Animation | USA 2014 | 97 Minuten

Regie: Graham Annable

Kleine Trolle, die in Pappkartons leben und nachts in Abfällen nach Interessantem suchen, werden von den Menschen als bösartig verfolgt. Die Tochter des Bürgermeisters setzt gemeinsam mit einem Jungen, der bei den Trollen aufgewachsen ist, alles daran, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Eine fesselnde Parabel über die Entstehung und Überwindung von Vorurteilen, zugleich ein Plädoyer für die Möglichkeit der Veränderung. Visuell bestechend, betreibt der Film ein atmosphärisches Spiel mit unheimlichen Elementen, wobei er souverän Computeranimation, Puppen- und Zeichentrick verbindet. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
THE BOXTROLLS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Laika Ent.
Regie
Graham Annable · Anthony Stacchi
Buch
Irena Brignull · Adam Pava
Musik
Dario Marianelli
Schnitt
Edie Bleiman
Länge
97 Minuten
Kinostart
23.10.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Animation
Externe Links
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Heimkino

Die Standardausgabe (DVD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Die Extras der umfangreicheren BD umfassen u.a. einen engl. untertitelbaren Audiokommentar der Regisseure, sechs kommentierte Storyboardanimationen (17 Min.) sowie zehn kurze Features, die sich zu einem passablen "Making of" verdichten (insgesamt 46 Min.). Nur die BD ist mit dem Silberling 2015 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Universal (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl., dts dt.)
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Diskussion
Eine wilde Verfolgungsjagd steht am Anfang von Alan Snows Roman „Here be Monsters!“. Lebendiger englischer Käse (mit Beinen) ist darin auf der Flucht vor dem fiesen Archibald Snatcher. Und auch sonst wimmelt es in dem Kinderbuch nur so von skurrilen Figuren. Man begegnet intelligenten Ratten, die eine Wäscherei auf einem Boot betreiben, Menschen, die Kohl auf ihre Köpfe gebunden haben, und Wesen, die ihre Körper in Pappkartons verstecken, die in Höhlen tief unter der Erde leben und leidenschaftliche Bastler sind: den Boxtrolls, die es in der Verfilmung von Graham Annable und Anthony Stacchi sogar bis zu den Titelhelden gebracht haben. Vom Rest der Vorlage ist mit Ausnahme des Settings und vereinzelter Figuren allerdings erstaunlich wenig übriggeblieben. Die überbordende Fantasy-Welt von Snow wurde stattdessen entkernt und eingedampft, geglättet und auf gewisse Art auch gefälliger gemacht. Dass in diesem Animationsfilm dennoch manch Abgründiges erhalten geblieben ist und immer wieder auch ein Hauch des Monströsen aufblitzt, ist dem produzierenden Studio Laika geschuldet. Mit nur zwei Filmen, der überaus unheimlichen und doppelbödigen Neil-Gaiman-Adaption „Coraline“ (fd 39 420) sowie mit dem Zombie-Außenseiterfilm „ParaNorman“ (fd 41 209), hat sich die Produktionsfirma einen Ruf als unkonventionelles Studio erarbeitet, das vorrangig auf die charmant altmodische Puppenanimation setzt und überdies auch ein Faible für düstere Geschichten hat. Diese vermögen ein junges Publikum bisweilen zwar erschrecken, nehmen es aber zugleich sehr ernst nehmen und haben am Ende viel mehr mit dem Alltag zu tun, als es zunächst den Anschein erweckt. Während „Coraline“ und „ParaNorman“ noch in einer Art Gegenwart verortet waren, führt „Die Boxtrolls“ in eine Zeit, die ans viktorianische England erinnert. Nachts verbarrikadieren sich die Menschen in Cheesebridge in ihren Häusern und lassen so gut wie nichts vor den Türen zurück. Sie fürchten sich von den Boxtrolls, die in der Dunkelheit die Stadt unsicher machen und alles an sich reißen, was nicht niet- und nagelfest ist. Einmal, so will es die Legende, sollen die seltsamen Wesen sogar ein Baby entführt haben. Archibald Snatcher kommt die Angst der Bürger gerade recht, will er sich doch als radikaler Boxtroll-Jäger in Cheesebridge als Held beweisen und dadurch in die Riege der aristokratischen Käsegenießer aufgenommen werden. Nur Winnie, die Tochter von Lord Portley-Rind, will nicht an das Märchen von den bösartigen Trollen glauben. Erst recht nicht, als sie auf Eggs trifft, der sich wie ein Boxtroll verhält und auch eine Kiste trägt, aber ansonsten doch wie ein ganz normaler Menschenjunge aussieht. Gemeinsam mit Eggs begibt sich Winnie in die Welt der Boxtrolls und stellt schnell fest, dass die wahre Bösartigkeit bei den herrschaftssüchtigen Menschen zu finden ist, während die Boxtrolls trotz ihres seltsamen Aussehens in Wirklichkeit überaus liebenswerte Kreaturen sind. Dramaturgische Überraschungen bleiben in „Die Boxtrolls“ lange Zeit aus, weil der Film von Anfang an zeigt, wie fürsorglich und herzlich die vermeintlichen Monster im Grunde sind, die Nacht für Nacht harmonisch aufeinander gestapelt schlafen, während andererseits an der Niedertracht Snatchers nie Zweifel bestehen. Stattdessen besticht der Film als einer Mischung aus Puppentrick, CGI und Zeichentrick durch technische Perfektion, seine mit viel Liebe zum Detail gestalteten Schauplätze und eine faszinierende morbide Atmosphäre. Doch gerade, als die Entwicklung der Handlung zum Stillstand gekommen zu sein scheint, die Figuren etabliert sind und Actionelemente überhand nehmen, gelingt eine berührende Wendung. Auf einmal eröffnet der Film durch die Konzentration auf Eggs’ Schicksal ein neues Thema, das über die Parabel von der Entstehung und Überwindung von Vorurteilen hinausweist. Dabei geht es dann nicht mehr nur um die Frage familiären Zusammenhalts oder darum, ob Eggs, der einst von den Boxtrolls adoptiert wurde, ein Mensch oder ein Boxtroll ist. Zur Debatte steht vielmehr die Möglichkeit, sich selbst zu verändern und aktiv mitzubestimmen, wer man sein und wie man leben möchte. Selbstverständlich sind es wieder einmal die Kinder, die den Erwachsenen (und den Trollen) die Augen öffnen.
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