Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 70 Minuten

Regie: Moritz Siebert

Der indische Priester Cyrica Chittukalam wird von seinem Bischof nach Unterfranken gesandt, wo er eine verwaiste Pfarrei übernimmt. Der Dokumentarfilm begleitet ihn ein Jahr lang bei seinen Versuchen, in der deutschen Provinz als Seelsorger Fuß zu fassen. Eine mitunter experimentelle Mediation über das Scheitern, die um Alter, Tod und die Frage nach dem ewigen Leben kreist. Man kann in der durch die Montage ermöglichten Verschränkung mehrerer Perspektiven durchaus eine Entwicklung erkennen, denn mit der Zeit werden die Einstellungen ruhiger, souveräner, auch kunstvoller und aussagekräftiger. Immer deutlicher tritt hervor, dass der Film und mit ihm wohl auch die alt gewordene abendländische Welt am christlichen Zuspruch eines Weiterlebens nach dem Tode zweifelt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Moritz Siebert Prod.
Regie
Moritz Siebert
Buch
Moritz Siebert · Hanna Keller
Kamera
Moritz Siebert
Schnitt
Maja Tennstedt · Moritz Siebert
Länge
70 Minuten
Kinostart
17.04.2014
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Cyriac Chittukalam lacht viel, aber meist aus Verlegenheit. Sein Bischof hat ihn nach Deutschland geschickt, in die Diözese Bamberg, wo es an Priestern mangelt. Doch der junge Seelsorger aus Indien versteht die Menschen nicht. Schuld daran ist nicht nur der unterfränkische Dialekt oder sein rudimentäres Deutsch. Schwerer wiegen die Lebensumstände in dem Winzerörtchen Seinsheim, wo die Alten isoliert vor sich hindämmern und ein Miteinander anscheinend nur im Karneval oder beim Weinfest möglich scheint. Zumindest sieht man den Kaplan in dem melancholischen Porträt von Moritz Seifert häufig irgendwo alleine sitzen und verloren vor sich hingrübeln. Selbst die Wohngemeinschaft mit dem Ortspfarrer klirrt vor floskelhafter Sprachlosigkeit. Was Chittukalam denkt und empfindet, gibt er nur indirekt preis, in spärlichen Kommentaren oder beim Skypen mit seiner Mutter. Doch bei aller Schwermut, die bisweilen auf seinem stillen Zügen lastet, scheint er an seiner Aufgabe nicht zu zweifeln: Die religiösen Rituale, die ihm über alle kulturellen Grenzen hinweg doch so etwas wie eine Interaktion mit den Menschen erlauben, tragen offensichtlich auch ihn selbst. Unverdrossen bringt er betagten Senioren die Kommunion, kramt nach mühsamem Smalltalk einen Zettel hervor und kämpft sich mit indischer Singsang-Intonation durch die liturgischen Gebete. Seine greisen Gegenüber scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil: Sie, die zunehmend in ihrer eigenen Welt versinken, sind dankbar für die menschliche Zuwendung und eine Nähe, die sich nicht in Worten erschöpft. „Erntehelfer“ ist ein merkwürdiger, streckenweise fast experimenteller Film. Mehr als ein Jahr lang hat Seifert den dunkelhäutigen Kirchenmann bei seiner Mission in der deutschen Provinz begleitet. Die halbnahe Kamera rückt Chittukalam häufig an den Rand oder begleitet ihn alleine auf seinen Wegen; es gibt kaum orientierende Aufnahmen in Raum oder Zeit, dafür sind alltägliche Begegnungen durchgängig so gewählt, dass sie die Kluft zwischen den Einheimischen und dem Mann aus Indien unterstreichen. Am Ende des Films packt Chittukalam fast übermütig seine Koffer; wohin sein Weg ihn führt, bleibt offen. Seifert hat Chittukalam aber auch einen kleinen Camcorder überlassen, mit dem der Priester neugierig experimentiert. Mit stillem Staunen filmt er die Weinberge und seine Umgebung, Hasen, Vögel und Schnee, aber auch sich selbst, etwa beim Rasieren, in einer langen, aufschlussreichen Sequenz, die an den Anfang des Films gesetzt ist. Man kann in dieser durch die Montage ermöglichten Verschränkung zweier Perspektiven durchaus eine Entwicklung erkennen, denn mit der Zeit werden die Einstellungen ruhiger, souveräner, auch kunstvoller und aussagekräftiger. Doch in dem Maße, in dem der indische Missionar in der Fremde ankommt, hält die Inszenierung mit ihrer Skepsis gegenüber der religiösen Weltdeutung weniger hinter dem Berg. Immer deutlicher tritt hervor, dass der Film und mit ihm wohl auch die alt gewordene abendländische Welt am christlichen Zuspruch eines Weiterlebens nach dem Tode zweifelt; die Melancholie, die Chittukalam umweht, sein Unverständnis über eine zerfallende Gesellschaft, die freudlosen Bilder aus den Wohnstuben und die Unbillen der Natur verdichten sich zu einem dissonanten Klagegesang, Zeitbild und Weltsicht in einem. Die krisenhafte Diagnose spiegelt sich in der langen Trockenheit des Jahres 2012, die den Winzern und ihren Weinhängen enorm zusetzte. Chittukalam lässt sich die verheerenden Folgen der Dürre vor Ort an den Reben zeigen. Dann zieht er sich ein wenig zurück und bittet um Regen – der drei Einstellungen später dann tatsächlich mit sanftem Schauer über das Land zieht. Ein Wunder, das jedem Film zum Segen gereicht.
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