Dokumentarfilm | Deutschland/Australien 2015 | 98 Minuten

Regie: Julian Rosefeldt

Die Kinoversion einer filmischen Installation von Julian Rosefeldt widmet sich der Gattung des Manifests als leidenschaftlich-radikale, apodiktische, irrwitzige und größenwahnsinnige Proklamation, die ebenso nach Weltverbesserung wie nach Unsinn schreit. In 13 Rollen stellt die Schauspielerin Cate Blanchett Manifeste aus Kunst, Theater, Architektur und Politik dar, wobei die mit großem Aufwand realisierte Hommage ebenfalls die Schönheit des Wortes feiert. Ein mitreißendes, einfallreiches Experiment, auch wenn es in seinem Ehrgeiz einer Leistungsschau gelegentlich den Zugang zu den Texten erschwert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MANIFESTO
Produktionsland
Deutschland/Australien
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
The ACMI/The Art Gallery of New South Wales Sydney/Nationalgalerie Berlin/Sprengel Museum Hannover/The Burger Collection Hong Kong/Ruhrtriennale
Regie
Julian Rosefeldt
Buch
Julian Rosefeldt
Kamera
Christoph Krauß
Musik
Nils Frahm · Ben Lukas Boysen
Schnitt
Bobby Good
Darsteller
Cate Blanchett (13 Rollen)
Länge
98 Minuten
Kinostart
23.11.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Episodenfilm | Experimentalfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
DCM
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Cate Blanchett „performt“ 12 Manifeste aus Kunst, Theater & Politik

Diskussion
Sonntagmittag, eine archetypische konservative amerikanische Familie. Die Mutter, Rock, Bluse, Strickjacke, langes Haar, strenge Brille, serviert den Truthahn, ruft Mann und Kinder zu Tisch. Als die Familie mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen beisammensitzt, beginnt sie im andächtigen Tonfall zu beten: „Ich bin für eine Kunst, die politisch-erotisch-mystisch ist, die etwas anderes tut, als im Museum auf ihrem Arsch zu sitzen... Ich bin für die weiße Kunst der Kühlschränke und ihres athletischen Öffnens und Schließens... Ich bin für die Kunst von Teddybären und Schießeisen, umgedrehten Regenschirmen, brennenden Bäumen, Knallkörperenden, Hühnerknochen und Schachteln mit schlafenden Männern drin...“. Wie alle Texte in Julian Rosefeldts „Manifesto“ gehört auch das Gebet der „konservativen Mutter“ (so die Nennung im Abspann) zur Gattung des Manifests. Der Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg hat es 1961 geschrieben, als Reaktion auf die Dominanz des Abstrakten Expressionismus. Im betenden Singsang der Schauspielerin Cate Blanchett bekommt Oldenburgs Text jedoch einen anderen Klang. Im kunstfernen Setting verspielt sich die Vehemenz und Apodiktik der Proklamation; die Reibung verleiht dem Text eine geradezu körperliche Form. Denn wenig liegt dem sonntäglichen Tischgebet wohl ferner als ein leidenschaftliches Bekenntnis zu einer Kunst von Teddybären. Oder zu einer Schinkenkunst, Schweinekunst, Tomaten- und Kekskunst. „Manifesto“ ist die Kinoversion einer Filminstallation aus dem Jahr 2015, die der gebürtige Münchner Künstler Rosefeldt mit großem Erfolg in verschiedenen Institutionen gezeigt hat. Sie besteht aus zwölf miteinander in Beziehung stehenden Einzelfilmen, in denen Cate Blanchett in 13 verschiedenen Rollen (Obdachloser, Kranarbeiterin, Brokerin, Choreographin, Lehrerin etc.) beim Vortrag von Manifesten aus der Kunst, dem Theater, der Architektur und der Politik zu sehen ist. Dass diese ausschließlich von einer Frau verkörpert und performt werden, ist dabei natürlich auch eine Setzung gegen den männlichen Künstlermythos und seine Monomanie. Die collagierten Texte, bei denen mitunter Zitate aus verschiedenen Zeitabschnitten zusammenfließen, werden in Gegenwartsszenarien eingebettet, die den Sprechakt aus seinem Kontext lösen: Mal wird ein Manifest dialogisch vorgetragen, mal innerlich, mal wird es wütend herausgeschleudert, mal mit sanftem pädagogischen Duktus an eine Schulklasse gerichtet (etwa das „Dogma“-Manifest oder auch Werner Herzogs „Minnesota Declaration“). Rosefeldt versteht sein Werk auch deshalb als eine „Hommage an die Schönheit von Künstlermanifesten – ein Manifest der Manifeste“, weil es sich dabei um eine so gut wie ausgestorbene Gattung handelt. Dabei wirken die Texte in Rosefeldts Verarbeitung keineswegs museal oder verstaubt. „Manifesto“ ist ein opulenter, herausgeputzter Film mit hohen Produktions- und Schauwerten; ein erheblicher Anteil am Gestaltungsaufwand liegt in Cate Blanchetts spektakulären Verwandlungen, die noch weit über ihre Metamorphosen in Todd Haynes’ Bob-Dylan-Film „I’m Not There“ (fd 38 592) hinausgehen. Was Blanchett hier an Stimmmodulation, Tonalität, Sprachduktus und Manierismen performt, grenzt fast schon an Akrobatik. Dass diese Leistungsschau und die bewusste Wahl für überzeichnete Figuren mitunter den Blick auf die Texte verstellen, kann dabei gelegentlich aber auch nerven. In den besten Momenten des Films bekommt das Sprachmaterial eine Eigendynamik. Dann lässt man sich nicht nur vom Überschuss an Deklarationswut, Radikalität, Weltverbesserungseifer und anarchischem Drive mitreißen, sondern von den Worten selbst. Und vom blauen Dunst der Auspuffrohre, von flammenden und schleichenden Linien, von Gedankenpumpen und Pavillons inbrünstiger Freude.
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