Drama | Argentinien 2012 | 101 (24 B./sec.) Minuten

Regie: Gustavo Fernandez Triviño

Ein argentinischer Arbeiter, der von einem eigenen Fitnessstudio träumt, greift nicht ein, als er eine Vergewaltigung beobachtet, sondern nutzt seine Mitwisserschaft, um den wohlhabenden Täter zu erpressen. Ein wortkarges, betont unspektakulär inszeniertes Drama, das die seelischen Konflikte des Protagonisten empathisch-solidarisch registriert, aber nicht interfragt, was dem Film eine irritierende Unmittelbarkeit verleiht. Eine intensives, bedächtig erzähltes Drama mit sozialkritischem Potenzial. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DE MARTES A MARTES
Produktionsland
Argentinien
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Carrousel Films/Instituto Nacional de Cine y Artes Audiovisuales
Regie
Gustavo Fernandez Triviño
Buch
Gustavo Fernandez Triviño
Kamera
Julián Apezteguia
Musik
Nicolás Mayer · Jonathan Tesei
Schnitt
Pablo Faro
Darsteller
Pablo Pinto (Juan) · Malena Sanchez (Valeria) · Alejandro Awada (Vergewaltiger) · Daniel Valenzuela (Juans Chef) · Benjamín Amadeo
Länge
101 (24 B.
sec.) Minuten
Kinostart
05.12.2013
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Cine Global/Lighthouse & Cinespañol (16:9, 1.78:1, DD5.1 span.)
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Diskussion
Juan, wie er im Fitnessstudio Gewichte stemmt. Juan, wie er bei seiner Arbeit in einer Textilfabrik Hemden bügelt und Hosen aufhängt. Juan auf dem Weg zur Arbeit. In einem kleinen Laden kauft er zwei Schokoriegel, wortlos. Juan, der spät abends zu Hause seinem schon schlafenden Sohn noch einen Kuss auf die Wange drückt. Eine halbe Stunde lang reiht der argentinische Kameramann Gustavo Triviño in seinem Regiedebüt „De Martes a Martes“ (wörtlich: von Dienstag bis Dienstag) solche Banalitäten aneinander, ohne dass dabei viel gesprochen würde oder eine Filmmusik das Schweigen aus dem Off übertönen würde. Dennoch entwickelt der Film eine kraftvolle Dynamik, einen eigentümlichen, unterschwelligen Sog. Mit langen, stillen Einstellungen verschafft Triviño den alltäglichen Verrichtungen einen Raum, der ihnen eine mysteriöse Tragweite verleiht. Groß- und Detailaufnahmen verwandeln die simplen Handgriffe in enigmatische Chiffren. Anstatt einfach zu zeigen, wie Juan eine Hantel nach oben drückt, wandert die Kamera an ihr entlang von einer Seite zur nächsten, und streicht dabei vielsagend über Juans Gesicht. Was sich dahinter verbirgt, bleibt zunächst vage. Juan, Mitte 30, liebevoller Familienvater, muss aus gesundheitlichen Gründen täglich trainieren. Er träumt von einem eigenen Fitnessstudio. Doch das Startkapital dafür liegt in weiter Ferne. Obwohl er in der Textilfabrik Zusatzschichten übernimmt und abends noch als Türsteher arbeitet, reicht das Geld nicht einmal dafür, zu Hause die marode Zimmerdecke zu reparieren. Einiges an diesem bärenstarken, schüchternen Juan erinnert an den Titelhelden aus „Gigante“ (fd 39 488) von Adrián Biniez, ein ähnlich wortkarger, sensibler Riese, der auch als Türsteher jobbte. Juan erträgt geduldig die Lästereien seiner Kollegen, die sich über den Einzelgänger lustig machen. Auch die Repressalien seines Chefs nimmt er scheinbar klaglos hin. Doch der ruhige Erzählstil, der zu Beginn beinah etwas Meditatives ausstrahlte, erhält mehr und mehr einen beunruhigenden, lauernden Einschlag. In einer kurzen, blutigen Fantasie stellt sich Juan vor, wie er einen unverschämten Partygast verprügelt. Es brodelt in ihm. Eine Eskalation liegt in der Luft. Dann sieht er eines Nachts, wie die junge Verkäuferin, bei der er Tag für Tag seine Riegel kauft, und die dabei immer ein bisschen mit ihm flirtet, von einem älteren, vornehm gekleideten Mann bedrängt wird. Er folgt den beiden und beobachtet, wie die junge Frau vergewaltigt wird. Aber anders als in „Gigante“ greift Juan nicht ein. Stattdessen schleicht er dem Täter nach, der offenbar zur argentinischen Oberschicht gehört, und versucht ihn zu erpressen, um so seinen Traum vom eigenen Fitnessstudio doch noch wahr werden zu lassen. Die Gewissensbisse kann man später in Juans Mimik deutlich ablesen. Pablo Pinto spielt das großartig. Stark ist auch eine Szene, in der Juan seiner Frau beichtet, was er getan hat. Die Kamera filmt das Gespräch durch die Glasfront des Cafés hindurch, in dem die beiden sitzen. Man sieht nur ihre Gesichter, die Gesten, hört aber nicht, was sie einander sagen. Dennoch lotet der Film den zentralen Konflikt zu wenig aus. Die Mitschuld Juans ist omnipräsent – und erscheint dennoch fast zweitrangig. Die konsequente Empathie, die Triviño seinem unmoralisch handelnden Antihelden gewährt, irritiert. Wenn man sich von der wohlmeinenden Perspektive nicht einlullen lässt, verwandelt gerade das den Film in ein unbequemes, aufwühlendes Drama ohne echte Helden. Auch wenn die Balance zwischen Nähe und Distanz hier und da aus dem Gleichgewicht gerät, knüpft die Inszenierung mit der unaufgeregt- behutsamen Art, mit der sie die existentiell-seelischen Konflikte und Identitätskrisen eines nicht mehr ganz jungen Mannes ausleuchtet, an die jüngere Tradition des argentinischen Kinos an. Nach Rodrigo Morenos „El Custodio“ (fd 38 171) oder Ariel Rotters „El Otro“ (2007) gelingt auch Gustavo Triviño mit „De Martes a Martes“ ein starkes, bedächtig erzähltes Stück Schauspielkino mit sozialkritischen Potential.
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