Dokumentarfilm | Syrien/Libanon/Deutschland 2014 | 112 Minuten

Regie: Liwaa Yazji

Erschütternder Dokumentarfilm über die albtraumartigen Erfahrungen von Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen. In vielen Gesprächen zeichnet der Film ein bedrängendes Panorama der Entwurzlung, in dem der Verlust des angestammten Lebensumfelds als psychische Destruktion erkennbar wird. Die Folgen sind Apathie und Depression, ebenso ein Gefühl tiefer Verunsicherung als Resultat eines ungewissen Daseins mitten im physisch-mentalen Niemandsland. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MASKOON
Produktionsland
Syrien/Libanon/Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
mec Film
Regie
Liwaa Yazji
Buch
Liwaa Yazji
Kamera
Joude Gorani · Talal Khoury · Liwaa Yazji
Musik
Kinan Abou Afach
Schnitt
Carine Doumit
Länge
112 Minuten
Kinostart
24.11.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Erschütternder Dokumentarfilm über die Erfahrungen von Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten.

Diskussion
Es ist dunkel. Die Kamera streift über die Fassaden eines mehrstöckigen Gebäudes. Hinter den beleuchteten Fenstern leben Menschen, aber nicht mehr lange. Wenig später sieht man andere Häuser. Der Boden ist mit zersplitterten Kacheln bedeckt, die Möbel sind umgestoßen und zerbrochen. Was heißt es wirklich, vor Krieg zu flüchten? Wie stark schmerzt der Verlust der vertrauten Umgebung? Der Verlust der eigenen Wohnung, weil man dort unter den Bomben und dem Kugelhagel der Angreifer jederzeit sein Leben verlieren kann? Der Verlust der Heimat: Das klingt fast abgedroschen. Eine altbekannte Phrase, die jedoch selten mit Inhalt gefüllt wird. „Haunted“ dagegen zeigt die Zerstörung des privaten Umfelds, den Verlust der vertrauten Umgebung. Regisseurin Liwaa Yazji trifft Freunde und Unbekannte kurz vor dem Abschied oder in neuen Unterkünften und kommt ihren Protagonisten dabei sehr nahe. Aus der Ecke des Kleiderschranks holt ein junger Mann Vasen. Bis heute, sagt er, fragt seine Mutter nach ihren Kristallvasen; sie hatte ja nur den kleinen Koffer mitgenommen, den sie für den Schutzbunker vorbereitet hatte. Aber was haben diese persönlichen Gebrauchsgegenstände heute noch für einen Wert? „Mit diesem Kaffeetopf hat meine Familie 40 Jahre lang Kaffee gekocht“, erzählt ein anderer Mann. Ein älteres Ehepaar verharrt in seinem Wohnblock in Damaskus, die Nachbarn sind fast alle schon weg, die Vorräte werden knapp, die Einschläge der Panzer und Raketen rücken näher. Nur über Skype bleibt eine Verbindung erhalten: „Hier ist nichts passiert, es ist Ausgangssperre“, hört man die Frau. Höchste Anspannung und das tiefe Bedürfnis, vertraute Alltäglichkeit zu leben, beherrschen das Leben in dem halb zerstörten und noch bewohnten Kriegsgebiet. „Haunted“ lässt den Zuschauer über die Bild- und Tonebene an einer albtraumartigen Entwurzelung teilnehmen: Disperses Bildmaterial von zwei Kameramännern und der Regisseurin lassen ein Panorama entstehen, das so zerrissen ist wie die Protagonisten und ihre Schicksale. Flüchtlinge und Vertriebene des Syrienkrieges: Abed und Fufeida, Firas, Hussein und Wael in Damaskus, Mohammed, Malak in Beirut, Mustafa in Kefernubel. „Der Verlust der Heimat ist schrecklich“, sagt eine Frau, „als würde man ein Körperteil verlieren, so wie eine Eidechse, die einen Teil ihres Körpers abstößt, um zu überleben.“ „Ich fühle mich, als ob mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden sei“, bemerkt eine andere Frau. Die Verunsicherung der Protagonisten ist groß, die Heimsuchung durch den Krieg erschüttert ihre Psyche, die drohende Heimatlosigkeit lässt viele apathisch werden. Auf Flucht und Vertreibung aus Syrien folgt das ungewisse Dasein in einem physischen wie mentalen Niemandsland zwischen gestern und morgen. Bei einigen ist es die tragische Fortführung einer langen Flüchtlingstragödie. Einer geht zurück in seine Heimat, in die von Israel besetzten Golanhöhen. Sie nehmen ihm den syrischen Personalausweis ab und geben ihm eine israelische Kennkarte, aber in den besetzten Dörfern kann er sich nicht mehr wohlfühlen. Für fast alle ist die Heimat unwiederbringlich verloren, denn, so sagt ein anderer Flüchtling, ein Haus, das einmal ein Massaker erlebt habe, sei nicht mehr dasselbe Haus. „Haunted“ ist kein herkömmlicher Film. Er zieht den Zuschauer vielmehr in die erschütternde Zwischenwelt der Flüchtlinge und Vertriebenen.
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