Der Brand (2010)

Psychothriller | Deutschland 2010 | 90 Minuten

Regie: Brigitte Maria Bertele

Eine selbstbewusste Frau lernt beim Tanzen einen charmanten Mann kennen, der sie auf dem Nachhauseweg vergewaltigt. In ihren Tiefen erschüttert, ringt sie um ihr Gleichgewicht und zeigt den Täter an, muss aber erleben, dass niemand ihren Anschuldigungen glauben will. Als der Mann straffrei ausgeht, greift sie zu drastischen Mitteln, um die Vergewaltigung juristisch zu beweisen. Ein hochspannendes Drama, das das Leid des Opfers in allen Phasen präzise seziert und es mit der Kamera nüchtern beobachtet. In der Hauptrolle herausragend gespielt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
filmsyndikat Filmprod.
Regie
Brigitte Maria Bertele
Buch
Johanna Stuttmann
Kamera
Hans Fromm
Musik
Christian Biegai
Schnitt
Dominique Geisler
Darsteller
Maja Schöne (Judith Hoffmann) · Mark Waschke (Georg) · Florian David Fitz (Valentin Stein) · Wotan Wilke Möhring (Ralph Nester) · Ursina Lardi (Anne Nester)
Länge
90 Minuten
Kinostart
09.10.2014
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Psychothriller | Drama
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IMDb | TMDB

Diskussion
Es gibt viele Gründe, sich Tanzen als Hobby zuzulegen. Man kann dabei das Funktionieren im Job ablegen oder Abstand zum Freund suchen, der in seinem Beruf allzu gründlich aufgeht. Man kann nach einem kurzen Moment der Leere streben, nach der Nähe fremder Menschen oder unverbindlicher Erotik. Wenn die Krankengymnastikerin Judith Salsa tanzt, macht sie es offensiv und entspannt bis in alle Poren. Das zieht Männer scharenweise an, hat aber wegen der unausgesprochenen Abstand-Regeln keine Konsequenzen, bis auf einen Abend, als sich einer der Zufallstanzpartner nicht mehr abschütteln lässt. Er folgt ihr nach draußen, wo sie mit ihrer defekten Fahrradkette kämpft. Vertreibt zwei aufdringliche Jugendliche und bietet ihr an, sie auf ihrem Nachhauseweg zu begleiten. Er ist charmant und scheinbar zuvorkommend, lockt sie vom Fahrradweg zum Flussufer hin und stellt plötzlich intime Fragen, die seine zuvor höfliche Konversation in einem anderen Licht erscheinen lassen. Da ist Judith längst in die Falle getappt. Das Schreien und Toben ist vergeblich. Selbst die Kamera schaut weg von der Vergewaltigung, die niemand in dem dunklen Gestrüpp mitbekommt. Die großartige Maja Schöne, die gerade noch vor wilder Lebenslust erstrahlte, ist kaum wiederzuerkennen, als sie am nächsten Tag am Fluss mit Verletzungen und einem traumatisierten Gesicht aufwacht. Es braucht nur wenige Szenen mit Mark Waschke, um zu begreifen, dass sie sich von dem Übergriff trotz des liebevollen Rettungsschirms, den ihr der langjährige Freund anbietet, nicht so schnell erholen wird. Der Apathie und Fassungslosigkeit folgen Weinkrämpfe und Wut. Ein innerer Prozess, der sie schließlich in eine Beratungsstelle treibt. Der Anwalt rät ihr zur Anzeige. Der Schritt verschafft ihr zunächst Erleichterung, erweist sich aber zunehmend als die zweite Zumutung, die sie an den Rand ihrer seelischen Gesundheit treibt. Wie schon in dem Klassiker „Angeklagt“ (fd 27 422) mit Jodie Foster sieht sich Judith mit Fragen des Anwalts konfrontiert, die ihr ein ausschweifendes Sexleben unterstellen. Dass ihr Peiniger, ein verheirateter Arzt mit zwei Kindern, die Tat abstreitet und von einem einvernehmlichen, von Oralverkehr und Sado-Maso-Spielen gewürzten One-Night-Stand berichtet, stellt ihre Schilderung gänzlich in Frage. Keine Zeugen, keine Beweise, die Risswunden in der Scheide zu gering. Ein klarer Fall von Aussage gegen Aussage. Spätestens jetzt frisst sich die Tat wie ätzendes Gift in das Leben der 35-Jährigen. In ihrer Praxis ist sie als Nervenbündel, das für die ruhebedürftigen Patienten kontraproduktiv ist, nicht mehr willkommen. Der Sex mit dem Freund will nicht mehr gelingen, der eigene Körper ist ihr fremd und scheint von Innen zu brennen. Der verbale Austausch in der Beziehung gerät zunehmend aggressiv, weswegen Judith schließlich in ein Hotel zieht. Er möchte, dass sie einen Schlussstrich zieht. Keine Option für Judith, die sich wie ein getriebenes Wrack selbstmordgefährdet durch den Alltag quält, besessen von dem Wunsch, den Täter nicht ungeschoren davon kommen zu lassen. Wenn es schon zu keinem Prozess kommt, soll er sich wenigstens nicht in Sicherheit wiegen. Weder am Arbeitsplatz noch zu Hause kann er ihren Nachstellungen entkommen. Was ihr widerfahren ist, erzählt sie der Gattin unter einem Vorwand scheibchenweise, baut immer mehr psychischen Druck auf und wählt im Finale einen so klugen wie lebensgefährlichen Weg, um die Vergewaltigung endlich juristisch beweisen zu können. Regisseurin Brigitte Bertele schafft es dank eines das Leid des Opfers in allen Phasen präzise sezierenden Drehbuchs und einer nüchtern beobachtenden Kamera eine Spannung aufzubauen, die bis zum Schluss nicht mehr loslässt. Und das ohne die aufwühlende Passion dieser kämpferischen Frau in die allzu vorhersehbare Dramaturgie eines Psychothrillers abgleiten zu lassen. Ein trauriger Skandal, dass dieser auch in den Leistungen der Schauspieler überragende Film erst drei Jahre nach seiner Entstehung in die Kinos kommt.
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