Drama | Georgien/Deutschland/Frankreich/Tschechien/Kasachstan 2014 | 101 Minuten

Regie: George Ovashvili

Eine in ruhigen, traumhaft schönen Einstellungen eingefangene Parabel auf das menschliche Leben im Kreislauf der Natur: Ein Mann lässt sich auf einer kleinen Flussinsel nieder, beginnt den Boden zu bestellen, erntet, wacht über seine heranwachsende Enkelin und stirbt schließlich. Jenseits konkreter gesellschaftlicher und politischer Verortungen konzentriert sich das kunstvoll inszenierte, wortkarge Drama auf Bilder eines einfachen Insellebens. Seine ästhetische Meisterschaft geht einher mit einer konsequenten, mitunter fast mystischen Überhöhung alltäglicher Verrichtungen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SIMINDIS KUNDZULI
Produktionsland
Georgien/Deutschland/Frankreich/Tschechien/Kasachstan
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Alamdary Film/42film/Arizona Prod./Axman Prod./Kazakhfilm
Regie
George Ovashvili
Buch
Roelof Jan Minneboo · George Ovashvili · Nugzar Shataidze
Kamera
Elemér Ragályi
Musik
Josef Bardanashvili
Schnitt
Kim Sun-min
Darsteller
Ilyas Salman (Abga) · Mariam Buturishvili (Asida) · Irakli Samushia (Soldat) · Tamer Levent (Offizier)
Länge
101 Minuten
Kinostart
28.05.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD5.1 georg./dt.)
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Mensch und Natur: Ein meditatives Drama

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Er erscheint wie aus dem Nichts: Ein alter Mann auf einem Boot. An einer kleinen Insel, die inmitten eines Flusses aufgeschwemmt wurde, macht er sein Gefährt fest. Er testet, ob ihn der Erdboden trägt. Nachdem er seine Jacke niedergelegt hat, kniet er sich hin, bohrt seine Hände in die dunkle Erde, riecht an ihr, schmeckt sie. Der Boden scheint fruchtbar zu sein. Dann wühlt sich der Alte tiefer und tiefer, bis er das Zeugnis einer untergegangenen Kultur zutage fördert. Die bernsteinerne Zigarettenspitze begleitet ihn künftig mahnend: Auch wenn er diesem Acker einen guten Ertrag abringen kann, ist bei dessen Bebauung mit Opfern rechnen. Das Motiv der Insel wurde schon oft benutzt, um allgemeinmenschliche Erfahrungen in symbolische Form zu gießen. Wen das Leben innerhalb einer Gesellschaft anstrengt oder langweilt, der wünscht sich bisweilen weit weg, auf eine Insel. In einem abgeschiedenen Paradies lässt sich glückselig und vor allem ohne die nervtötenden Zumutungen einer regelwütigen Zivilisation leben. So mancher reift dort zum Helden, wenn er sich in echte Abenteuer stürzt. Deshalb eignet sich das Motiv auch, um neue Gesellschaftsentwürfe zu erproben. Allerdings kann sich das Eiland ebenso gut als Fluch entpuppen, sodass man die ferne Heimat und deren kulturelle oder soziale Errungenschaften wieder herbeigesehnt. Robinson Crusoe konnte zwar die wilde Natur zähmen, indem er die Entwicklungsschritte einer sich ausbildenden Kultur nachbildete, doch es fehlte ihm die Einbettung in eine Gesellschaft, in ein reichhaltiges soziales Leben. In „Die Maisinsel“ nützt George Ovashvili das Insel-Motiv ganz klassisch als Parabel über den Menschen und dessen Verhältnis zur Gesellschaft. Der Protagonist spielt in der Kürze der filmischen Erzählzeit durch, woraus das Leben besteht. Doch Ovashvilis Botschaft ist pessimistisch: Jeder Versuch, die Natur zu zivilisieren, muss scheitern, da die Menschen seinerseits ja deren Gesetzen unterliegen. Mit diesem Statement flüchtet sich der georgische Regisseur in eine symbolische „Minimal Art“; er zieht sich auf die Darstellung ganz grundlegender Dinge zurück. Ein alter Mann sucht sich ein Stück Land, nimmt es in Besitz, setzt sich eine Hütte darauf, baut Grundnahrungsmittel an, bearbeitet den Acker mit seiner Enkelin, erntet am Schluss und vergeht. Danach fängt eine neue Generation wieder von vorne an. Ovashvili löst seine Figuren aus der Geschichte und aus dem gesellschaftlichen Raum. Die Historie ist primär dazu da, die eigene Vergänglichkeit zu spiegeln. Woher die Figuren kommen und wohin sie wieder gehen, weiß man nicht. Durch die Montage gleiten die Szenen manchmal ineinander über; die Abfahrt des Großvaters mit dem Boot wird zugleich zu seiner Ankunft, jetzt sitzt seine Enkelin bei ihm. Zeit verschwimmt, wird in Mythos überführt. So unterbindet die Erzählstruktur die Frage, wie sich individuelle Wünsche und Absichten in der Auseinandersetzung mit der Umwelt formen. Als die Enkelin auf der Insel in die Pubertät kommt, erschöpft sich ihre Selbstfindung darin, sich ihres Körpers und seiner „natürlichen“ Bedürfnisse bewusst zu werden. Großvater und Enkelin haben deshalb nur wenig miteinander zu bereden. Sie verständigen sich meist durch bedeutungsvolle Blicke. Einmal ist zu erahnen, wie aggressiv die Lust der nachkommenden Generation unterdrückt wird. Schon das kleinste Anbändeln wird im Keim erstickt. Doch die Gesellschaft und die militärischen Konflikte – der Film spielt in der Grenzregion – bleiben im Vagen, auch wenn immer mal wieder abchasische, georgische und russische Soldaten auftauchen und ein feindlicher Gegner Zuflucht auf der Insel sucht. Der Regisseur setzt auf schöne Bilder einer ästhetisierten Natur. Durch kunstvolle Einstellungen überhöht er die Kargheit des einfachen Lebens, zelebriert dessen überschaubare, konzentrierte Verrichtungen. Durch Großaufnahmen werden die alltäglichen Dinge mit Bedeutung aufgeladen, durch Luftaufnahmen die Formen des Hervorgebrachten betont. Zwar lässt man sich von dieser ästhetischen Inszenierung bereitwillig einfangen, doch die Quintessenz, dass der Mensch und sein Tun – und damit auch die symbolisch zu verstehende Landnahme – letztlich allein dem Kreislauf der Natur folgt, irritiert dann doch etwas.
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