Feuer bewahren - nicht Asche anbeten

Dokumentarfilm | Deutschland 2015 | 86 Minuten

Regie: Annette von Wangenheim

Außergewöhnliches Porträt des Choreografen und Ballet-Direktors Martin Schläpfer, der die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg leitet. Der Dokumentarfilm wirft einen Blick hinter die Kulissen des modernen Tanztheaters und eröffnet einen geradezu magischen Zugang zu „handlungslosen“ Choreografien, in denen es auf Körperlichkeit und Sexyness von Haut und Körpern ankommt. Zugleich legt die erstaunlich intime Annäherung die widersprüchlich-kreative Persönlichkeit Schläpfers frei, der sich nie mit dem Status quo zufrieden gibt. Der Glücksfall eines Künstlerporträts, das sich in den Dienst der Kunstvermittlung stellt und doch filmisch eigenständig bleibt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
7T1 Media Prod.
Regie
Annette von Wangenheim
Buch
Annette von Wangenheim
Kamera
Philipp Metz · Gordon Kalbfleisch · Dieter Stürmer · Monika Eise · Carsten Jost
Schnitt
Ansgar Pohle
Länge
86 Minuten
Kinostart
11.02.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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TMDB

Grandioses Porträt des Choreografen und Ballettmeisters Martin Schläpfer. Regie: Annette von Wangenheim

Diskussion
Sich nie sicher sein, sich nie mit dem Status quo begnügen, immer in Bewegung bleiben – mit diesem aus dem Off gesprochenen Credo beginnt Annette von Wangenheims Filmporträt des in Düsseldorf und Duisburg tätigen Ballettdirektors Martin Schläpfer hoch oben im Wolken verhangenen Tessiner Maggiatal. Es folgt ein kurzer Ausschnitt aus einer Choreografie Schläpfers zu Musik von Johannes Brahms, während der Choreograf seinen künstlerischen Ansatz eines handlungslosen Tanztheaters mit Betonung des Energetischen und Körperlichen beschreibt. Gerahmt von Bildern zweier Choreografien – „Deep Field“, einer Choreografie zu einer Auftragskomposition von Adriana Hölszky, und „Alltag“, einer Choreografie von Hans van Manen für Schläpfer als Solotänzer – wirft der Film einen Blick hinter die Kulissen des modernen Tanztheaters, der einen ganz erstaunlichen Sog entwickelt. Man sieht die Tänzer beim Training, während Schläpfer davon erzählt, wie wichtig die Ausbildung des Körpers ist, um tänzerische Herausforderungen zu bewältigen. Anschließend sieht man ihn selbst in der intensiven Arbeit mit seinem Mentor Hans van Manen. Man muss sich als Zuschauer auf den mitunter aufreizend sanften Duktus von Schläpfers Reflexionen zum modernen Tanztheater einlassen, die von Radikalität, Körperlichkeit und Sexyness der Inszenierung von Haut und Körpern schwärmen. Doch im weiteren Verlauf weitet sich der Blick dieser Dokumentation in beide Richtungen: Schläpfer ist kein etwas versponnener Choreograf, sondern ein Ballettdirektor, der in Zeiten sinkender Budgets für Kulturausgaben gleich zwei Häuser verantwortet und bespielt. Und zwar mit einer Kompanie, die sich internationalem Format verpflichtet fühlt. Was im arabischen Kulturraum durchaus zu Konflikten führt, wenn auf die Erotik des Körperlichen gesetzt wird. Wenn der Film dem vielfach ausgezeichneten Schläpfer in seine Privatheit folgt, werden überdies auch andere Facetten seiner Persönlichkeit sichtbar. So legt dieses vorzügliche Künstlerporträt, befördert durch die ganz erstaunliche Nähe, die Schläpfer zulässt, Schicht um Schicht einer widersprüchlichen, kreativen Persönlichkeit offen, die auf mehreren Ebenen gleichzeitig verantwortlich agiert und sich dabei nie ganz sicher ist, was das eigentlich ist: ein Künstler. Jemand, der etwas aus seinem Inneren nach Außen trägt und das Subjektive innerhalb dieses Prozesses soweit objektiviert, dass es das nur Persönliche übersteigt? Ist es ein Klischee, wenn der Künstler Schläpfer die Einsamkeit der Schweizer Berge sucht, um „die Sinnfrage zu annullieren“? Am Ende fügen sich die unterschiedlichen Diskurse des schlichtweg in Bann schlagenden Films in der Arbeit an einer komplexen und sehr aufwändigen Auftragskomposition von Adriana Hölszky zusammen, für die Schläpfer mit seinen langjährigen Mitarbeitern und den Tänzern eindrucksvolle Bilder auf der Bühne findet. „Feuer bewahren – Nicht Asche anbeten“, ein Zitat des Komponisten Gustav Mahler, gelingt so manches: ein Künstlerporträt und zugleich ein Glücksfall von Kunstvermittlung, dabei aber ein ganz und gar eigenständiges Werk, das sich nicht in Dienst stellen lässt, sondern etwas anzubieten hat. Famos!
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