Mein Weg nach Olympia

Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 85 Minuten

Regie: Niko von Glasow

Der contergan-geschädigte Regisseur Niko von Glasow begleitet Sportler mit Behinderung durch ihre Vorbereitungen auf die Paralympics in London 2012, wobei er selbst stark vor der Kamera agiert. Aus seiner ungewöhnlichen Perspektive reflektiert der Dokumentarfilm sehr persönlich Fragen zu Körperlichkeit, Schönheitswahn, Ehrgeiz und Perfektionismus. Jenseits allen Betroffenheitskinos gelingt es von Glasow, eine außergewöhnliche Nähe zu seinen Protagonisten herzustellen. Witzig, intelligent und politisch unkorrekt nähert er sich dem Thema, obwohl er selbst jede Form von Sport für überflüssig hält. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
if... Productions
Regie
Niko von Glasow
Buch
Niko von Glasow
Kamera
Hajo Schomerus
Schnitt
Mechthild Barth · Bernhard Reddig
Länge
85 Minuten
Kinostart
17.10.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Der contergan-geschädigte Filmemacher Niko von Glasow agiert gerne mit intellektuellem Furor, viel Humor und Selbstironie als eine Art deutscher Michael Moore vor der Kamera, mit dem bezeichnenden Unterschied allerdings, dass er sich ungleich persönlicher als Moore einbringt. In „Mein Weg nach Olympia“ macht er gleich zu Beginn deutlich, was er von Sport im Allgemeinen und den Paralympics im Besonderen hält: absolut überhaupt nichts. Der Olympiade für Menschen mit Behinderung unterstellt er, „eine große Feel-Good-Show für Nicht-Behinderte“ zu sein, „damit die sagen können, dass sie auch mal was für die Behinderten gemacht haben“. Es zeigt sich aber, dass aus einem Film, der durchaus ein politisch korrekter Feel-Good-Betroffenheits-Film für Nicht-Behinderte hätte werden können, dennoch eine hinreißende Dokumentarkomödie werden kann. Die Schönheit der Abweichung, des Unvollkommenen ist von Glasows Ziel. Es gibt ergreifende Aufnahmen in Zeitlupe, wenn die beinamputierte Schwimmerin Christiane Reppe durchs Wasser pflügt oder der armlose Bogenschütze Matt Stutzman seinen Bogen hochkonzentriert mit dem Fuß spannt. Ähnliches zeichnete schon „NoBody’s Perfect“ (fd 38 897) aus, der das „Making of“ eines ungewöhnlichen Akt-Kalenders dokumentier, für den sich der Regisseur und elf weitere Contergan-Geschädigte nackt fotografieren lassen. Sarkastisch und ganz in der Rolle des unverbesserlichen Sportmuffels begegnet Niko von Glasow seinen fünf Protagonisten – wobei die ruandische Sitzvolleyballmannschaft als Gesamtheit zählt. Sie ist im Film am wenigsten repräsentiert; trotzdem sind die Szenen wichtig, in denen der Regisseur inmitten der Sportler sitzt. Zum einen gibt es einige absurd komische Dialoge, zum anderen addiert die Mannschaft den sehr olympischen Gedanken der Völkerverständigung. In dieser Mannschaft ohne Beine gebe es keine Hutu und keine Tutsi. Alle sind gleich. Zu den vier anderen Sportlern hat von Glasow recht unterschiedliche Beziehungen. Der griechische Boccia-Spieler Greg Polychronidis, der an einer fortschreitenden Muskelschwäche leidet, wird ihm zum guten Freund. Die beiden teilen offenkundig einen ähnlichen Humor; von Gregs liebender Familie wird von Glasow herzlich aufgenommen. Von Glasow zeigt sehr bewußt die Familien der Sportler, deren bedingungslose Unterstützung für die Porträtierten ein immenser Rückhalt ist. So begleitet er am Ende auch die Adoptiveltern der jungen schwedischen Tischtennisspielerin Aida Husic Dahlen, die mit ihrer Tochter mitfiebern. Glasow fragt unermüdlich nach, um was genau es den Protagonisten geht, die sich allesamt auf die Paralympics in London 2012 vorbereiten. Ihre Gegenfragen zwingen ihn, sich mit seinem eigenen Körperverständnis auch jenseits des Sarkasmus auseinanderzusetzen. Seine Reflexionen über Geist und Körper, Schönheit und Perfektionismus, sportlichem Ehrgeiz und Selbstzufriedenheit gibt der Film direkt an den Zuschauer weiter. Der Bogenschütze Matt Stutzman hat eine sehr militante politische Meinung zum amerikanischen Waffenrecht. Niko von Glasow hat seinen eigenen Sohn mit in den mittleren Westen Amerikas genommen, der das Herumballern von Stutzmann und dessen Kindern naturgemäß toll findet. Glasows Kommentare zu den emblematisch-gruseligen Bildern der Kinder mit großkalibrigen Waffen sind witzig und gleichzeitig klare Stellungnahmen. Am Ende ist der Sportmuffel ein aufgeklärter Sportmuffel, allzeit bereit, sich von olympischen Emotionen mitreißen zu lassen – und auch mal zu einer Partie Boccia, mit seinem griechischen Freund.
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