriftsteller andere Soldaten nach ihren Erfahrungen im Sechs-Tage-Krieg befragte, mit historischen Bildmaterial verbindet.

Diskussion
Einmal ist von der „Hysterie des Triumphs“ die Rede, wenn es um die Stimmung in Israel nach dem Ende des Sechs-Tage-Krieges 1967 geht. In wenigen Tagen hatten die Israelis einen Drei-Fronten-Krieg gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner gewonnen und das Territorium ihres Landes erheblich erweitert. Die heimkehrenden Soldaten wurden als Helden gefeiert; Moshe Dayan war der Mann der Stunde. Wenige Tage nach Kriegsende machte sich der Schriftsteller Amos Oz, ebenfalls ein Kriegsteilnehmer, daran, Erfahrungen und Eindrücke zu sammeln, die in den offiziellen Verlautbarungen keinen Platz fanden. Fast ein halbes Jahrhundert später versammeln Oz und die Dokumentaristin Mor Loushy die Befragten von 1967 vor der Kamera und spielen ihnen die alten Tonband-Aufnahmen vor, die damals von der Zensur aus dem Verkehr gezogen wurden. Zu konstatieren ist zunächst einmal eine umfassende Skepsis gegenüber dem historischen Narrativ des in Israel herrschenden Patriotismus. Die Begeisterung, in den Krieg zu ziehen, habe sich in Grenzen gehalten. Berichtet wird aber auch das Erstaunen über die eigene Kampfkraft oder die Schnelligkeit, mit der man bis zum Suezkanal vorstoßen konnte. Auch das Pathos des Kampfes um Jerusalem wird relativiert, zumal, wenn die Opfer auf der eigenen Seite gegen die Symbolkraft der Eroberung der Klagemauer aufgerechnet werden. Insgesamt kommt eine große Beklommenheit auf, angesichts der Erfahrungen, die man während und auch nach den eigentlichen Kampfhandlungen gemacht hat. Mit wachsendem Abstand zu den Kämpfen werden dann auch die „kleinen und miesen Geschichten“ erinnert. Jetzt ist von Kriegsverbrechen die Rede, von Mordbefehlen, aber auch von Mordlust. Gleich mehrfach wird das eigene Handeln mit dem Holocaust verglichen. Gegen den unmittelbaren Triumph des Sieges steht die Einsicht, dass Israel jetzt eine Besatzungsmacht geworden ist – mit allen Konsequenzen. Dass der Sechs-Tage-Krieg die Probleme der Region nicht gelöst, sondern eher verkompliziert hat. Dass die staatliche Propaganda eines historischen Anspruchs auf das Land auf Kosten der Palästinenser geht. „Persönlich“ wollte niemand Land rauben; Frieden werde auf diese Weise nicht gesichert, eher schon müsse man sich darauf einstellen, auf Dauer zwischen zwei Kriegen zu leben. Allerdings sind solche Verdichtungen des Politischen an das Material herangetragen. Die O-Töne selbst erzählen eher traditionell durchaus bekannte Reflexionen über den Verlust der Unschuld im Krieg, von der Erfahrung, dass der Feind auch ein Mensch ist, der Fotos seiner Kinder bei sich trägt, und von der Erfahrung der Macht über die Besiegten. Schützengraben-Humanismus. Die akustischen Erzählungen werden durch historisches Bildmaterial aus unterschiedlichsten Quellen ergänzt, das mal verstärkend, mal kontrapunktisch angelegt ist. Gegen Ende des Films dürfen sich die bislang schweigenden Zeitzeugen aus heutiger Sicht zu ihren damaligen Aussagen verhalten. Die ideologischen Positionen haben sich spürbar verändert. Das, was man damals gesagt hat, würde heute als Landesverrat gelten. Im Rückblick wird deutlich, dass die pessimistischen Einschätzungen über die Konsequenzen des Krieges durch die Entwicklung seither weit überholt wurden. Was bleibt, ist ein trauriger Pragmatismus: „Ich träume nicht mehr vom Frieden!“, heißt es einmal. Während Amos Oz darauf beharrt, dass man damals die Wahrheit gesagt habe und die Gewaltspirale absehbar gewesen sei, bleibt offen, inwieweit das dissidente Räsonnement, das seinerzeit „zensiert“ wurde, der Entwicklung etwas entgegengesetzt hätte. Offen ist auch die Frage, wie die Tatsache zu werten ist, dass die „zensierten Stimmen“ von 1967 jetzt zu hören sind. In den USA wird aktuell über die Rolle der Zensur in Israel im Allgemeinen und ihre „eher liberale“ Rolle im Zusammenhang mit der Freigabe von „Censored Voices“ diskutiert. Kontrovers, versteht sich.
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