Dokumentarfilm | Schweiz 2013 | 96 Minuten

Regie: Anna Thommen

Ambitionierter Dokumentarfilm über den Lehrer einer Integrationsklasse in Basel, der sich mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert sieht, jugendliche Flüchtlinge, die überwiegend aus Kriegsgebieten stammen und ihre Heimat verlassen mussten, auf ihrem Weg zur Integration zu begleiten. Er konzentriert sich gänzlich auf die Arbeit innerhalb der Schule, sodass die tragischen Schicksale der Jugendlichen eher indirekt und ausschnitthaft eingefangen werden können. Gleichwohl entsteht ein bemerkenswertes Dokument, das dem Lehrer wie seinen Schülern eindrucksvoll nahekommt, zugleich ein beredtes Schlaglicht auf die Schweizer Gesellschaft wirft und sich zum auch unterhaltsamen Plädoyer für mehr Toleranz verdichtet. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
NEULAND
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Fama Film/Schweizer Radio und Fernsehen/Zürcher Hochschule der Künste ZHdK
Regie
Anna Thommen
Buch
Anna Thommen
Kamera
Gabriela Betschart
Musik
Jaro Milko · Eric Gut
Schnitt
Andreas Arnheiter · Anna Thommen
Länge
96 Minuten
Kinostart
23.04.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Schröder-Media (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Ambitionierter Dokumentarfilm über einen Basler Lehrer und seine Migranten-Schüler

Diskussion
Der politische Dokumentarfilm erfreut sich in der Schweiz einer langen Tradition. Insbesondere die Frage nach dem Umgang mit Immigranten, mit Flüchtlingen, Asylsuchenden, Asylanten, mit Gastarbeitern und Grenzgängern ist da immer wieder Thema. Erinnert sei, um nur einige jüngere Beispiele zu nennen, an die vehementen Filme von Fernand Melgar – „Die Festung“ (fd 39 190), „Vol spécial“ (fd 40 677), „L’abri“ – sowie Rolando Collas aufmüpfige Kurzfilmstaffel „Einspruch I – VI“ (1999-2012). Viele dieser Filme haben – es mag sich darin der Zeitgeist spiegeln – etwas Anklagendes, auch etwas Exemplarisches an sich. Sie greifen Schlagzeilen auf, sorgen selber für Schlagzeilen. Wollen, dass der Zuschauer sich empört, und vergessen darüber, was Alexander Seiler in „Siamo Italiani – Die Italiener“ (1964), einem der ersten Schweizer Dokumentarfilme, in dem Ausländer zu Worte kamen, so pointiert formulierte: nämlich, dass die da kommen, Menschen sind. Umso wichtiger ist ein Film wie „Neuland“, der den Fokus dahin richtet, wo es kaum mehr Schlagzeilen, wohl aber gemeinsame Schritte zu machen gilt: im Alltag, bei der Integration junger Menschen. Anna Thommens erster Kinodokumentarfilm entstand als Abschluss an der Zürcher Hochschule der Künste, machte danach eine beachtliche Festivalkarriere, erhielt eine Reihe von Preisen, darunter den SOS-Dokumentarfilmpreis beim DOK.fest München sowie diverse Publikumspreise, die bekanntlich eine deutliche Sprache sprechen, nämlich die des Herzens. Das ist es, was „Neuland“ vor allem kennzeichnet: das große Herz, mit dem er gemacht wurde. Die Sorgfalt, Feinfühligkeit und auch Zurückhaltung, mit der die Regisseurin eine Basler Integrationsklasse und ihren Lehrer, Christian Zingg, über zwei Jahre lang begleitet. Die Protagonisten kommen von weit her und haben meist einen abenteuerlichen, nicht selten gefährlichen Weg hinter sich, bis sie, 16, 17, manche gar 20 Jahre alt und damit der offiziellen Schulpflicht entwachsen, in Zinggs Klasse landen. Der Lehrer gibt sich am Vorabend des neuen Schuljahrs Mühe, Namen auswendig zu lernen und sich die dazugehörenden Gesichter zu merken: Ehsanullah kommt aus einer Bauernfamilie in Afghanistan. Die Albanerin Nazlije wuchs mit ihrem Bruder bei der Mutter in Serbien auf, seit deren Tod leben die Geschwister bei Vater und Stiefmutter in Basel. Hinzu kommen junge Frauen und Männer, die weniger zu Wort kommen, aus Afghanistan, der Türkei, Albanien, Afrika. Sie lernen bei Zingg vor allem Deutsch, aber auch Grundfächer und wie es zugeht in der Schweiz, welche Gesetze hier gelten. Am Schluss der zwei Jahre sollten sie bereit sein für den nächsten Schritt, haben im Idealfall eine Lehrstelle, einen Platz an einer weiterführenden Schule oder zumindest eine Arbeit gefunden. Erfolgreich aber, sagt Zingg, „waren wir erst, wenn die Schüler mir in ein paar Jahren ihre Abschlussdiplome vorlegen“. So einer ist dieser Zingg. Einer, der seine Schüler ins Herz schließt. Ihnen den Weg zu finden hilft, auch wenn das schwierig ist in der Schweiz, wo man eine Bewilligung braucht, um bleiben zu dürfen, man erst die Sprache lernen und eine Ausbildung machen soll, bevor man arbeiten gehen und die Familie finanziell unterstützen kann. Anna Thommen ist an ihren Protagonisten nah dran, lässt ihnen aber Freiräume, bewahrt Respekt und Distanz. So gelingt im Lauf des Films Bemerkenswertes: nämlich von den Schicksalen der Protagonisten zu erzählen, ihrer Angst und Frustration, auch ihren Freuden, Hoffnungen und Fortschritten, ohne sie bloßzustellen, vielmehr das Fremde vertraut zu machen. So ist „Neuland“ ein sensibler, eindringlicher, bisweilen unmittelbar berührender Film, der das nicht nur in der Schweiz relevante Thema gesellschaftlicher Integration geschickt behandelt – und nebenbei großartigen Lehrern wie Christian Zingg ein kleines Denkmal setzt.
Kommentar verfassen

Kommentieren