Biopic | Großbritannien 2017 | 94 Minuten

Regie: Stanley Tucci

Der US-amerikanische Schriftsteller James Lord steht im Jahr 1964 dem Künstler Alberto Giacometti für ein Porträt Modell. Der Schöpfungsakt zieht sich über zwei Wochen hin, weil der Perfektionist Giacometti nie zufrieden ist. Auf der Basis von Lords Bericht widmet sich der Film der Entstehung des Kunstwerks und bettet dies in skizzenhafte Momentaufnahmen aus Giacomettis Pariser Alltag ein. Die Sitzungen im Atelier zeigen das mühevolle Ringen des Künstlers um seine Vision, während im Austausch zwischen ihm und seinem Modell immer wieder auch sein Humor aufblitzt. Dabei vermitteln sich Einblicke ins Wirken eines der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, während zugleich die Eigendynamik künstlerischer Schaffensprozesse gefeiert wird. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FINAL PORTRAIT
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Olive Prod./Potboiler Prod./Riverstone Pic.
Regie
Stanley Tucci
Buch
Stanley Tucci
Kamera
Danny Cohen
Musik
Evan Lurie
Schnitt
Camilla Toniolo
Darsteller
Geoffrey Rush (Alberto Giacometti) · Armie Hammer (James Lord) · Tony Shalhoub (Diego Giacometti) · Sylvie Testud (Annette Giacometti) · Clémence Poésy (Caroline)
Länge
94 Minuten
Kinostart
03.08.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Biopic | Künstlerporträt
Externe Links
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Über den Schaffensprozess des Künstlers Alberto Giacometti (1901-1966)

Diskussion
Es ist ein wahrer „Shit Storm“, den der Maler und Bildhauer Alberto Giacometti, gespielt von Geoffrey Rush, in seinem Atelier entfesselt: Er stöhnt und flucht beim Malen wie eine Frau in den Geburtswehen. Und er scheint genauso wenig Kontrolle über den Ausgang zu haben: Der Malprozess wirkt, als würde der Künstler verzweifelt versuchen, etwas eine feste Form zu geben, das sich immer wieder entzieht. Der Titel von Stanley Tuccis Film scheint fast etwas ironisch: „Final“ klingt nach etwas Abgeschlossenem, Endgültigem. Dabei sagt Giacometti schon zu Beginn, dass es unmöglich sei, ein Porträt zu vollenden. Ein absurdes Unterfangen, eine wahre Sisyphos-Arbeit. Das passt gut zum „existenzialistischen“ Image des Künstlers, wie es sein Freund Jean-Paul Sartre geprägt hat. Was für einen Tonfall verleiht man einem Film, der von solch einem Schaffensprozess erzählt? Einen, der der Wirkung von Giacomettis Kunst auf den Betrachter gleicht, einem „Faustschlag ins Bewusstsein“, wie Sartre über Giacomettis hochbeinig-hagere Skulpturen schrieb? „Final Portrait“ ist das Gegenteil: über weite Strecken heiter und leichtfüßig. Was vor allem daran liegt, dass das Künstlerporträt nicht nur ein Film über die Entstehung eines Werks von Giacometti, sondern die Verfilmung eines literarischen Porträts ist. Der US-amerikanische Schriftsteller James Lord, der mit Giacometti seit den 1950er-Jahren befreundet war und der dem aus der italienischen Schweiz stammenden Künstler 1964 in Paris für ein Porträtbild Modell stand, verfasste über diese Zeit den schmalen Band „A Giacometti Portrait“. Lords Auffassung von Giacomettis Arbeit und sein literarischer Tonfall prägen den Film. Tagebuchartig werden die 18 Tage skizziert, die Lord mit Giacometti im Atelier verbrachte, werden Gespräche über Giacomettis Arbeiten, über Kunst und Künstler und diverse andere Themen widergegeben; außerdem werden Schlaglichter auf Giacomettis Privatleben und seinen Alltag geworfen, alles grundiert durch dokumentarisch anmutende Einblicke ins Atelier. Wobei neben Lords sehr genaue Beobachtungsgabe immer wieder Sinn für Humor durchblitzt. Der Film fängt Momente ein, bleibt impressionistisch, präsentiert kein „Lebensbild“. Giacomettis private Verhältnisse, die enge Beziehung zu seinem Bruder Diego, die Liebschaft zu seinem Modell Caroline aus dem Rotlichtmilieu und die daraus resultierenden ehelichen Spannungen bilden Komplementärkontraste zur künstlerischen Arbeit. Die außereheliche Liaison hatte Lord in seinem Buch diskret ausgespart; im Film dient sie dazu, den Künstler als Mensch greifbarer zu machen. Dass Giacometti in den 1960er-Jahren bereits als Kunst-Ikone gehandelt wurde, sieht man seinem bescheidenen Atelier und den ebenso schlichten Lebensgewohnheiten nicht an. Kleine Begegnungen mit Kunsthändlern stellen indes Giacomettis Status klar – und zeigen, wie wenig er sich selbst darum scherte. Informationen über Lords Vita, seine Herkunft und seine Arbeit beim Geheimdienst, die ihn im Zug des Zweiten Weltkriegs nach Europa brachte, sowie über seine Homosexualität werden nur ganz nebenbei angedeutet. Eine zentrale Rolle spielt die Zeit: Giacometti verabredet mit Lord zunächst nur einen Nachmittag zum Modellsitzen, doch da Giacometti mit dem Geschaffenen nie zufrieden ist, zieht sich die Arbeit in die Länge. So muss Lord seinen Rückflug in die USA mehrmals verschieben. Der Film nutzt das als „Running Gag“, zugleich geht es dabei aber auch um das, was Stanley Tucci an Giacomettis Künstlerpersönlichkeit am meisten fasziniert: um dessen unbedingten Willen, seine künstlerische Vision ohne Rücksicht auf Verluste umzusetzen, sich nie mit dem zufrieden zu geben, was andere als gut empfinden, was aber nicht seinen eigenen Vorstellungen entspricht. Das aber bedeutet, dem kreativen Prozess „seine“ Zeit zuzugestehen. Die Dramaturgie hat etwas ungemein Tänzerisches: Giacometti lässt sich vom Kommen und Gehen des Gemäldes beziehungsweise seiner Vision davon führen, und Lord akzeptiert Giacomettis Führung, passt sich dessen Lebens- und Arbeitsrhythmus an, was sich kongenial in der Rhythmik der Filmerzählung spiegelt, die mal beschwingt rafft und Giacometti und Lord bei Gängen durch Paris begleitet, um dann wieder ganz ruhig im Atelier über Details zu streichen: über die Textur von Ölfarbe, Haut, Leinwand und den Ton unfertiger Skulpturen, über Pinsel und Terpentinschälchen oder die Augen, die sich aufmerksam auf ein Gegenüber heften. Ein „Moving Picture“, das die Dynamik künstlerischen Schaffens viel spannender findet als das fertige Bild.
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