Das höhere Prinzip

Drama | CSSR 1960 | 105 Minuten

Regie: Jirí Krejcík

Im Juni 1942 werden nach einem Attentat auf den verhassten SS-General Reinhard Heydrich in einer tschechischen Kleinstadt drei Abiturienten wegen einer schnell zu Papier gebrachten Karikatur zum Tode verurteilt und erschossen. Ihr vergeistigter und weichherziger, ganz seinem Fachgebiet verpflichteter Philologieprofessor legitimiert daraufhin vor versammelter Klasse den Tyrannenmord. Eine eindringlich und atmosphärisch dicht inszenierte, vorzüglich gespielte Tragödie als Mahnmal der menschlichen Würde in einer Ära der Finsternis, die zugleich als Gleichnis auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg interpretiert werden kann. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VYSSI PRINCIP
Produktionsland
CSSR
Produktionsjahr
1960
Produktionsfirma
Filmové Studio Barrandov/Ceskoslovensky Statni Film
Regie
Jirí Krejcík
Buch
Jan Drda · Jirí Krejcík
Kamera
Jaroslav Tuzar
Musik
Zdenek Liska
Schnitt
Ruzena Hejsková
Darsteller
Frantisek Smolík (Professor Malek) · Jana Brejchová (Jana) · Ivan Mistrík (Vlastik) · Jan Smid (Frantik) · Alexander Postler (Karel)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Ostalgia (FF, Mono tschech./dt.)
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Diskussion
Im Jahr 1946, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, publizierte der 31-jährige tschechische Schriftsteller Jan Drda seinen aus elf Texten bestehenden Novellenband „Die stumme Barrikade“. Drda nannte das Werk ein „Skizzenbuch“, die episodische Vorarbeit für einen größeren Roman über die Zeit der Okkupation. Die schlanke, jeweils auf ein besonderes Ereignis gerichtete Prosa wurde schon bald fürs Kino entdeckt: Den Titel des Buchs nutzend, adaptierte Otákar Vávra 1948 eine Erzählung über Prager Bürger, die mutig eine Moldaubrücke gegen deutsche Panzer verteidigten. War dieser frühe Nachkriegsfilm noch ganz dem Kanon seiner Zeit verpflichtet und feierte ungebrochen das Heldentum tapferer Tschechen angesichts faschistischer Tyrannei, suchte Jiri Krejcík (geb. 1918) für „Das höhere Prinzip“, ebenfalls auf der Basis einer Novelle von Drda, nach einer differenzierteren Perspektive. Auch er beschreibt einen außerordentlichen Vorgang: Im Juni 1942, nach einem Attentat auf den verhassten SS-General Reinhard Heydrich, wurden in einer tschechischen Kleinstadt drei Abiturienten wegen einer schnell zu Papier gebrachten, im Grunde genommen läppischen Karikatur zum Tode verurteilt und erschossen. Ihr Philologieprofessor, ein älterer, vergeistigter und weichherziger, ganz seinem Fachgebiet verpflichteter Lehrer, erklärt daraufhin vor versammelter Klasse den Tyrannenmord als legitim. Bevor es zu dieser letzten, von leisem Pathos durchdrungenen Szene kommt, entwirft Krejcík das Panorama einer Kleinstadt, die er keineswegs zum Hort des hehren Widerstands und der unantastbaren Aufrichtigkeit stilisiert. Im Gegenteil: Die überwiegende Mehrzahl der Bewohner schweigt angesichts des Unrechts, unterwirft sich den Regeln der Okkupanten und flüchtet ins Privatleben; manch einer ist durchaus zur Denunziation bereit. Besonders die bürgerliche Mittelschicht bekommt einen Spiegel vors Gesicht gehalten: Opportunistische Geschäftsleute wie der fast bankrotte Schuhladenbesitzer umschmeicheln den SS-Ortskommandanten; ein Rechtsanwalt erklärt seiner um ihren Schulfreund ringenden Tochter, er wolle sich „nicht exponieren“ und verbrennt, als ein Polizeiauto vor seiner Villa hält, in vorauseilendem Gehorsam Literatur und Fotos aus der Zeit vor der Besetzung. Das Lehrerkollegium lässt angesichts des Terrors angstvoll die Köpfe hängen, rafft sich aber, außer dem alten Philologieprofessor, nicht zum verbalen Bekenntnis für die Schüler auf; immerhin folgt niemand der Aufforderung eines stramm NS-freundlichen Kollegen, eine Ergebenheitsadresse an die Deutschen zu unterzeichnen. Mit dieser Sicht auf die Zeit der Besatzung hob sich Krejcíks Arbeit von den stereotypen Schwarz-weiß-Zeichnungen in den tschechischen Widerstands- und Partisanenfilmen der 1950er-Jahre ab und eröffnete eine Phase der ehrlichen, selbstkritischen, die eigene Mitschuld thematisierenden Befragung. Im Kino des Prager Frühlings führte diese Perspektive dann zu Meisterwerken wie Jan Kádars und Elmar Klos’ „Der Laden auf dem Korso“ (1965) oder Juraj Herz’ „Der Leichenverbrenner“ (1969), in dem der Schauspieler Rudolf Hrusinsky, einst als „Braver Soldat Schwejk“ (1957) viel gerühmt und in „Das höhere Prinzip“ als unterwürfiger Schuhverkäufer zu sehen, seine Galerie schlimmer Charaktere ins Makabre und Absurde münden ließ. Hannjo Hasse, ein vorzüglicher Schurkendarsteller der DEFA („Der Fall Gleiwitz“, „Spur des Falken“), gibt einen SS-Mann als eiskalten Zyniker, der nach außen jovial tut, zu Hause mit seinem kleinen Sohn spielt, im Amt aber gnadenlos über den Tod gebietet. Die junge Jana Brejchová („Schloss Gripsholm“) spielt eine der Abiturientinnen, die kaum begreifen können, wie schnell sich die Mordmaschinerie ihrer bemächtigt. Überstrahlt wird der Film von der Figur des Philologieprofessors, verkörpert von Frantisek Smolík, der seine moralische Lauterkeit in einem von Angst, Verzweiflung und unterdrücktem Zorn geprägten Alltag zu bewahren sucht: ein eindringlicher Auftritt, ein Fanal für menschliche Würde in einer Ära der Finsternis. Insofern konnte „Das höhere Prinzip“ auch als Gleichnis auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg interpretiert werden, als die Prinzipien der Humanität noch einmal, diesmal von der neuen Besatzungsmacht und ihren willfährigen einheimischen Helfershelfern, mit Stiefeln getreten wurde. Umso mehr befremdet, dass der Interministerielle Ausschuss, ein Zensurgremium der frühen Bundesrepublik, den Film für eine Aufführung in westdeutschen Kinos verbot: Er rücke „das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen in ungünstiges Licht und gefährde damit die Aussöhnung der Völker und das Ansehen der Bundesrepublik“, wie es in der Begründung hieß. (1968 lief der Film erstmalig in der ARD.) Die DVD enthält neben der Originalfassung die sorgfältige DEFA-Synchronisation von 1960 sowie eine US-amerikanische Dokumentation über die Vorgänge von 1942. Das ist wenig, zumal die Chance bestanden hätte, Regisseur Krejcík in Prag nach den Hintergründen der Dreharbeiten und der Rezeption seines wohl berühmtesten Films zu befragen.
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