Dokumentarfilm | USA/Deutschland 2016 | 113 Minuten

Regie: Marcie Begleiter

Eine im Rahmen einer Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle entstandene Dokumentation über die US-amerikanische, in Hamburg geborene Künstlerin Eva Hesse (1936-1970), in deren höchst produktivem Schaffen sich die abstrakte Sprache des Minimalismus mit Organischem verbindet. Der Film rekonstruiert Hesses Leben und Werk überwiegend aus deren Briefen und Tagebucheinträgen sowie aus zahlreichen Fotos; ebenso kommen ehemalige Weggefährten, Künstler und Ausstellungsmacher knapp und pointiert zu Wort. Trotz einiger allzu verspielter Ideen eine fundierte Künstlerdokumentation, die der Biografie wie auch dem künstlerischen Werk gerecht wird. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EVA HESSE
Produktionsland
USA/Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
BDKS Prod.
Regie
Marcie Begleiter
Buch
Marcie Begleiter
Kamera
Nancy Schreiber · Ed Moore · Liza Bambenek
Musik
Andreas Schäfer · Raffael Seyfried
Schnitt
Azin Samari
Länge
113 Minuten
Kinostart
28.04.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1 engl & dt.)
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Materialreiche Annäherung an die früh verstorbene Künstlerin Eva Hesse (1936-1970)

Diskussion
„Eine autobiographische Skizze eines Niemand“. So benennt die Künstlerin Eva Hesse ihre Tagebuchaufzeichnungen im Jahr 1955. Und „ruft“ wenig später ichbewusst aus: „Ich bin eine Künstlerin!“ Hesse war eine zuverlässige Briefe- und Tagebuchschreiberin; schon der Vater dokumentierte das Leben seiner Töchter in materialreich gestalteten Büchern. So lässt die Regisseurin Marcie Begleiter Hesses Leben und Werk überwiegend von der Künstlerin selbst erzählen. Hesse schreibt Briefe an den Vater, an den Künstlerfreund Sol LeWitt, mit dem sie eine geschwisterliche Liebe verbindet. Er schreibt zurück, macht ihr Mut, wenn sie nicht weiß, wie es weitergehen soll mit der Arbeit. Hesse vermerkt Begegnungen und Interviews, listet Arbeitsmaterialien und Ausstellungstermine. Und sie bekennt sich offen zu ihren Einsamkeitsgefühlen, den Ängsten und Zweifeln, beschreibt aber auch die Aufregung und Freude, wenn ihr ein Kunstwerk gelingt. In der deutschen Fassung werden Hesses im Original von der amerikanischen Schauspielerin Selma Blair gelesene Passagen allerdings neu eingesprochen, von einer hellen, allzu glatten Stimme, die den Text überdies gefühlig interpretiert. „Dies ist die Geschichte einer Frau, die nach außen hin ein hübsches Bild abgibt ... allerdings fühlt sich dieser Mensch im Inneren überhaupt nicht hübsch und schön.“ Hesses Biographie ist von tiefen Schatten gezeichnet, gleichzeitig ist ihr künstlerischer Werdegang eine beispiellose Erfolgsgeschichte. 1936 in Hamburg geboren, konnte Hesse mit einem der letzten Kindertransporte nach Holland vor den Nazis gerettet werden. Mit Ausbruch des Krieges emigrierte die Familie in die USA. Als Hesses bipolare Mutter vom Tod ihrer Eltern in den Konzentrationslagern erfuhr, sprang sie vom Dach. Ausgerechnet Deutschland, wohin sie ihren Mann, den Bildhauer Tom Doyle, Mitte der 1960er-Jahre zu einem einjährigen Arbeitsaufenthalt begleitete, wird für Hesse zum Ort ihrer künstlerischen Erweckung. Es gibt ein sehr schönes, stummes Dokument über die Ausstellungseröffnung in Essen-Kettwig, Werner Nekes „Tom Doyle und Eva Hesse“ (1965). Das gut situierte Kulturpublikum trudelt ein, ein Ochse wird am Spieß gebraten, Hesse trägt ein grünes Kleid und hat ihre dichten, dunklen Haare hochgesteckt – zu diesem Zeitpunkt spielt sie neben Doyle noch die Nebenrolle. Im Gewächshaus, abseits vom Hauptausstellungsort, erklärt sie einigen Leuten ihre neuen Arbeiten – sie sind der Auftakt zu ihrem Erfolg als Bildhauerin. Bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 1970 schuf Hesse mit ungeheurer Produktivität ein Werk, in dem sich die formale, abstrakte Sprache des Minimialismus mit dem Organischen, Körperhaften verbindet. Sie experimentierte mit neuen Materialien wie Polyester, Glasfaser, Gummi und Latex, ohne sich dabei von konservatorischen Überlegungen einschränken zu lassen. Hesse erhielt Einladungen zu wichtigen Ausstellungen und behauptete sich in der männlich dominierten Kunstszene weitgehend als einzige Frau. Der Film rekapituliert diese Stationen nicht immer chronologisch, er greift auf kluge Weise in die Vergangenheit zurück, immer dann, wenn auch Hesse gerade intensiv damit beschäftigt ist: etwa, wenn sie von ihren aufgewühlten Gefühlen erzählt, nach Deutschland zurückzukehren. Es gibt viele Fotos von Eva Hesse – viele Fotos auch von Hesse im Atelier, vor ihren Arbeiten, dazwischen oder auch mittendrin. Für den Film, der im Rahmen der Ausstellung „Eva Hesse – One More than One“ in der Hamburger Kunsthalle 2013 entstand, ist diese Materialfülle natürlich ein Geschenk. Umso überflüssiger erscheint die verspielte Idee, einige der Fotos zu animieren – ebenso wie die Illustrierung eines Traums in Form eines Animationsfilms. Knapp und pointiert sind dagegen die Interviews mit ehemaligen Weggefährten, Künstlern und Ausstellungsmachern, darunter Nancy Holt, Dan Graham, Carl Andre und Lucy Lippard. Was sie sagen, hat Hand und Fuß, auch Hesses Rolle als „role model“ der feministischen Kunstkritik wird zur Sprache gebracht – ebenso wie ihre Ablehnung des Etiketts weibliche Künstlerin. Trotz der autobiografischen Perspektivierung gelingt Marcie Begleiter ein Film, in dem Hesses Werk für sich steht. „Ich möchte meine Arbeit als eine Art Nicht-Kunst betrachten, die ihren Weg frei von Vorurteilen findet, die über das hinausgeht, was ich weiß und was ich wissen könnte. Es ist etwas, es ist nichts.“
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