Klänge des Verschweigens

- | Deutschland 2012 | 86 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Klaus Stanjek

Eine packende detektivische Spurensuche des Dokumentarfilmers Klaus Stanjek, der die verdrängte Vergangenheit seines Onkels Willi Heckmann aufdeckt, der als Homosexueller acht Jahre im KZ Mauthausen eingesperrt war. Der Dokumentarfilm wirft ein Schlaglicht auf die tragischen Schicksale Tausender KZ-Insassen mit dem rosa Winkel. Inszenatorisch überzeugt der kunstvoll fotografierte Film mit einer klar strukturierten Ton-Bild-Montage, klugen Animationen und ein dezidiert anti-agitatorischen Erzählperspektive. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Cinetarium Babelsberg
Regie
Klaus Stanjek
Buch
Klaus Stanjek
Kamera
Niels Bolbrinker · Volker Gerling · Klaus Stanjek
Musik
Eike Hosenfeld · Moritz Denis
Schnitt
Barbara Toennieshen · Dirk Schreier
Länge
86 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
26.09.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Diskussion
„Nur kein Film, nicht solange ich lebe!“ Wilhelm Heckmann, der Onkel des Dokumentarfilmers Klaus Stanjek, wollte über seine Zeit im Konzentrationslager mit keinem reden, schon gar nicht vor der Kamera. Natürlich liegt es nahe, sein Schweigen auf die traumatischen Erlebnisse in den acht langen Lagerjahren in Dachau und Mauthausen zurückzuführen. „Er hat zuviel gesehen“, vermutet ein ehemaliger KZ-Häftling. Stanjeks Film über seinen geliebten Onkel Willi, der als Musiker durch die Lande tingelte, eröffnet jedoch noch eine andere Deutung: nämlich, dass das, was Heckmann 1937 offenbar ohne Anklage und ohne Prozess ins Lager brachte, auch noch Jahrzehnte später tabuisiert blieb und als Schande galt: Homosexualität. Der „Homosexuellen“-Paragraph 175 des Strafgesetzbuches wurde in der Bundesrepublik erst 1994 abgeschafft. Ein Jahr später, am 10. März 1995, starb Wilhelm Heckmann in Wuppertal. Was letztendlich den Ausschlag für das Schweigen des Onkels gab, lässt Stanjek in der Schwebe. Diese Offenheit ist charakteristisch für den nie sensationsheischenden, nie lehrmeisternden Film, der aufgrund seiner diskreten, respektvollen Erzählweise umso nachdenklicher stimmt. Dass es fast 20 Jahre dauerte, ehe Stanjek nach dem Tod des Onkels den Film beendete, liegt zum einen an den intensiven, langjährigen Recherchen, die den Regisseur von einem Archiv zum nächsten und oft nicht weiter führten. Vermutlich aber hängt es auch mit den Widerständen zusammen, denen Stanjek in seiner eigenen Familie begegnete, wenn er etwa die Tante oder seine Mutter nach dem Onkel befragt. Da fällt der Mutter auf einmal das Wort „Konzentrationslager“ nicht mehr ein, und die Tante sagt über den Grund der Verhaftung ihres Bruders: „Ich hab’s nie erfahren – aber interessiert hat es mich auch nicht.“ Dieses Nichtwissen-Wollen führt dann auch dazu, dass sie nicht verstehen kann, wieso ihr Neffe diesen Film drehen will. Die Antwort, die Stanjek mit „Klänge des Verschweigens“ gibt, ist relativ simpel: Mit der Erinnerung an seinen Onkel, der schon immer aus dem Rahmen fiel und den er seinen „Geheimnisonkel“ nennt, ruft er zugleich das Schicksal Tausender Homosexueller ins Gedächtnis, die während der NS-Diktatur in Konzentrationslagern gefangen gehalten oder ermordet wurden. Darüber hinaus liefert der Film ein bedrückendes Dokument des titelgebenden „Verschweigens“; in der Gesellschaft, aber vor allem innerhalb von Stanjeks Familie. Im „Voice over“ macht Stanjek deutlich, dass er dafür nur wenig Verständnis aufbringen kann. Jahrzehntelang wusste er weder, dass sein Onkel schwul oder zumindest bisexuell war, noch von dessen Gefangenschaft im KZ, wo er im Steinbruch schuften musste und wohl nur überlebt hat, weil er als Musiker in der Lagerkapelle mitwirkte. Erst am 90. Geburtstag seines Onkels machte Stanjek eine kurze Bemerkung darüber, wie erstaunlich gut Willi sogar die Zeit im Lager verkraftet habe, hellhörig. Er begann zu fragen, fand ein Foto der „Zigeunerkapelle“ des KZ Mauthausen, auf dem auch sein Onkel abgebildet war, und konfrontierte diesen damit. Der Onkel nickte nur, sagte aber nichts. Von einem Zeitzeugen erfährt Stanjek, dass die Kapelle „Alle Vögel sind schon da“ spielen musste, während ein Gefangener in einem Käfigwagen zum Galgen gekarrt wurde. Auch nach dem Tod des Onkels stößt Stanjek auf eine Mauer des Schweigens, das er jedoch nie gewaltsam zu brechen versucht. Ohne moralischen Hochmut lässt er allen Befragten ihre Würde, so irritierend und empörend deren Aussagen bisweilen auch wirken mögen. Dieses zurückhaltende Erzählen ist die größte Stärke des auch formal überzeugenden Dokumentarfilms. Charmant animierte Sequenzen erwecken den jungen Klaus Stanjek und seinen Onkel zu filmischem Leben. Eine dezent illustrierende Geräuschkulisse, von Hannelore Hoger und Ulrich Noethen souverän gelesene Hintergrundinformationen und Originaldokumente sowie zahlreiche historische Musikaufnahmen, auch aus Heckmanns Repertoire, schlagen eine Brücke in die Vergangenheit. Die Aufklärung bleibt fragmentarisch. Zu viele Unterlagen wurden zerstört. Der Montage gelingt es dennoch, Stanjeks Recherche in eine packende detektivische Spurensuche zu verwandeln; inklusive überraschender Wendungen. Dass selbst entscheidende Fragen am Ende ungeklärt bleiben, muss man aus historischer Sicht bedauern; erzählerisch ist es jedoch gerade dieser unerforschte Raum, der dem Film seinen allgemeingültigen Charakter verleiht und ihn über die reine Spieldauer hinaus nachwirken lässt.
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