Drama | Deutschland 2016 | 89 Minuten

Regie: Jan Krüger

Ein zurückhaltender junger Immobilienmakler vermittelt einem polnischen Geschwisterpaar unter der Hand eine kostenlose Wohnung in Berlin. Seine Großzügigkeit ist Teil eines unausgesprochenen Tauschs: Während er mit dem Mann eine Affäre beginnt, will er auch an der eingeschworenen Gemeinschaft der Geschwister teilhaben. Das klug entworfene Drama vermeidet mit der ungewöhnlichen Verbindung von Berliner Wohnungsmarkt, Migration und Märchenmotiven ausgetretene Pfade. Dabei erscheint das übergespannte Thema der Tauschökonomie innerhalb der Konstruktion des Films konsequent, es nimmt jedoch den Figuren Raum zum Atmen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Schramm Film Koerner & Weber/WDR
Regie
Jan Krüger
Buch
Jan Krüger · Anke Stelling
Kamera
Jenny Lou Ziegel
Musik
Birger Clausen
Schnitt
Natali Barrey
Darsteller
Vladimir Burlakov (Thies) · Julius Nitschkoff (Bruno) · Irina Potapenko (Sonja) · Hilmi Sözer (Marcos) · Franziska Wulf (Kollegin)
Länge
89 Minuten
Kinostart
03.11.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Klug entworfenes Drama mit ungewöhnlichen Motivsträngen

Diskussion
„Es gibt nichts umsonst“, heißt es einmal – ein Satz, mehr noch ein Prinzip, das den Film in all seine Schichten zu durchwirken scheint. „Die Geschwister“ spielt in Berlin, genauer im mittlerweile nahezu durchgentrifizierten Neukölln. Vom viel beschworenen Mehrwert an Zeit, Gestaltungsfreiheit, Intensität und Leben, von dem etwa die Berlin-Filme der jüngeren Zeit erzählten – von Sebastian Schippers „Victoria“ (fd 43 142) bis zu Stephan Geenes theorieaffinem „Umsonst“ (fd 42 465) –, ist indes wenig zu spüren. Von seinen ersten Bildern und Worten an strahlt „Die Geschwister“ etwas Sparsames, Eingehegtes, Gebremstes aus. Das Gesetz der Ökonomie bestimmt nicht nur die Geschicke der Figuren. Es affiziert auch die Bilder, die Narration, den Rhythmus. „Die Geschwister“ ist ein Film, der sich nur momenthaft von der Leine löst oder in der Logik der Erzählung gesagt: ein Film, der einem nichts schenkt. Hauptfigur ist Thies, ein junger Immobilienmakler und Einzelgänger (schön indifferent gespielt von Vladimir Burlakov). Seine Chefin lobt ihn in einer Szene für sein gleichermaßen durchsetzungsstarkes wie deeskalierendes Wesen. Wenn eine Kollegin meint, er interessiere sich nicht für die Probleme anderer, klingt es hingegen eher nicht nach einem Kompliment. Regisseur Jan Krüger setzt diesen verbindungsarmen Mann in eine Art Turm. In einem der oberen Stockwerke des Wohnsilos zwischen Hallesches Tor und Friedrichstraße wohnt Thies in spärlicher Einrichtung und ohne Netflix-Abo, dafür aber mit Panoramablick auf einen Sportplatz. Alles ist weit genug weg, um nicht zu berühren. Das Abendessen beim Asia-Imbiss wählt er „zum Mitnehmen“. Mit dem umkämpften Wohnungsmarkt hat Krüger ein Setting gewählt, an dem sich gesellschaftlich disparate Biografien im Moment des Zusammentreffens sogleich wieder trennen: Wer nicht die notwendigen Papiere hat, Einkommensnachweise, Schufa-Auskünfte, Elternbürgschaften etc., ist raus aus dem Wettbewerb. Als Thies Bruno und Sonja begegnet, einem jungen, etwas geheimnisvollen Geschwisterpaar mit unklarem Aufenthaltsstatus, bricht er die Regeln. Er besorgt ihnen unter der Hand eine Wohnung – für umsonst. Da Thies mit Bruno eine Affäre begonnen hat, trägt die vermeintliche Großzügigkeit jedoch die Züge eines Tauschs. Was Thies allerdings noch mehr möchte als Sex, ist die Teilhabe an der eingeschworenen Gemeinschaft der Geschwister – Krüger ließ sich hier von Grimms Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ inspirieren. Mit seiner ungewöhnlichen Verbindung von Berliner Wohnungsmarkt, Migration und Märchenmotiven meidet Krüger die ausgelatschten Pfade des Thesenfilms und begeht eigene Wege. Doch die kluge Konstruktion ist gleichzeitig Problem des Films: Die Tauschökonomie – allgegenwärtig nicht nur in der sexuellen Beziehung der Männer, sondern ebenso im Subplot eines Trödelhändlers, für den Thies unentgeltlich arbeitet – wird zum Diktat, das den Figuren und ihrem Begehren jeden Raum nimmt. Manche Szene wird so zum Exempel, etwa wenn Thies sich auf einem Kurztrip nach Polen plötzlich wie ein Freier verhält und Bruno im Gegenzug die Rolle eines Strichers einnimmt, der seine sexuelle Ambivalenz als Wert einsetzt. So interessant diese Szenen auch geschrieben sind, in der Umsetzung können sie sich nie ganz vom Eindruck der Gebautheit befreien. Die eher frei komponierten, atmosphärischen Sequenzen – Stadtimpressionen, Tracking Shots der durch die Straßen laufenden Sonja etc. – bringen kurzzeitig Bewegung in den Film, wirken aber eher wie musikalische Zwischenspiele, als dass sie eine autonome Ebene entwickeln würden. So hängt „Die Geschwister“ mitunter zwischen Verstockung und Verflüssigung, zwischen Verrätselung und dem allzu Expliziten fest. Erst wenn sich Thies am Ende dem Leben der Stadt öffnet, wird eine andere Großzügigkeit spürbar.
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