Der kleine Prinz (2015)

Animation | Frankreich 2015 | 107 Minuten

Regie: Mark Osborne

Ein Mädchen wird von seiner Mutter mit manischer Verbissenheit auf Leistung gedrillt. In seine streng reglementierte Welt dringen einzelne Kapitel aus dem Buch eines schrulligen alten Nachbarn, der früher als Pilot tätig war. Antoine de Saint-Exupérys Geschichten vom kleinen Prinzen und dem Fuchs durchdringen die Gegenwartshandlung und plädieren dafür, dass die Kindheit nicht durch gesellschaftliche Zwänge ausgelöscht werden darf. Die eigenwillige Märchenadaption kombiniert innovativ 3D-Animation mit Stopptrick-Verfahren, wobei der „amerikanische Touch“ der Inszenierung der zauberhaften Anverwandlung einen opernhaften Schwung verleiht. - Sehenswert ab 6.
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Filmdaten

Originaltitel
THE LITTLE PRINCE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Orange Studio/LPPTV/M6 Films/Lucky Red
Regie
Mark Osborne
Buch
Irena Brignull · Bob Persichetti
Kamera
Kris Kapp
Musik
Richard Harvey · Hans Zimmer
Schnitt
Carole Kravetz Aykanian · Matthew Landon
Länge
107 Minuten
Kinostart
10.12.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 6.
Genre
Animation | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Editionen enthalten eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA7.1 dt.)
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Innovative Anverwandlung von Antoine de Exupérys Geschichte vom kleinen Prinzen und dem Fuchs

Diskussion
Was wäre geschehen, wenn der Bruchpilot in Antoine de Saint-Exupérys berühmtem Buch die Geschichte vom kleinen Prinzen nicht notiert hätte? Wenn er alt und grau geworden wäre, ohne dass Millionen Menschen dem Zauber eines der meistgelesenen literarischen Werke erlegen wären? Vielleicht wären die Erkenntnisse um den einzigartigen blonden Jungen vom Asteroiden B 612 mit dem Piloten zu Grabe getragen worden. Vielleicht hätte niemand sich daran erinnert, dass „das Wesentliche für die Augen unsichtbar“ ist. Was wäre aus der Welt geworden? „Kung Fu Panda“ (fd 38 796)-Regisseur Mark Osborne spießt seine Adaption des „Kleinen Prinzen“ von einer überraschenden Seite auf. Er bettet das zeitlose Märchen in eine in 3D animierte Handlung ein, die in einer von kapitalistischen Prinzipien durchwirkten Wettbewerbsgesellschaft spielt. Mit dem alternativlosen Ziel, zu den zukünftigen Leistungsträgern zu gehören, wird ein namenloses Mädchen von seiner Mutter zum „High Potential“ gedrillt. Als sie jedoch durch die Aufnahmeprüfung einer renommierten Schule fällt, ziehen Mutter und Tochter kurzerhand ins Einzugsgebiet der Schule. Das einzige Haus, das sich die beiden in der schicken Neubaugegend leisten können, grenzt an eine alte windschiefe Villa, neben der keiner wohnen will. Die Sommerferien beginnen, und der „Lebensplan“ an der Wand im Wohnzimmer sieht für das Mädchen nur eines vor: lernen, lernen, lernen. Doch der schrullige Alte, der in der Villa nebenan lebt, bastelt im Garten an seinem schrottreifen Flugzeug und reißt es mit einer Explosion jäh vom Schreibtisch. Er entschuldigt sich dafür per Papierflugzeug, gefaltet aus der ersten Seite des „Kleinen Prinzen“. In dem Mädchen findet der ehemalige Pilot endlich eine Leserin seiner Erzählungen, von denen bisher niemand etwas wissen wollte. So werden die einzelnen Kapitel aus dem Buch nach und nach in die Handlung eingestreut, aber nicht nur das: Sie werden darin gespiegelt und weitergesponnen. Wie der kleine Prinz vom Fuchs lernt, was Freundschaft bedeutet, lernt es das Mädchen vom alten Piloten. Waren die kuriosen „großen Leute“, denen der kleine Prinz auf seiner Reise begegnete, noch bemitleidenswerte Allegorien der Eitelkeit, der Gier, des Machthungers, so sind sie in der durchökonomisierten Gegenwart des Mädchens zum Massenphänomen geworden. Blieb der kleine Prinz sich im Buch immer treu, gerät er hier auf Abwege. Dieses Spiegeln, Eindampfen und Auswalzen der Buchvorlage zu einem filmischen Drama mit Gegenwartsbezug, das sich allem voran dafür stark macht, dass Kindheit nicht durch Leistungsdruck und gesellschaftliche Zwänge ausgelöscht wird, mag auf manche Liebhaber des Originals befremdlich wirken – und doch funktioniert der Film erstaunlich gut. Der Transfer auf die zwar reichlich zugespitzte, aber mögliche Lebenswelt des Mädchens bietet dem anvisierten jungen Kinopublikum eine Lesart an, die mehr als 70 Jahre nach Erscheinen des Buchs die ungebrochene Aktualität von Saint-Exupérys Gesellschaftskritik und humanistischer Botschaft fassbar macht. Welche Rolle „Der kleine Prinz“ für die Selbstbewusstwerdung spielen kann, zeigt sich an der Entwicklung des Mädchens. Das Märchen springt über in dessen Realität, bis sich Fantasie und Wirklichkeit sogar zu einer fulminanten, hollywoodreifen Weltenrettung vermengen. Der „American Touch“ der Regie ist in der französischen Produktion an dieser Stelle unverkennbar und sorgt für einen opernhaften Ausschlag des Films, dessen Tonfall sich sonst an den schwebenden Melodien der Chansoneuse Camille orientiert. Die Besonderheit des Films schlechthin ist freilich die ungewöhnliche Verbindung von CGI und Stopptrick. Das Hier und Heute ist zeitgemäß per Computer animiert. Die perfekte Brillanz der Bilder gibt dem Umfeld des Mädchens, einer entseelten Planstadt mit glatten Oberflächen, scharfen Kanten und gedeckten Farben, den letzten unmenschlich wirkenden Schliff – bedeutungsschwere Ausnahme ist das bunte Durcheinander beim alten Piloten. Quasi als Hommage an das papierne Buch entfaltet sich das Universum des kleinen Prinzen buchstäblich aus den Notizen und Zeichnungen des Piloten. Eine Seite zerreißt zum Wolkentunnel, ein Stück Klebeband wird zum Trampelpfad. Die liebevoll aus Papier hergestellten Figuren und Landschaften ähneln Saint-Exupérys unverwechselbaren Zeichnungen und strahlen deren Magie aus. Der Bruchpilot hat die Geschichte also doch noch erzählt. Überliefert wird sie durch Mark Osborne in dieser sehenswert eigenwilligen Vision, in der nun das Mädchen an der Reihe ist, die Geschichte weiterzuerzählen. Der kleine Prinz kann seine Reise fortsetzen.
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