Papusza - Die Poetin der Roma

Biopic | Polen 2013 | 131 Minuten

Regie: Joanna Kos-Krauze

Biografischer Spielfilm über die Roma-Dichterin Bronislawa Wajs (ca. 1910-1987), die als Kind heimlich Lesen und Schreiben lernte und herb-sinnliche Verse über den Alltag der Roma verfasste. In eindrucksvollen epischen Tableaus und mit psychologisch ausgefeilten Figuren entfaltet der Film Wajis Schicksal während der Schreckensjahre der deutschen Okkupation sowie der spätstalinistischen Ära. Der stille, hervorragend besetzte Film macht intensiv deutlich, welche Inspiration die tragisch endende Dichterin aus dem Leben und der Verwurzelung der Roma in der Natur und ihrer gleichsam ewigen Wanderschaft bezog. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PAPUSZA
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Argo Media/Telewizja Polska/Canal+ Polska/Studio Filmowe KADR
Regie
Joanna Kos-Krauze · Krzysztof Krauze
Buch
Joanna Kos-Krauze · Krzysztof Krauze
Kamera
Krzysztof Ptak · Wojciech Staroń
Musik
Jan Kanty Pawluśkiewicz
Schnitt
Krzysztof Szpetmański
Darsteller
Jowita Budnik (Bronislawa Wajs "Papusza") · Zbigniew Waleryś (Dionizy Wajs) · Antoni Pawlicki (Jerzy Ficowski) · Paloma Mirga (junge Papusza) · Andrzej Walden (Julian Zuwim)
Länge
131 Minuten
Kinostart
07.05.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic
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IMDb

Ein stilles, fein ausgearbeitetes Drama

Diskussion
Der polnische Film „Papusza“ (Püppchen), gedreht in der Sprache der Romani, erinnert an die Roma-Dichterin Bronislawa Wajs (ca. 1910-1987), die als Kind heimlich Lesen und Schreiben lernte und herb-sinnliche Verse über den Alltag ihres Volkes und die sie umgebende Natur zu verfassen begann. Von einem Freund, dem bei den Roma Unterschlupf suchenden jungen Schriftsteller Jerzy Ficowski ermutigt, brachte sie ihr poetisches Werk in den späten 1940er-Jahren zu Papier. Doch nachdem es in Polnische übertragen und veröffentlicht worden war, sah sich Papusza dem Zorn ihres Roma-Clans ausgesetzt. Als „Verräterin“ jahrhundertealter Geheimnisse gebrandmarkt und ausgegrenzt, kam sie in eine psychiatrische Anstalt und verstummte für immer. Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze verdichten diese weitgehend unbekannte Biografie zu großen epischen Tableaus. Sie beginnen mit der Geburt Papuszas mitten in den ostpolnischen Wäldern, handeln das Leben ihrer Hauptfigur aber nicht chronologisch ab, sondern wechseln zwischen mehreren Zeitebenen, heben existentielle Umbruchsituationen hervor und suchen nach deren Wurzeln in der Vergangenheit. In eindrucksvollen Sequenzen, oft in atmosphärischen Totalen, beleuchtet der Film sowohl die Schreckensjahre der deutschen Okkupation, als sich die Roma-Familien in Waldlöchern versteckten, um der Vernichtung zu entgehen, aber auch die Schwierigkeiten der Roma in der spätstalinistischen Zeit. Anfang der 1950er-Jahre wurden sie gezwungen, ihr Nomadendasein aufzugeben und in festen Häusern zu leben, die sie oftmals als Bedrückung und Bedrohung empfanden. Dass die beiden Regisseure ihren Film in Schwarz-weiß drehten, war eine wohl überlegte, richtige Entscheidung: Der Gefahr folkloristischer Buntheit und falscher Romantik, zumal in einigen musikalisch grundierten Szenen, wurde auf diese Weise bewusst begegnet. Auch die Besetzung der Titelrolle mit Jowita Budnik muss als Glücksgriff bezeichnet werden: Ohne viele Worte, ganz in sich selbst ruhend und völlig unsentimental, macht sie allein schon mit Blicken und Gesten begreifbar, welche Inspiration Bronislawa Wajs aus der Verwurzelung ihres Volkes in der unberührten Natur, auf gleichsam ewiger Wanderschaft, bezog. Interessant sind einige Nebenrollen, an denen der unbedingte Wille der Regisseure ablesbar ist, keinesfalls schematische Figurenzeichnungen zuzulassen, sondern in den Beschreibungen der Charaktere eine kluge Ambivalenz anzustreben. Zbigniew Walerys als Papuszas Jahrzehnte älterer Mann Dionizy wird als trinkfreudiger, bisweilen rauer und grober Musikant gezeichnet, der nicht unbedingt dem Wunschbild von einem Ehemann und Partner entspricht. Und doch stellt sich Dionizy, der mit den intellektuellen Potenzen seiner Frau nur sehr schwer umzugehen weiß, in entscheidenden Momenten vor sie und versucht sie zu schützen. Eine große Szene hat Walerys, nachdem die Roma-Familien zu einem festen Wohnsitz verdammt wurden. Seine ohnmächtige Verzweiflung bricht sich Bahn, als er seinen auf dem Hof abgestellten Planwagen zerhackt. Auf dem Gesicht von Antoni Pawlicki, der den Schriftsteller Jerzy Ficowski spielt, spiegelt sich die Faszination, die ihn angesichts der Dichtkunst Papuszas überkommt; von ihrem scheuen, verbotenen Kuss ist er dann allerdings völlig verstört. Der naive junge Mann überschaut auch nicht, was er mit der Veröffentlichung seines Roma-Buches, des ersten polnischen Grundlagenwerkes über das oft verfemte und verfolgte Volk anrichtet. Der Gedanke, dass er die „Verräterin“ Papusza gewissermaßen ihren eigenen Leuten ans Messer liefert, liegt außerhalb seines Horizonts: ein unschuldig Schuldiger. Nach Pawel Pawlikowskis „Ida“ (fd 42 299) belegt „Papusza“ erneut die künstlerische Strahlkraft des aktuellen polnischen Kinos, das nicht nur in der unmittelbaren Gegenwart, sondern auch in den Um-, Auf- und Ausbrüchen des 20. Jahrhunderts nach intellektuellen Inspirationen sucht. Krzysztof Krauze, der seit Ende der 1980er-Jahre gemeinsam mit seiner Frau Joanna zu den wichtigsten Regisseuren dieses innovativen Kinos zählte, verstarb nach „Papusza“ im Dezember 2014 als 61-Jähriger.
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