Das Verschwinden der Eleanor Rigby

Drama | USA 2014 | 123 Minuten

Regie: Ned Benson

Nach dem Tod ihres Kindes zieht eine junge Frau zu ihren Eltern und beginnt zu studieren. Ihr konsternierter Ehemann kämpft derweil mit beruflichen Problemen und versucht scheu und unsicher, mit seiner entfremdeten Frau wieder Kontakt aufzunehmen. Ein herausragend gespieltes Drama, das glaubwürdig und vielschichtig Fragen nach Verlust und Trauer, menschlichen Beziehungen und Lebenssinn stellt. Geschickt fügt der Film dabei Elemente aus zwei unabhängigen Filmen zusammen, die das Geschehen jeweils aus der Perspektive des Mannes und der Frau beleuchten. (Vgl. "The Disappearance of Eleanor Rigby: Him & Her") - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE DISAPPEARANCE OF ELEANOR RIGBY: THEM
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Dreambridge Films/Standard Deviations/Kim and Jim Prod./Division Films
Regie
Ned Benson
Buch
Ned Benson
Kamera
Christopher Blauvelt
Musik
Son Lux
Schnitt
Kristina Boden
Darsteller
Jessica Chastain (Eleanor Rigby) · James McAvoy (Conor Ludlow) · William Hurt (Julian Rigby) · Isabelle Huppert (Mary Rigby) · Jess Weixler (Katy Rigby)
Länge
123 Minuten
Kinostart
27.11.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Jede Geschichte hat zwei Seiten, und darum hat der New Yorker Regisseur Ned Benson für sein Spielfilmdebüt ein besonderes filmisches Ereignis kreiert. Bei den Filmfestspielen von Toronto 2013 lief „The Disappearance of Eleanor Rigby“ nacheinander in zwei Versionen: „Him and Her“ in einer Gesamtlänge von 190 Minuten. Zur Schlüssigkeit des Konzepts gehört, dass bei einem weiteren Termin die Reihenfolge vertauscht wurde: „Her and Him“. Beide Filme gehören, trotz unterschiedlichen Erzähltons, unverbrüchlich zusammen – so wie schon Lucas Belvaux’ Trilogie „Ein tolles Paar“ (36 577), „Auf der Flucht“ (fd 35 590) und „Nach dem Leben“ (fd 36 591) nur als Einheit funktionierten. Jetzt aber kommt eine von Benson selbst erstellte internationale Fassung von 123 Minuten Länge ins Kino, die beide Filme miteinander verquickt: „The Disappearance of Eleanor Rigby: Them“. Auch wenn darin die einzigartige Versuchsanordnung verloren ist, bleibt doch ein starkes, aus mehreren Perspektiven beleuchtetes Drama über Verlust und Trauer, über die Komplexität menschlicher Beziehungen und die Suche nach Lebenssinn, das Benson sehr persönlich, vielschichtig und anspruchsvoll inszeniert hat. Der Name Eleanor Rigby ist für die Titelfigur Erbe und Last zugleich. Denn er spiellt auf den vielleicht schönsten, aber auch traurigsten Song der Beatles an. „All the lonely people, where do they all come from?“, heißt es in einer Zeile, die im Film zwar nicht gesungen, aber zitiert wird. So legt sich ein Schleier der Melancholie über die junge Frau, die sich manchmal wünscht, dass ihre Eltern sie anders genannt hätten. Eben noch saß Eleanor mit ihrem Mann Conor in einem Nobelrestaurant, um dann – nur so aus Spaß – die Zeche zu prellen und einfach davonzurennen. Ein verbindendes Erlebnis mit anschließender Idylle in einem nächtlichen, von Glühwürmchen schwach erleuchteten Park. Doch schon die nächste Szene etabliert einen anderen Ton: Man sieht, wie die junge Frau mit dem Fahrrad über eine Brücke fährt, es achtlos abstellt, wie in Trance zu Fuß weitergeht und dann unvermittelt in den Fluss springt. Der Grund: Eleanor und Conor haben ihr neugeborenes Baby verloren. Nach dem Selbstmordversuch zieht die traumatisierte Frau ohne ein Wort des Abschieds oder der Erklärung zurück zu ihren Eltern und schreibt sich wieder an der Universität ein. Conor hingegen steht vor den Trümmern seiner Ehe. Seine Bar läuft schlecht, die Wohnung, in der er mit Eleanor so glücklich war, wird ihm zunehmend unerträglich. Darum zieht er zu seinem Vater, zu dem er allerdings ein schwieriges Verhältnis hat. Und dann beginnt Conor, unsicher und scheu zunächst, Eleanor zu verfolgen, um sich endlich mit ihr auszusprechen. Ein verstörter Mann, der wieder Kontakt zu seiner entfremdeten Frau aufnimmt, eine traumatisierte Gestalt, die sich neu erfindet; beide Geschichten laufen parallel nebeneinander her, berühren sich und entfernen sich wieder. Der Film deutet dabei vieles nur an oder überlässt es der Fantasie des Zuschauers; manches – wie der Verlust des Neugeborenen – erschließt sich in geschickt platzierten Ellipsen erst nach und nach. Auch ohne Kenntnis des ursprünglichen Konzepts funktioniert diese Mischung aus Rätsel und Drama erstaunlich gut, sie entwickelt mit konzis geschriebenen, trockenen Dialogen und einer lebendigen, stimmungsvollen Kamera eine starke emotionale Wucht, die den Zuschauer förmlich mitreißt: Warum verschwindet Eleanor Rigby so urplötzlich? Finden Mann und Frau wieder zusammen? Fragen, die einen nicht loslassen. Das ist vor allem ein Verdienst der beiden Hauptdarsteller. James McAvoy verkörpert den extrovertierten Charmeur perfekt, der dem Verschwinden seiner Frau zunächst mit Ratlosigkeit und Verwirrung begegnet, dann aber mit Energie und Entschlossenheit ihre Nähe sucht. Jessica Chastain überzeugt durch Sensitivität und Zerbrechlichkeit. Der Tod ihres Kindes wirft sie buchstäblich aus der Bahn. Chastain verleiht dem Schmerz und der Lebenskrise Glaubwürdigkeit und Gewicht. Zur Farbe und Lebendigkeit des Films tragen auch die Nebenfiguren bei, William Hurt als Eleanors strenger, aber verständnisvoller Vater, Isabelle Huppert als trinkfreudige, kettenrauchende Mutter, Ciarán Hinds als Conors großspurig-reservierter, aber auch hilfsbereiter Vater und Viola Davis als kluge und witzige Universitätsdozentin, die mit den Beatles nichts am Hut hat. „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ macht neugierig – auf beide Teile.
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