Ein Haus in Ninh Hoa

Dokumentarfilm | Deutschland/Vietnam 2016 | 113 Minuten

Regie: Philip Widmann

Zwei Frauen in der südvietnamesischen Küstenstadt Ninh Hoa erinnern sich mit Hilfe von Briefen, Postkarten und Fotografien an ihr Familienleben. Ein Bruder ging in den 1970er-Jahren als Diplomat nach Deutschland, zwei andere Brüder gerieten in den Wirren des Vietnam-Kriegs. Der unaufgeregt-zurückhaltende Dokumentarfilm entwirft ein komplexes Gewebe aus Gegenwart und Vergangenheit, wobei er höchst sorgsam mit den Leerstellen der Erinnerungen umgeht. Am Ende rekapituliert der Sohn die Familiengeschichte, was die durch die Montage erzielte Beiläufigkeit spielerisch geradezu ironisiert. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Vietnam
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Pong Film
Regie
Philip Widmann
Buch
Nguyen Phuong-Dan · Philip Widmann
Kamera
Philip Widmann
Schnitt
Philip Widmann
Länge
113 Minuten
Kinostart
05.01.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Sorgsame Rekonstruktion einer südvietnamesischen Familiengeschichte

Diskussion
Zwei Frauen hocken vor dem Hauseingang und verbrennen Papier in einer Schale. Opfergeld. „Viel wert, brennt schlecht!“, heißt es. Opfergeld? Die Kamera beobachtet, das Mikrofon hört mit. Gespräche, Radioansagen, ein Telefonanruf aus Deutschland. Aus Deutschland? Nach einer guten Viertelstunde bekommen die Bilder und Töne einen Titel: „Ein Haus in Ninh Hoa“. Der Film lässt sich Zeit und gewährt dem Zuschauer die Zeit, sich ein Bild zu machen, die Räume zu erkunden. Manchmal wird vor der Kamera gesprochen, manchmal wird auch nur gedöst oder eine Zigarette geraucht. Die Rede kommt kurz auf „Auslandsvietnamesen“, die anders als die Fremden auf das Land gucken und das „vietnamesische Bewusstsein“ und die Dinge anders angehen können. Allmählich fügen sich die Puzzleteile zu einem Bild, zu einem Familienbild mit allerlei Leerstellen. Ein Bruder ist 1972 als Diplomat nach Bonn geschickt worden und nach dem Ende des Vietnamkrieges nicht mehr zurückgekehrt. Ein leeres Haus, das jetzt zum Verkauf steht, wartet auf diesen Teil der Familie. Ein anderer Bruder wurde im Verlauf einer Schlacht verwundet und gilt seither als vermisst. Auch sein Geist ist präsent, wird mit Aufmerksamkeit bedacht. Der dritte Bruder, der einzige männliche Bewohner des Hauses, musste nach Kriegsende in ein Umerziehungslager. Es kursieren Erinnerungen: Briefe, Postkarten, Fotos – und es werden entsprechende Gespräche „belauscht“. Ausbalanciert wird diese Erinnerungsarbeit, die immer etwas forciert erscheint, durch eine sehr zurückhaltende Kamera, die sich mehr für die Räume und Atmosphäre zu interessieren scheint und aus ungewöhnlichen Perspektiven gerne räumliche Elemente wie Türen, Fenster, Flure und Treppenhäuser als Rahmen wählt. So entsteht allmählich ein komplexes Geflecht aus Gegenwart, Vergangenheit, Erinnerung und Vergegenwärtigung, das verdeutlicht, dass zumindest diese Familiengeschichte noch immer vom Krieg und dessen Ausgang geprägt ist. So behutsam sich der Film dieser Familie und ihrer Geschichte nähert, wobei immer betont wird, hier als Fremder nicht alles verstehen zu können, so ertragreich ist das, was letztlich an Information „eingefangen“ wird. Schließlich tritt der Sohn des Hauses vor die Kamera und verliest die Grundzüge einer Familiengeschichte, in der das Jahr 1975 eine ganz entscheidende Bedeutung hat, so als wolle sich der Film noch einmal der Qualität seiner Recherche versichern, die man als durch Montage inszenierte Beiläufigkeit bezeichnen könnte. Diese Schlusspointe einer beinahe schon lehrbuchhaften Dokumentation könnte man fast schon als ironischen Kommentar zur aktuellen Mode des Dokumentarismus verstehen, auf Off-Kommentare oder erläuternde Inserts komplett zu verzichten.
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