Liebesfilm | Türkei 2016 | 126 Minuten

Regie: Umur Turagay

Eine aufgeweckte 18-jährige Türkin aus einer kleinen Stadt an der Schwarzmeerküste sehnt sich nach der Liebe und verschenkt ihr Herz an den neuen Literaturlehrer. Der widersetzt sich ihren Offerten zunächst standhaft, weil ihn ein dunkles Geheimnis mit der Familie des Mädchens verbindet. Trotz einer überzeichneten Schicksalsdramaturgie entwickelt sich die melodramatische Handlung zu einem bewegenden Teenager-Drama um eine facettenreich interpretierte Protagonistin, die sich erfolgreich gegen alle Zwänge und Zuschreibungen zur Wehr setzt und ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IKIMIZIN YERINE
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
PToT Films/Taff Pic.
Regie
Umur Turagay
Buch
Pinar Bulut
Kamera
Yon Thomas
Musik
Ömer Bülent Ahunbay · Mehmet Hakan Özer
Schnitt
Aylin Tinel
Darsteller
Nejat Isler (Drogan) · Serenay Sarikaya (Çiçek) · Zerrin Tekindor · Istar Gökseven (Murat) · Özgür Emre Yildirim (Kudret)
Länge
126 Minuten
Kinostart
20.10.2016
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Liebesfilm
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Türkisches Coming-of-Age-Drama

Diskussion
Çiçek und ihre Freundinnen wachsen in einer Kleinstadt am Schwarzen Meer auf. Ihre Tage sind eintönig; vom Dach aus, auf dem sie sich jeden Tag zum Rauchen treffen, beobachten sie die immer gleichen Szenen: Der Gemüsehändler zieht die Rolladen hoch, der Krankenwagen bahnt sich einen Weg durch die enge Straße, das Mädchen auf dem Weg zur Schule zieht sich hinter einem Mauervorsprung das Tuch vom Kopf. Der Ausweg aus der Langeweile: sich verlieben. Als der neue Literaturlehrer Doğan an der Schule erscheint, ist es um die 18-jährige Çiçek geschehen. Unter dem Vorwand, ein Gedicht für die Hochzeitsfeier ihrer besten Freundin schreiben zu wollen, nimmt sie Nachhilfeunterricht in Poesie – und verführt Doğan. Doch der stellt sich der Herausforderung erst nach einigem Zögern. Mit gutem Grund. Denn Çiçek, so stellt sich auf der Hochzeitsfeier heraus, ist das zweite Kind ihrer Eltern. Die erste Tochter erkrankte an Krebs. Çiçek wurde einzig dazu gezeugt, um Stammzellen für deren Therapie zu erhalten. Womit endlich auch das Rätsel gelüftet ist, warum die dominante Mutter ihre Tochter stets mit herablassend-autoritärer Distanz behandelt hat: Çiçek lebt das Leben einer anderen. Die Mutter tut alles, um Çiçeks Dasein an das der Verstorbenen anzugleichen. Sie bekommt die alten Kleider, die alte Haarspange, soll Medizin studieren, wie das „richtige“ Kind es sich gewünscht hat. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass Doğan einst der Liebhaber der Verstorbenen war. Ein reichlich melodramatischer Plot, der mit den arabesken Sehnsüchten des Publikums kalkuliert. Doch parallel zu der krude überzeichneten Schicksalsdramaturgie entwickelt sich „Ikimizin Yerine“ durch die sachliche Bildgestaltung zu einem bewegenden Coming-of-Age-Drama, das Kleinstadt-Porträt mit Psychologie verbindet. Punktgenau werden der wolkenverhangene Schwarzmeer-Himmel, die lauernden Blicke junger Männer, die intrigante Geschwätzigkeit der Nachbarn und das unterkühlte Nebeneinander in der Kleinfamilie eingesetzt, um Çiçeks emotionale Achterbahnfahrt zwischen Sehnsucht, Leidenschaft und elterlichem Verrat in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Die bisher vor allem als Model und Seriendarstellerin bekannt gewordene Serenay Sarıkaya interpretiert die Figur facettenreich zwischen feinnervigem Understatement und gewaltvollem Gefühlsausbruch. Damit bringt sie die ungeschminkte Wahrheit eines weiblichen Teenie-Daseins zwischen pragmatischer Einordnung in die bestehende Welt, dem Wunsch nach Geborgenheit und der überschießenden Energie der Sturm- und Drang-Phase prägnant zum Ausdruck. Am Ende eröffnet sich hinter der öligen Schicksalsgeschichte eine weit wichtigere Frage: Wie werden unsere Wünsche vom Druck der Traditionen, von den Erwartungen des Elternhauses und der Macht der Gewohnheit manipuliert? Im Finale verlässt die kathartisch geläuterte Protagonistin die kleine Stadt Richtung Istanbul. So lädt der Film unter der Hand, zwischen Schmalz und Realismus, recht geschickt dazu ein, einmal darüber nachzudenken, wie man das Schicksal in die eigene Hand nehmen kann, anstatt sich nur in vorgeprägte Rollen einzufügen.
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