Dokumentarfilm | Deutschland 2015 | 93 Minuten

Regie: Annekatrin Hendel

Dokumentarfilm über Leben und Werk von Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), der vom Action-Theater bis zum frühen Tod des Regisseurs chronologisch alle wichtigen Stationen abgeklappert und mit Anekdoten unterfüttert. Der biografisch-psychologische Ansatz, Fassbinder durch seine Filme und zugleich die Filme durch Fassbinder zu verstehen, führt nicht weit: Statt Fassbinders singulärer Ästhetik oder dem Zeitbezug seiner Filme sowie ihrer emotionalen Resonanzen nachzuspüren, werden nur bekannte Klatschgeschichten aufgewärmt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
IT WORKS! Medien/Rainer Werner Fassbinder Foundation (RWFF)/SWR/BR/WDR/RBB
Regie
Annekatrin Hendel
Buch
Annekatrin Hendel
Kamera
Martin Farkas
Musik
Gisa Flake
Schnitt
Jörg Hauschild
Länge
93 Minuten
Kinostart
30.04.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Biografisch-psychologisch ansetzender Dokumentarfilm über Rainer Werner Fassbinder

Diskussion
Als Rainer Werner Fassbinder am 10. Juni 1982 in München starb, war er gerade 37 Jahre alt geworden. Er hinterließ ein Werk von 44 Filmen, gedreht fürs Kino und fürs Fernsehen, zahlreiche Theaterarbeiten, Auftritte als Schauspieler in Filmen Dritter, allerlei Interviews und auch verstreut Publiziertes, etwa zu Douglas Sirk oder Claude Chabrol – alles entstanden zwischen 1966 und 1982. Er hinterließ auch ein über die Jahre gewachsenes Team von engen Mitarbeitern und Schauspielern, über dessen interne Dynamiken und Abhängigkeiten immer wieder zu lesen war. Schon zu Lebzeiten war der Produktionsfuror Fassbinders von Skandalen begleitet. Erinnert sei hier nur an die offen gelebte Homosexualität, seine Drogensucht, den Fassbinder-Beitrag zu „Deutschland im Herbst“ oder die Antisemitismus-Vorwürfe um „Die Stadt, der Müll und der Tod“. Im Pressetext zu Annekatrin Hendels Dokumentation „Fassbinder“ findet sich der Satz: „Kein deutscher Filmregisseur war umstrittener, produktiver und besessener als Rainer Werner Fassbinder.“ Das sind Superlative für den Boulevard. 33 Jahre ist Fassbinder jetzt tot. Hierzulande hat er, abgesehen vielleicht von Oskar Roehler, keine Nachfolger gefunden, jedenfalls keine Schule gebildet. Im Ausland könnte man „Fassbinder“ in den Filmen von Ozon, Dolan oder auch von Lars von Trier finden. Die großen Retrospektiven liegen lange zurück. In den Kinos und im Fernsehen findet Fassbinder kaum noch statt; immerhin hat sich die „Fassbinder Foundation“ erfolgreich darum bemüht, die Filme auf DVD verfügbar zu halten. Kürzlich kam Schlöndorffs Brecht-Verfilmung „Baal“ (fd 42 264) mit Fassbinder in der Titelrolle, der von den Brecht-Erben jahrelang unter Verschluss gehalten wurde, doch noch auf DVD heraus und setzte Fassbinders Namen mal wieder kurz auf die Tagesordnung. Für ihre Recherche hat Annekatrin Hendel einen eher erstaunlichen Zugang gewählt: sie glaubt, dass hinreichend Material vorhanden ist, um den „Filmrebellen“ Fassbinder seine Geschichte selbst erzählen zu lassen, indem „autobiographische Elemente seiner Werke mit bisher unveröffentlichten Passagen aus seinem schriftstellerischen Frühwerk und Selbstzeugnissen seltener Interviews miteinander verschweißt“ (Pressematerial) werden. Das klingt interessanter, als das Resultat dann aussieht. Denn Hendel, 1964 in Ost-Berlin geboren, begeht ein weiteres Mal den Fehler, Fassbinders Filme durch seine Biografie und seine Biografie durch die Filme erhellen zu wollen, was zur Tautologie führt. Chronologisch wird die Karriere von den Anfängen im Action-Theater aufgerollt und die üblichen Verdächtigen, so sie noch am Leben sind, nach Anekdotischem befragt. Deshalb plaudern Hanna Schygulla, Irm Hermann, Harry Baer, Hark Bohm, Volker Schlöndorff, Günter Rohrbach, Margit Carstensen, Fritz Müller-Scherz, Wolf Gremm und Juliane Lorenz aus dem Nähkästchen. Manchmal hört man die Filmemacherin aus dem Off staunen, was es da zu hören gibt. Hauptsächlich Küchenpsychologie: Fassbinder war ja ein Unterdrücker, ein Manipulator, ein Bürgerschreck und stets schlecht gelaunter Rockstar, aber auch ein Engel, der Glanz in so manche Biografie gebracht hat. Er hätte bestimmt gerne richtige Liebesfilme gedreht, hätte er eine glücklichere Kindheit gehabt. Weil dem leider nicht so war, drehte er Filme über sadomasochistische Machtspiele. Geht es darum, wie Fassbinder das Anti-Theater usurpierte, dann erklären zwei Zeitzeugen, dass dem so war, und ein Ausschnitt aus „Fontane: Effi Briest“ (fd 18 889) scheint den Befund gleich zu bestätigen. Geht es darum, dass Fassbinder eine gewisse Laxheit bei Steuerzahlung und Buchführung nachgesagt wird, folgt eine Einstellung, die Fassbinder in einem amerikanischen Sportwagen zeigt. Geht es darum, wie Fassbinder Baer in Paris in eine Schwulensauna lockte, wird eine Schwulensauna aus „Faustrecht der Freiheit“ (fd 19 341) gezeigt. Und wenn ein Beispiel für die Verzahnung der Fassbinder-Filme gebraucht wird, dann folgt zuverlässig die Erinnerung, dass Margarethe von Trotta den Plot von „Angst essen Seele auf“ (fd 18 756) bereits in „Der amerikanische Soldat“ (1970) erzählt hatte, allerdings – und das wird hier vergessen – mit einer anderen Pointe. Einmal gibt Margit Carstensen zu Protokoll, dass sie erst spät erfahren habe, dass „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (fd 18 187) eine leicht verschobene Darstellung von Fassbinders Beziehung zu Günther Kaufmann gewesen sei. Hendel friert das Filmbild an einer Stelle ein und verdeutlicht die Übertragung mithilfe der Animation. Am deutlichsten tritt die konzeptionelle Schwäche des Films zutage, wenn es um das Schicksal von El Hedi Ben Salem „nach Fassbinder“ geht. Fassbinders Geliebter und Hauptdarsteller in „Angst essen Seele auf“ sei schließlich in einem französischen Gefängnis ermordet worden. Im Film wird gemunkelt: „Ich weiß nicht, was aus ihm geworden wäre, wenn er in seiner Umgebung einfach geblieben wäre.“ Herrje! Es mag ja durchaus sein, dass Fassbinder sein Privatleben als Material für seine Filme genutzt hat, aber er hat vielfach verschränkten und variierten Abstraktionen doch immer auch auf die Gesellschaft drum herum verallgemeinernd bezogen und wurde dadurch zum Chronisten der west-deutschen Gesellschaft. Um es mit Thomas Elsaesser zu formulieren: „Der entscheidende Punkt bleibt bei den biografischen und psychoanalytischen Ansätzen ausgeblendet, vielleicht, weil man ihn als selbstverständlich voraussetzt: Was Fassbinder in erster Linie interessant macht, sind seine Filme, ihre emotionale Resonanz und ihre zeitbezogenen Themen.“ Fraglich, ob man diese Dimension in den Blick bekommt, wenn man den Filmemacher auf die Couch legt. Zumal Fassbinder ja selbst öffentlich immer wieder Spuren in diese Richtung gelegt hat. Häufig – und hier auch zu sehen – mit lausbubenhaftem Charme, wenn er zu Protokoll gibt, dass sein Anti-Theater sich „gegen den Staat, gegen Krieg und gegen Gewalt“ richte. Noch fraglicher aber ist, ob man mit dem Ausbreiten von längst bekannten Klatschgeschichten der Vermittlung des Fassbinderschen Werkes an eine jüngere Generation dient. Hier macht sich das Fehlen von Filmhistorikern oder –kritikern schmerzhaft bemerkbar, weil der Film in der gewählten Form doch sehr oberflächlich bleibt. Die selbstzerstörerischen Kollektiv-Experimente der 1960er- und 1970er-Jahre und ihr Zusammenhang mit den politischen Auseinandersetzungen jener Zeit sind mittlerweile in eine historische Ferne gerückt, die heutigen Zuschauern eher obskur oder bizarr erscheinen.
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