Minority Report

Science-Fiction | USA 2002 | 145 Minuten

Regie: Steven Spielberg

Im Jahr 2054 ist ein neues System zur Verbrechensbekämpfung in der Lage, Morde zu verhindern, bevor sie stattgefunden haben. Der Verantwortliche der zuständigen Spezialeinheit kommt selbst unter Verdacht und muss versuchen, Beweise für seine Unschuld zu finden. Nach Motiven einer Kurzgeschichte des Science-Fiction-Autors Philip K. Dick hat Spielberg die Handlung als Mischung aus Zukunftsfantasie, Thriller und philosophischer Reflexion inszeniert. Der Film ist vieles in einem und keines ganz: deterministische Gesellschaftsvision, individuelles Schuld-und-Sühne-Drama und effektvolle Fluchtgeschichte. Technisch brillant und fesselnd im Konzept, wenn auch sicher nicht für jeden Zuschauer überzeugend. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MINORITY REPORT
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
20th Century Fox/Amblin/Blue Tulip/Cruise-Wagner Prod./DreamWorks
Regie
Steven Spielberg
Buch
Scott Frank · Jon Cohen
Kamera
Janusz Kaminski
Musik
John Williams
Schnitt
Michael Kahn
Darsteller
Tom Cruise (Detective John Anderton) · Colin Farrell (Detective Danny Witwer) · Samantha Morton (Agatha) · Max von Sydow (Direktor Lamar Burgess) · Lois Smith (Dr. Iris Hineman)
Länge
145 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Science-Fiction | Thriller
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Fox
DVD kaufen

Diskussion
Im Gefolge von Science-Fiction-Filmen wie „Blade Runner“ (fd 23 689), „The Matrix“ (fd 33 720) und natürlich „2001“ (fd 15 732) ist es für jeden Regisseur schwierig, in diesem Genre noch ein persönliches Profil zu finden – auch für Steven Spielberg. Nach dem von Stanley Kubrick übernommenen Projekt „A.I. – Künstliche Intelligenz“ (fd 35 041) und zeitgleich mit der Wiederaufführung seines Erfolgsfilms „E.T. – Der Außerirdische“ (fd 23 743) versucht sich Spielberg in „Minority Report“ zum ersten Mal an einer jener düsteren, deterministischen Sci-Fi-Geschichten, die dem Genre bei vielen seiner Verehrer am stärksten zu literarischer Anerkennung verholfen haben. Philip K. Dicks Romane und Erzählungen sind von Spielbergs immer wieder demonstriertem Harmoniebedürfnis weit entfernt. Der Antagonismus dieser beiden Welten ist deshalb der interessanteste Aspekt der Einlassung eines fantasievollen, aber stets – oft auf reichlich naive Art – lebensbejahenden Filmemachers mit einer Literaturgattung, die sich der Beschreibung dystopischer gesellschaftlicher Entwicklungen und deren schicksalhafter Auswirkungen auf die Menschheit verschrieben hat. Neben jenen Science-Fiction-Filmen, die derzeit den stärksten Anklang beim Kinopublikum finden – von „Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger“ (fd 35 432) bis zu „Spider-Man“ (fd 35 439) –, nimmt sich „Minority Report“ wie ein anspruchsvolles existenzialistisches Drama aus. Aber ist es wirklich mehr als ein clever konstruierter futuristischer Thriller? Spielberg hatte zweifellos die Absicht, seinem komplizierten, aber faszinierenden Kunst-Produkt „A.I.“ einen ebenso tief lotenden Film folgen zu lassen. „Was mich vor allem bewegt hat“, sagt er, „war die Idee, dass der Mensch nicht notwendig Sklave seines Schicksals sein muss. Es ist ein fast mythologischer Kampf, zu ändern, was die Vorsehung bestimmt hat. Aber es kann verändert werden, wenn man hart genug daran arbeitet und fest genug an sich selbst glaubt.“ Das Drehbuch basiert zwar auf Philip K. Dicks gleichnamiger Story – einer 1956 veröffentlichten 31-seitigen Kurzgeschichte –, übernimmt aber nur die Ausgangssituation, auf deren genialer Exposition Spielberg seine eigene Story aufbaut. Mitte des 21. Jahrhunderts wird in Washington eine neue Methode der Verbrechensbekämpfung getestet: Eine Spezialeinheit bedient sich dreier „Pre-Cogs“ (von Präkognition), die in der Lage sind, bevorstehende Morde, sowie Umstände und Tatorte vorauszusagen. Dadurch wird der Polizei Gelegenheit gegeben, die zukünftigen Täter schon vor Ausführung des Verbrechens festzunehmen. Seitdem ist in der US-Hauptstadt kein Mord mehr passiert, und das amerikanische Volk soll bald darüber entscheiden, ob das Pre-Crime-System landesweit eingeführt wird. An der Spitze der Washingtoner Pre-Crime-Einheit steht John Anderton, ein bewährter Polizist, der das volle Vertrauen des Gründers der neuartigen Mordvereitelung genießt. Ein Abgesandter des Justizministeriums soll die Spezialeinheit einer Überprüfung unterziehen und sie unter engere Kontrolle bringen. Anderton widersetzt sich den Maßnahmen und findet sich bald selbst als unerwartetes Opfer des Apparates, den er bisher befehligt hat: Die Pre-Cogs beschuldigen ihn eines zukünftigen Mordes. Weder seine Position noch die Tatsache, dass er den zu Ermordenden überhaupt nicht kennt, schützen Anderton vor der automatischen Verfolgung durch das System. Es bleiben ihm nur die Flucht und der Versuch, innerhalb der nächsten 36 Stunden die Wahrheit herauszufinden und den Beweis seiner Unschuld beizubringen. Ein futuristischer Dr. Kimble also? Der Entwurf der Story könnte nicht von Dick, dem geistigen Vater von „Blade Runner“ und „Total Recall“ (fd 28 398), und der Film nicht von Spielberg stammen, wenn das schon alles wäre. Aber es trifft in der Tat zu, dass „Minority Report“ sein Publikum zunächst einmal mit den simplen Genre-Bestandteilen einer Fluchtgeschichte zu fesseln versucht. Spielbergs Fantasie beim Entwurf der Fluchtstationen und der Zukunftswelt, in der sie angesiedelt sind, steht kaum hinter „Blade Runner“ zurück, von dem einige Szenen unübersehbar inspiriert wurden. Dabei sind es weniger die effektbetonten Verfolgungsjagden, die Neugier und Spannung anheizen, als eine ganze Reihe atmosphärisch bezwingender, eher kammerspielartiger Szenen, deren Vorbilder geradewegs aus dem Repertoire des „film noir“ stammen. Konsequenter als in „A.I.“ baut Spielberg eine kongruente Stimmung auf, die deutlich düsterer und deprimierender ist als in irgendeinem seiner früheren Filme. Die spürbare Absicht, die Thriller-Elemente darüber hinaus in ein philosophisches und gesellschaftskritisches Umfeld einzubetten, hat ganz offensichtlich zu dem optischen Aussehen geführt, das die Story überhaupt erst mit dem richtigen Hintergrund versieht, und der sonst so gern zu Fanfaren und Engelchören Zuflucht nehmende John Williams steuert eine erstaunlich differenzierte, verweisungsfreudige Musik bei. Wie so häufig in Spielbergs Filmen lassen sich bei genauerem Hinsehen auch wieder zahllose Anspielungen auf Filmklassiker entdecken (bis hin zur Stummfilmzeit), ohne dass sich diese selbstzweckhaft in den Vordergrund drängen würden. Was „Minority Report“ am deutlichsten von den meisten Science-Fiction-Filmen heutiger Schule unterscheidet, ist die Versessenheit, nicht nur eine glaubwürdige, mit zahllosen technischen Erfindungen ausgestattete Zukunftswelt zu entwerfen, sondern die Aufmerksamkeit des Zuschauers permanent auf das Charakterbild der Hauptfigur zurückzulenken. Anderton wird als verlässlicher Polizeidetektiv vorgestellt, der aber eigentlich unter der Frustration leidet, dass es für ihn seit der Errichtung des Pre-Crime-Systems gar keine detektivische Aufklärungsarbeit mehr zu tun gibt. Er ist zum versatilen Arrangeur von Albträumen und drogeninduzierten Visionen der Pre-Cogs geworden, der wie ein talentierter Dirigent Fantasien und Motive zu einem nachvollziehbaren Ganzen ordnet, das ihm und seinen Leuten die Voraussetzungen zum vorzeitigen Eingreifen schafft. Auch in seinem Privatleben ist Anderton das Gegenteil eines herkömmlichen Polizisten. Er leidet unter einem Schuldkomplex, der ihn bei Tat und Nacht verfolgt: die vermutete Verantwortlichkeit für den Tod seines Kindes. Anderton nimmt Rauschgift und lullt sich jeden Abend mit virtuellen Bildern seines entführten Söhnchens in den Schlaf. Jon Cohen und Scott Frank, die das Drehbuch verfassten, bekennen, keine Science-Fiction-Autoren zu sein, sondern sich vornehmlich für die Charaktere einer Story zu interessieren. Dieser Ausgangspunkt hat etwas ermöglicht, was den meisten Science-Fiction-Filmen fehlt. Ausgestattet mit dem Vokabular und dem Erfindungsreichtum Philip K. Dicks, waren Cohen und Frank in der Lage, eine individuellere Ebene zu schaffen, die dem Publikum gestattet, an Andertons Schicksal weniger wie an einem weiteren Dr. Kimble Anteil zu nehmen, sondern eher wie an einem von Hitchcocks doppeldeutigen Helden. „Minority Report“, dessen Verwirklichung sich über etliche Jahre erstreckt hat, gehört zu den wenigen Filmen, die zwischen dem Beginn der Dreharbeiten und dem Premierentermin eine aktuelle Dimension hinzugewonnen haben, mit der niemand hatte rechnen können. Als John Anderton erfährt, dass er das Opfer einer Uneinigkeit der drei Pre-Cogs geworden sein könnte und dass es vielleicht einen Minderheiten-Report gibt, der ihn entlastet, ist er von dem Gedanken besessen, an seine ehemalige Arbeitsstätte zurückzukehren, um dort den Beweis seiner Unschuld zu finden. Das kann nur gelingen, falls er allen Nachstellungen und Kontrollen unerkannt entkommt. Spielbergs Welt des Jahres 2054 ist aber eine Welt der jederzeitigen Identifizierbarkeit des Individuums. Nicht nur Personenkontrollen und Werbeträger vermögen durch blitzschnelle Retina-Überprüfung jeden Menschen zu identifizieren, sondern Polizei und Behörden arbeiten auch mit hochentwickelten Suchgeräten, die Menschen nur rasch in die Augen blicken müssen, um zu wissen, wen sie vor sich haben. Vielen amerikanischen Zuschauern läuft bei diesen Szenen ein Schauer über den Rücken, denn dieser Aspekt von „Minority Report“ erscheint inzwischen gar nicht mehr so futuristisch wie zur Zeit seiner Erfindung: Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 denken amerikanische Regierungsstellen ernsthaft darüber nach, Retina-Kontrollen auf Flughäfen einzuführen und biometrisches Datengut auf Ausweispapieren zu speichern. George Orwell und seine Nachfahren scheinen sich nur in der Jahreszahl vertan zu haben. Spielberg dürfte die unvermutete Aktualisierung recht sein. Wie viele seiner früheren Filme gewinnt nämlich auch „Minority Report“ eine für ihn typische Doppelbödigkeit aus der Verbindung von Realismus und Mythos, von Thriller und philosophierender Infragestellung. Es ist Spielberg schon lange nicht mehr genug, bloß eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern er bohrt sowohl nach Zeitbezügen als auch nach einer Katharsis, ohne die er seit „Schindlers Liste“ (fd 30 663) nicht mehr auszukommen scheint. Obwohl er diesmal mit einer Vorlage arbeitet, die von einem Moralstück weit entfernt ist, kann er nicht widerstehen, unterschwellig auch ein zeitloses Drama von Schuld und Sühne, von Schicksal und Aufbegehren zu inszenieren, in dem die von ihm gern bemühte Polarität Vater – Mutter – Kind wieder eine entscheidende Rolle spielt. In einer öffentlichen Badeanstalt ist Andertons kleiner Sohn entführt worden – Grund für Johns Selbstvorwürfe und Schuldkomplexe wie auch für das Scheitern seiner Ehe (weil seine Frau es nicht ertragen kann, in ihm beständig das Bild des verlorenen Kindes zu sehen!). Es ist kein Zufall, dass die Ursache für Andertons psychische Probleme auf ein Ereignis an einem Swimming Pool zurückgeht. Bereits bevor der Film beginnt, erscheinen programmatisch die Embleme der beiden Produktionsfirmen in merkwürdiger Spiegelung durch eine leicht bewegte Wasseroberfläche auf der Leinwand. Wasser spielt in dem ganzen Film eine tragende Rolle: In einem großen Wasserbecken werden die hellsichtigen Pre-Cogs als eine Art dreifaltige Einheit „aufbewahrt“; ein See ist der Ort zweier Morde; Wasser schützt Anderton vor der Entdeckung durch spinnenartige Cyberspione; und das Haus, in dem alles zu einem guten Ende kommt, liegt natürlich am Wasser – Wasser in seiner uralten Symbolik für die Identität und Unabänderlichkeit von Anfang und Ende. Spielberg macht damit umso klarer, was unter der Oberfläche den ganzen Film bewegt und was für ihn die Essenz von Andertons langem „mythologischem Kampf“ ist: Auch gegen die Macht der Vorsehung können Entschlusskraft und Beharrlichkeit des Menschen zum gesteckten Ziel führen. Dass dieses Ziel unausweichlich mit dem Verlangen des Regisseurs nach Harmonie identisch ist, wird eingedenk der kafkaesken Ausgangssituation die Geister scheiden.
Kommentar verfassen

Kommentieren